Mutter Clausen hatte ihr Strickzeug zur Hand genommen, und strickte wieder wie neulich an einem winzigen Kinderstrümpfchen, emsig, emsig, emsig, daß die Nadeln klapperten. Nur von Zeit zu Zeit schaute sie zu Oswald empor und nickte ihm freundlich zu, als freute sie sich, dab er gar so bequem in dem alten weichen Lehnstuhl säße, hier in der trockenen Stube, während es draußen so unbarm¬ herzig regnete.
"Nicht wahr, Junker, es sitzt sich gut in dem Stuhl?" sagte sie für einen Augenblick das Strickzeug in den Schooß und die rechte Hand auf Oswald's Knie legend. "Die gnädige Frau hat ihn mir ge¬ schenkt, als der Baron gestorben war. Sie konnte den Anblick nicht ertragen, sagte sie, denn sie müsse dabei stets an den Augenblick denken, wo die Leute ihn hereintrugen, als er mit dem Wodan gestürzt war, und hier in diesen Stuhl setzten; und Harald kam herbeigelaufen, und schrie, als er den Vater so bleich und entstellt sah, und sie selbst lief im Zimmer umher und rang die Hände, und ich stand neben dem Baron, und wischte ihm den Todesschweiß von der blassen Stirn. Ich hatte damals keine Zeit zum Weinen, ich wußte es wohl, dab ich hernach Zeit genug dazu haben würde."
Mutter Clauſen hatte ihr Strickzeug zur Hand genommen, und ſtrickte wieder wie neulich an einem winzigen Kinderſtrümpfchen, emſig, emſig, emſig, daß die Nadeln klapperten. Nur von Zeit zu Zeit ſchaute ſie zu Oswald empor und nickte ihm freundlich zu, als freute ſie ſich, daβ er gar ſo bequem in dem alten weichen Lehnſtuhl ſäße, hier in der trockenen Stube, während es draußen ſo unbarm¬ herzig regnete.
„Nicht wahr, Junker, es ſitzt ſich gut in dem Stuhl?“ ſagte ſie für einen Augenblick das Strickzeug in den Schooß und die rechte Hand auf Oswald's Knie legend. „Die gnädige Frau hat ihn mir ge¬ ſchenkt, als der Baron geſtorben war. Sie konnte den Anblick nicht ertragen, ſagte ſie, denn ſie müſſe dabei ſtets an den Augenblick denken, wo die Leute ihn hereintrugen, als er mit dem Wodan geſtürzt war, und hier in dieſen Stuhl ſetzten; und Harald kam herbeigelaufen, und ſchrie, als er den Vater ſo bleich und entſtellt ſah, und ſie ſelbſt lief im Zimmer umher und rang die Hände, und ich ſtand neben dem Baron, und wiſchte ihm den Todesſchweiß von der blaſſen Stirn. Ich hatte damals keine Zeit zum Weinen, ich wußte es wohl, daβ ich hernach Zeit genug dazu haben würde.“
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Mutter Clauſen hatte ihr Strickzeug zur Hand
genommen, und ſtrickte wieder wie neulich an einem
winzigen Kinderſtrümpfchen, emſig, emſig, emſig, daß
die Nadeln klapperten. Nur von Zeit zu Zeit ſchaute
ſie zu Oswald empor und nickte ihm freundlich
zu, als freute ſie ſich, daβ er gar ſo bequem in
dem alten weichen Lehnſtuhl ſäße, hier in der
trockenen Stube, während es draußen ſo unbarm¬
herzig regnete.
„Nicht wahr, Junker, es ſitzt ſich gut in dem
Stuhl?“ ſagte ſie für einen Augenblick das Strickzeug
in den Schooß und die rechte Hand auf Oswald's
Knie legend. „Die gnädige Frau hat ihn mir ge¬
ſchenkt, als der Baron geſtorben war. Sie konnte
den Anblick nicht ertragen, ſagte ſie, denn ſie müſſe
dabei ſtets an den Augenblick denken, wo die Leute
ihn hereintrugen, als er mit dem Wodan geſtürzt
war, und hier in dieſen Stuhl ſetzten; und Harald
kam herbeigelaufen, und ſchrie, als er den Vater ſo
bleich und entſtellt ſah, und ſie ſelbſt lief im Zimmer
umher und rang die Hände, und ich ſtand neben dem
Baron, und wiſchte ihm den Todesſchweiß von der
blaſſen Stirn. Ich hatte damals keine Zeit zum
Weinen, ich wußte es wohl, daβ ich hernach Zeit
genug dazu haben würde.“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/232>, abgerufen am 17.02.2025.
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