war, trotzdem sie an einem Stock ging und silbergraue Haare und Augenbrauen hatte. Harald war voller Respect gegen sie; er führte sie an seinem Arm durch alle Zimmer des Schlosses und zeigte ihr Alles ganz genau, besonders die Familienbilder oben im großen Saale, wo auch ihr eigenes hing, wie sie als achtzehn¬ jähriges Mädchen gewesen war. Davor blieben sie stehen und wollten sich todtlachen, und die Alte kriegte den Husten und Harald klopfte sie derb in den Rücken. Ich wußte nicht, weshalb sie so lachten -- ich glaubte, weil aus dem schönen Mädchen ein so häßliches altes Weib geworden war, denn damals ahnte ich noch nichts von dem schändlichen Spiele.
Am Morgen des nächsten Tages ließ der Baron wieder anspannen und die Tante setzte sich zu ihm in den Wagen. "Wir kommen heute Abend wieder," sagte er "wenn es auch spät werden sollte. Wir bringen noch eine junge Dame mit, die Gesellschafterin bei Tante Grenwitz ist. Sie muß das Zimmer nebenan haben, hörst Du, Alte?" "Aber Herr," sagte ich "in der rothen Stube ist die Baronin gestorben und es liegt und steht noch Alles so darin, wie an ihrem Todestage." "So laß Alles ausräumen," sagte er, "hörst Du, Alles, und schaffe es in ein anderes Zimmer und setze dafür andere Möbel hinein. Die junge
war, trotzdem ſie an einem Stock ging und ſilbergraue Haare und Augenbrauen hatte. Harald war voller Reſpect gegen ſie; er führte ſie an ſeinem Arm durch alle Zimmer des Schloſſes und zeigte ihr Alles ganz genau, beſonders die Familienbilder oben im großen Saale, wo auch ihr eigenes hing, wie ſie als achtzehn¬ jähriges Mädchen geweſen war. Davor blieben ſie ſtehen und wollten ſich todtlachen, und die Alte kriegte den Huſten und Harald klopfte ſie derb in den Rücken. Ich wußte nicht, weshalb ſie ſo lachten — ich glaubte, weil aus dem ſchönen Mädchen ein ſo häßliches altes Weib geworden war, denn damals ahnte ich noch nichts von dem ſchändlichen Spiele.
Am Morgen des nächſten Tages ließ der Baron wieder anſpannen und die Tante ſetzte ſich zu ihm in den Wagen. „Wir kommen heute Abend wieder,“ ſagte er „wenn es auch ſpät werden ſollte. Wir bringen noch eine junge Dame mit, die Geſellſchafterin bei Tante Grenwitz iſt. Sie muß das Zimmer nebenan haben, hörſt Du, Alte?“ „Aber Herr,“ ſagte ich „in der rothen Stube iſt die Baronin geſtorben und es liegt und ſteht noch Alles ſo darin, wie an ihrem Todestage.“ „So laß Alles ausräumen,“ ſagte er, „hörſt Du, Alles, und ſchaffe es in ein anderes Zimmer und ſetze dafür andere Möbel hinein. Die junge
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war, trotzdem ſie an einem Stock ging und ſilbergraue
Haare und Augenbrauen hatte. Harald war voller
Reſpect gegen ſie; er führte ſie an ſeinem Arm durch
alle Zimmer des Schloſſes und zeigte ihr Alles ganz
genau, beſonders die Familienbilder oben im großen
Saale, wo auch ihr eigenes hing, wie ſie als achtzehn¬
jähriges Mädchen geweſen war. Davor blieben ſie
ſtehen und wollten ſich todtlachen, und die Alte kriegte
den Huſten und Harald klopfte ſie derb in den Rücken.
Ich wußte nicht, weshalb ſie ſo lachten — ich glaubte,
weil aus dem ſchönen Mädchen ein ſo häßliches altes
Weib geworden war, denn damals ahnte ich noch nichts
von dem ſchändlichen Spiele.
Am Morgen des nächſten Tages ließ der Baron
wieder anſpannen und die Tante ſetzte ſich zu ihm in
den Wagen. „Wir kommen heute Abend wieder,“ ſagte
er „wenn es auch ſpät werden ſollte. Wir bringen
noch eine junge Dame mit, die Geſellſchafterin bei
Tante Grenwitz iſt. Sie muß das Zimmer nebenan
haben, hörſt Du, Alte?“ „Aber Herr,“ ſagte ich „in
der rothen Stube iſt die Baronin geſtorben und es
liegt und ſteht noch Alles ſo darin, wie an ihrem
Todestage.“ „So laß Alles ausräumen,“ ſagte er,
„hörſt Du, Alles, und ſchaffe es in ein anderes Zimmer
und ſetze dafür andere Möbel hinein. Die junge
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/240>, abgerufen am 18.07.2024.
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