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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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etwas müde von der heutigen Fahrt." "Wie soll ich
Ihnen Ihre Güte danken, gnädige Frau!" sagte das
Mädchen mit einer so weichen, süßen Stimme, daß
ich mich unwillkürlich umsehen mußte. Die Alte und
das Mädchen standen auf dem Absatz der Treppe.
Der Schein von den drei Kerzen auf dem Armleuchter,
den ich trug, fiel hell auf die Beiden und ich werde
den Anblick nie vergessen, und sollte ich noch einmal
achtzig Jahre leben. So wiederlich häßlich war mir
die Tante noch nie erschienen, und so etwas Holdes
und Schönes, wie die junge Dame, hatte ich im Leben
noch nicht gesehen. "Sie wissen es am besten, liebes
Kind," sagte die Alte und dabei zog sie eine schein¬
heilige Fratze, die sie wo möglich noch häßlicher machte.
"Ich habe nur noch einen Wunsch auf Erden; es steht
bei Ihnen, ob mir dieser Wunsch erfüllt werden soll,
oder nicht." Das Mädchen antwortete nicht, aber
die hellen Thränen traten ihr in die Augen, und dann
beugte sie die schlanke, hohe Gestalt nieder und küßte
der alten Hexe die Hand. "Nun, nun," sagte die,
"Sie sind ein gutes Kind, wir werden uns schon ver¬
stehen, und mein Harald, mein Augapfel, wird noch
glücklich werden. -- Lassen sie sich den Leuchter geben
liebe Marie; ich kenne das Schloß meiner Ahnen noch
recht gut, obgleich ich es nun seit sechzig Jahren nicht

etwas müde von der heutigen Fahrt.“ „Wie ſoll ich
Ihnen Ihre Güte danken, gnädige Frau!“ ſagte das
Mädchen mit einer ſo weichen, ſüßen Stimme, daß
ich mich unwillkürlich umſehen mußte. Die Alte und
das Mädchen ſtanden auf dem Abſatz der Treppe.
Der Schein von den drei Kerzen auf dem Armleuchter,
den ich trug, fiel hell auf die Beiden und ich werde
den Anblick nie vergeſſen, und ſollte ich noch einmal
achtzig Jahre leben. So wiederlich häßlich war mir
die Tante noch nie erſchienen, und ſo etwas Holdes
und Schönes, wie die junge Dame, hatte ich im Leben
noch nicht geſehen. „Sie wiſſen es am beſten, liebes
Kind,“ ſagte die Alte und dabei zog ſie eine ſchein¬
heilige Fratze, die ſie wo möglich noch häßlicher machte.
„Ich habe nur noch einen Wunſch auf Erden; es ſteht
bei Ihnen, ob mir dieſer Wunſch erfüllt werden ſoll,
oder nicht.“ Das Mädchen antwortete nicht, aber
die hellen Thränen traten ihr in die Augen, und dann
beugte ſie die ſchlanke, hohe Geſtalt nieder und küßte
der alten Hexe die Hand. „Nun, nun,“ ſagte die,
„Sie ſind ein gutes Kind, wir werden uns ſchon ver¬
ſtehen, und mein Harald, mein Augapfel, wird noch
glücklich werden. — Laſſen ſie ſich den Leuchter geben
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[232/0242] etwas müde von der heutigen Fahrt.“ „Wie ſoll ich Ihnen Ihre Güte danken, gnädige Frau!“ ſagte das Mädchen mit einer ſo weichen, ſüßen Stimme, daß ich mich unwillkürlich umſehen mußte. Die Alte und das Mädchen ſtanden auf dem Abſatz der Treppe. Der Schein von den drei Kerzen auf dem Armleuchter, den ich trug, fiel hell auf die Beiden und ich werde den Anblick nie vergeſſen, und ſollte ich noch einmal achtzig Jahre leben. So wiederlich häßlich war mir die Tante noch nie erſchienen, und ſo etwas Holdes und Schönes, wie die junge Dame, hatte ich im Leben noch nicht geſehen. „Sie wiſſen es am beſten, liebes Kind,“ ſagte die Alte und dabei zog ſie eine ſchein¬ heilige Fratze, die ſie wo möglich noch häßlicher machte. „Ich habe nur noch einen Wunſch auf Erden; es ſteht bei Ihnen, ob mir dieſer Wunſch erfüllt werden ſoll, oder nicht.“ Das Mädchen antwortete nicht, aber die hellen Thränen traten ihr in die Augen, und dann beugte ſie die ſchlanke, hohe Geſtalt nieder und küßte der alten Hexe die Hand. „Nun, nun,“ ſagte die, „Sie ſind ein gutes Kind, wir werden uns ſchon ver¬ ſtehen, und mein Harald, mein Augapfel, wird noch glücklich werden. — Laſſen ſie ſich den Leuchter geben liebe Marie; ich kenne das Schloß meiner Ahnen noch recht gut, obgleich ich es nun ſeit ſechzig Jahren nicht

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/242>, abgerufen am 27.11.2024.