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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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wir mußten jede Spottrede der Herren mit bitteren
Thränen bezahlen. Ich sage: wir, denn ich hatte die
süße Dirne so lieb, als ob sie mein eigen Kind ge¬
wesen wäre. Und jetzt hatte die Aermste Trost und
Liebe nöthiger als je. Sie wußte schon seit Monaten,
daß sie die Frucht ihrer Liebe zu Harald unter dem
Herzen trüge, und das Schicksal dieses Kindes, ihres
und seines Kindes, bekümmerte sie tausendmal mehr
als ihr eigenes. -- "Was aus mir werden soll,"
sagte sie, "was ist daran gelegen? Ich stürbe lieber
heute wie morgen; aber meines Kindes halber muß
ich leben und will ich leben. Und ich will auch nicht
mehr weinen und klagen; es hilft ja doch zu nichts,
und Harald sagt ja, daß ihm nichts so verhaßt sei,
als verweinte Augen." -- Ich fragte sie, ob sie keine
Eltern, keine Verwandte, keine Freunde hätte, zu denen
sie ihre Zuflucht nehmen könnte. Sie schüttelte traurig
den Kopf: "ich habe Niemand auf der weiten Welt,
Niemand, als Sie, liebe Mutter Clausen, und noch
Einen, der Alles für mich thun würde, wenn er wüßte,
wo ich wäre; aber er weiß es nicht und soll es auch
nie erfahren." -- Ueber ihr früheres Leben sprach sie
nie; "ich habe dem Baron versprochen, darüber zu
schweigen, bis er sich öffentlich mit mir verlobte;
und," setzte sie wehmüthig lächelnd hinzu, "da sehen

wir mußten jede Spottrede der Herren mit bitteren
Thränen bezahlen. Ich ſage: wir, denn ich hatte die
ſüße Dirne ſo lieb, als ob ſie mein eigen Kind ge¬
weſen wäre. Und jetzt hatte die Aermſte Troſt und
Liebe nöthiger als je. Sie wußte ſchon ſeit Monaten,
daß ſie die Frucht ihrer Liebe zu Harald unter dem
Herzen trüge, und das Schickſal dieſes Kindes, ihres
und ſeines Kindes, bekümmerte ſie tauſendmal mehr
als ihr eigenes. — „Was aus mir werden ſoll,“
ſagte ſie, „was iſt daran gelegen? Ich ſtürbe lieber
heute wie morgen; aber meines Kindes halber muß
ich leben und will ich leben. Und ich will auch nicht
mehr weinen und klagen; es hilft ja doch zu nichts,
und Harald ſagt ja, daß ihm nichts ſo verhaßt ſei,
als verweinte Augen.“ — Ich fragte ſie, ob ſie keine
Eltern, keine Verwandte, keine Freunde hätte, zu denen
ſie ihre Zuflucht nehmen könnte. Sie ſchüttelte traurig
den Kopf: „ich habe Niemand auf der weiten Welt,
Niemand, als Sie, liebe Mutter Clauſen, und noch
Einen, der Alles für mich thun würde, wenn er wüßte,
wo ich wäre; aber er weiß es nicht und ſoll es auch
nie erfahren.“ — Ueber ihr früheres Leben ſprach ſie
nie; „ich habe dem Baron verſprochen, darüber zu
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[250/0260] wir mußten jede Spottrede der Herren mit bitteren Thränen bezahlen. Ich ſage: wir, denn ich hatte die ſüße Dirne ſo lieb, als ob ſie mein eigen Kind ge¬ weſen wäre. Und jetzt hatte die Aermſte Troſt und Liebe nöthiger als je. Sie wußte ſchon ſeit Monaten, daß ſie die Frucht ihrer Liebe zu Harald unter dem Herzen trüge, und das Schickſal dieſes Kindes, ihres und ſeines Kindes, bekümmerte ſie tauſendmal mehr als ihr eigenes. — „Was aus mir werden ſoll,“ ſagte ſie, „was iſt daran gelegen? Ich ſtürbe lieber heute wie morgen; aber meines Kindes halber muß ich leben und will ich leben. Und ich will auch nicht mehr weinen und klagen; es hilft ja doch zu nichts, und Harald ſagt ja, daß ihm nichts ſo verhaßt ſei, als verweinte Augen.“ — Ich fragte ſie, ob ſie keine Eltern, keine Verwandte, keine Freunde hätte, zu denen ſie ihre Zuflucht nehmen könnte. Sie ſchüttelte traurig den Kopf: „ich habe Niemand auf der weiten Welt, Niemand, als Sie, liebe Mutter Clauſen, und noch Einen, der Alles für mich thun würde, wenn er wüßte, wo ich wäre; aber er weiß es nicht und ſoll es auch nie erfahren.“ — Ueber ihr früheres Leben ſprach ſie nie; „ich habe dem Baron verſprochen, darüber zu ſchweigen, bis er ſich öffentlich mit mir verlobte; und,“ ſetzte ſie wehmüthig lächelnd hinzu, „da ſehen

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/260>, abgerufen am 22.11.2024.