"Die Letzte -- ein schöner, unschuldiger Engel, der auch die Teufel hätte bekehren können, aber Ha¬ rald und seine Gesellen waren schlimmer wie die Teufel."
"Wie hieß sie? woher kam sie?"
"Wir nannten sie nur Fräulein Marie; woher sie kam, habe ich nie erfahren, und eben so wenig, wo¬ hin sie ging."
"So hat sie sich nicht das Leben genommen, wie die Leute sagten?"
"Nein, denn dazu war sie zu fromm und gut; sie hätte ihr Kreuz bis Golgatha getragen. O, sie war so jung und schön und so sanft und so lieb, wie meine alten Augen nie, weder vorher noch nachher, etwas gesehen haben. Wenn ich gewußt hätte, daß sie gemeint war, als Baron Harald über dem Weine mit Herrn von Barnewitz um, ich weiß nicht wie viel Tausend Thaler wettete, das Mädchen solle ihm frei¬ willig nach Grenwitz folgen und freiwillig ein Jahr auf dem Schlosse bleiben -- ich hätte sie Alle, wie sie da saßen, mit Gift vergeben, wie schnöde Ratten."
"Und wie fing es Baron Harald an, um seine Wette zu gewinnen?"
"Es ist eine lange Geschichte, Junker, und ich will sie Dir erzählen. Ich sage Dir, wenn alle Tropfen, die draußen fallen, Thränen wären, und alle um das
„Die Letzte — ein ſchöner, unſchuldiger Engel, der auch die Teufel hätte bekehren können, aber Ha¬ rald und ſeine Geſellen waren ſchlimmer wie die Teufel.“
„Wie hieß ſie? woher kam ſie?“
„Wir nannten ſie nur Fräulein Marie; woher ſie kam, habe ich nie erfahren, und eben ſo wenig, wo¬ hin ſie ging.“
„So hat ſie ſich nicht das Leben genommen, wie die Leute ſagten?“
„Nein, denn dazu war ſie zu fromm und gut; ſie hätte ihr Kreuz bis Golgatha getragen. O, ſie war ſo jung und ſchön und ſo ſanft und ſo lieb, wie meine alten Augen nie, weder vorher noch nachher, etwas geſehen haben. Wenn ich gewußt hätte, daß ſie gemeint war, als Baron Harald über dem Weine mit Herrn von Barnewitz um, ich weiß nicht wie viel Tauſend Thaler wettete, das Mädchen ſolle ihm frei¬ willig nach Grenwitz folgen und freiwillig ein Jahr auf dem Schloſſe bleiben — ich hätte ſie Alle, wie ſie da ſaßen, mit Gift vergeben, wie ſchnöde Ratten.“
„Und wie fing es Baron Harald an, um ſeine Wette zu gewinnen?“
„Es iſt eine lange Geſchichte, Junker, und ich will ſie Dir erzählen. Ich ſage Dir, wenn alle Tropfen, die draußen fallen, Thränen wären, und alle um das
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„Die Letzte — ein ſchöner, unſchuldiger Engel,
der auch die Teufel hätte bekehren können, aber Ha¬
rald und ſeine Geſellen waren ſchlimmer wie die Teufel.“
„Wie hieß ſie? woher kam ſie?“
„Wir nannten ſie nur Fräulein Marie; woher ſie
kam, habe ich nie erfahren, und eben ſo wenig, wo¬
hin ſie ging.“
„So hat ſie ſich nicht das Leben genommen, wie
die Leute ſagten?“
„Nein, denn dazu war ſie zu fromm und gut; ſie
hätte ihr Kreuz bis Golgatha getragen. O, ſie war
ſo jung und ſchön und ſo ſanft und ſo lieb, wie
meine alten Augen nie, weder vorher noch nachher,
etwas geſehen haben. Wenn ich gewußt hätte, daß ſie
gemeint war, als Baron Harald über dem Weine mit
Herrn von Barnewitz um, ich weiß nicht wie viel
Tauſend Thaler wettete, das Mädchen ſolle ihm frei¬
willig nach Grenwitz folgen und freiwillig ein Jahr
auf dem Schloſſe bleiben — ich hätte ſie Alle, wie
ſie da ſaßen, mit Gift vergeben, wie ſchnöde Ratten.“
„Und wie fing es Baron Harald an, um ſeine
Wette zu gewinnen?“
„Es iſt eine lange Geſchichte, Junker, und ich will
ſie Dir erzählen. Ich ſage Dir, wenn alle Tropfen,
die draußen fallen, Thränen wären, und alle um das
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/238>, abgerufen am 17.02.2025.
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