Sie selbst, daß ich wohl ewig werde schweigen müssen."
Sie kam fast nicht mehr von meiner Seite, und was Harald betrifft, so schien er in der letzten Zeit ganz vergessen zu haben, daß Marie noch auf dem Schlosse war. Nur manchmal, wenn ich mit ihm allein war, erkundigte er sich in kurzen, abgerissenen Fragen nach ihr, aus denen ich sah, daß er über ihren Zustand vollkommen unterrichtet war.
So standen die Sachen. Der Sommer war zu Ende; der Herbst kam mit Sturm und Regen, und die dürren Blätter wehten von den Bäumen. Es war an einem Nachmittage, Harald war ein paar Tage verreist gewesen; ich war mit Marie im Garten und suchte ihr Trost zuzusprechen, da sie heute ganz besonders traurig war. Da schaute plötzlich ein Scha¬ cher-Jude über das Stacket und schrie, als er uns erblickte, in den Garten hinein: nichts zu handeln? nichts zu handeln? Ich brauchte gerade, ich weiß nicht mehr was, und so rief ich ihn. Er kam. Es war ein alter, schmutziger, schlottriger Mensch, mit einem weißen Bart und einer Brille mit blauen Glä¬ sern über den Angen. Er kramte seine Waaren aus, und weil die Sachen hübscher waren, wie sie diese Leute sonst wol führen, so kauften Marie und ich ihm
Sie ſelbſt, daß ich wohl ewig werde ſchweigen müſſen.“
Sie kam faſt nicht mehr von meiner Seite, und was Harald betrifft, ſo ſchien er in der letzten Zeit ganz vergeſſen zu haben, daß Marie noch auf dem Schloſſe war. Nur manchmal, wenn ich mit ihm allein war, erkundigte er ſich in kurzen, abgeriſſenen Fragen nach ihr, aus denen ich ſah, daß er über ihren Zuſtand vollkommen unterrichtet war.
So ſtanden die Sachen. Der Sommer war zu Ende; der Herbſt kam mit Sturm und Regen, und die dürren Blätter wehten von den Bäumen. Es war an einem Nachmittage, Harald war ein paar Tage verreiſt geweſen; ich war mit Marie im Garten und ſuchte ihr Troſt zuzuſprechen, da ſie heute ganz beſonders traurig war. Da ſchaute plötzlich ein Scha¬ cher-Jude über das Stacket und ſchrie, als er uns erblickte, in den Garten hinein: nichts zu handeln? nichts zu handeln? Ich brauchte gerade, ich weiß nicht mehr was, und ſo rief ich ihn. Er kam. Es war ein alter, ſchmutziger, ſchlottriger Menſch, mit einem weißen Bart und einer Brille mit blauen Glä¬ ſern über den Angen. Er kramte ſeine Waaren aus, und weil die Sachen hübſcher waren, wie ſie dieſe Leute ſonſt wol führen, ſo kauften Marie und ich ihm
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Sie ſelbſt, daß ich wohl ewig werde ſchweigen
müſſen.“
Sie kam faſt nicht mehr von meiner Seite, und
was Harald betrifft, ſo ſchien er in der letzten Zeit
ganz vergeſſen zu haben, daß Marie noch auf dem
Schloſſe war. Nur manchmal, wenn ich mit ihm
allein war, erkundigte er ſich in kurzen, abgeriſſenen
Fragen nach ihr, aus denen ich ſah, daß er über
ihren Zuſtand vollkommen unterrichtet war.
So ſtanden die Sachen. Der Sommer war zu
Ende; der Herbſt kam mit Sturm und Regen, und
die dürren Blätter wehten von den Bäumen. Es
war an einem Nachmittage, Harald war ein paar
Tage verreiſt geweſen; ich war mit Marie im Garten
und ſuchte ihr Troſt zuzuſprechen, da ſie heute ganz
beſonders traurig war. Da ſchaute plötzlich ein Scha¬
cher-Jude über das Stacket und ſchrie, als er uns
erblickte, in den Garten hinein: nichts zu handeln?
nichts zu handeln? Ich brauchte gerade, ich weiß
nicht mehr was, und ſo rief ich ihn. Er kam. Es
war ein alter, ſchmutziger, ſchlottriger Menſch, mit
einem weißen Bart und einer Brille mit blauen Glä¬
ſern über den Angen. Er kramte ſeine Waaren aus,
und weil die Sachen hübſcher waren, wie ſie dieſe
Leute ſonſt wol führen, ſo kauften Marie und ich ihm
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/261>, abgerufen am 18.07.2024.
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