Albert brauchte nicht mehr Zeit, sich an einem fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um sein Zelt aufzuschlagen. Und von einer Einrichtung konnte eigentlich bei ihm keine Rede sein. Er überließ es jeder seiner Sachen, deren nicht viele waren, sich in seinem Zimmer einen Platz zu suchen. Wollte der eine Stiefel lieber auf dem Stuhle stehen und der andere mit dem Absatz nach oben auf der Erde liegen -- er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬ zige einigermaßen respectable Kleidungsstück, dessen er sich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬ lancholisch aussehenden Koffers zu einem unförmlichen Bündel geballt, zwischen schmutziger Wäsche sein Da¬ sein zu vergessen, -- er wollte ihn in seinem Ver¬ gnügen nicht stören. Und er selbst, der glückliche Be¬ sitzer all' dieser emancipirten Herrlichkeiten, stand trotz des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes Reißbrett gebeugt und pfiff und sang und zeichnete und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬ suchen, kam, wegen seiner Leichenbittermiene, wie er es nannte, aus.
"Dottore, Dottore!" rief er, "Sie sehen aus, als ob Sie von dem Grog, den ich gestern Abend ge¬ trunken, den wildesten Katzenjammer gehabt hätten! Wahrhaftig, Sie beschämen das Wetter! Die Wolken
Albert brauchte nicht mehr Zeit, ſich an einem fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um ſein Zelt aufzuſchlagen. Und von einer Einrichtung konnte eigentlich bei ihm keine Rede ſein. Er überließ es jeder ſeiner Sachen, deren nicht viele waren, ſich in ſeinem Zimmer einen Platz zu ſuchen. Wollte der eine Stiefel lieber auf dem Stuhle ſtehen und der andere mit dem Abſatz nach oben auf der Erde liegen — er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬ zige einigermaßen reſpectable Kleidungsſtück, deſſen er ſich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬ lancholiſch ausſehenden Koffers zu einem unförmlichen Bündel geballt, zwiſchen ſchmutziger Wäſche ſein Da¬ ſein zu vergeſſen, — er wollte ihn in ſeinem Ver¬ gnügen nicht ſtören. Und er ſelbſt, der glückliche Be¬ ſitzer all' dieſer emancipirten Herrlichkeiten, ſtand trotz des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes Reißbrett gebeugt und pfiff und ſang und zeichnete und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬ ſuchen, kam, wegen ſeiner Leichenbittermiene, wie er es nannte, aus.
„Dottore, Dottore!“ rief er, „Sie ſehen aus, als ob Sie von dem Grog, den ich geſtern Abend ge¬ trunken, den wildeſten Katzenjammer gehabt hätten! Wahrhaftig, Sie beſchämen das Wetter! Die Wolken
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0212"n="202"/><p>Albert brauchte nicht mehr Zeit, ſich an einem<lb/>
fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um ſein<lb/>
Zelt aufzuſchlagen. Und von einer Einrichtung konnte<lb/>
eigentlich bei ihm keine Rede ſein. Er überließ es<lb/>
jeder ſeiner Sachen, deren nicht viele waren, ſich in<lb/>ſeinem Zimmer einen Platz zu ſuchen. Wollte der<lb/>
eine Stiefel lieber auf dem Stuhle ſtehen und der<lb/>
andere mit dem Abſatz nach oben auf der Erde liegen —<lb/>
er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬<lb/>
zige einigermaßen reſpectable Kleidungsſtück, deſſen er<lb/>ſich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬<lb/>
lancholiſch ausſehenden Koffers zu einem unförmlichen<lb/>
Bündel geballt, zwiſchen ſchmutziger Wäſche ſein Da¬<lb/>ſein zu vergeſſen, — er wollte ihn in ſeinem Ver¬<lb/>
gnügen nicht ſtören. Und er ſelbſt, der glückliche Be¬<lb/>ſitzer all' dieſer emancipirten Herrlichkeiten, ſtand trotz<lb/>
des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes<lb/>
Reißbrett gebeugt und pfiff und ſang und zeichnete<lb/>
und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬<lb/>ſuchen, kam, wegen ſeiner Leichenbittermiene, wie er<lb/>
es nannte, aus.</p><lb/><p>„Dottore, Dottore!“ rief er, „Sie ſehen aus, als<lb/>
ob Sie von dem Grog, den ich geſtern Abend ge¬<lb/>
trunken, den wildeſten Katzenjammer gehabt hätten!<lb/>
Wahrhaftig, Sie beſchämen das Wetter! Die Wolken<lb/></p></div></body></text></TEI>
[202/0212]
Albert brauchte nicht mehr Zeit, ſich an einem
fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um ſein
Zelt aufzuſchlagen. Und von einer Einrichtung konnte
eigentlich bei ihm keine Rede ſein. Er überließ es
jeder ſeiner Sachen, deren nicht viele waren, ſich in
ſeinem Zimmer einen Platz zu ſuchen. Wollte der
eine Stiefel lieber auf dem Stuhle ſtehen und der
andere mit dem Abſatz nach oben auf der Erde liegen —
er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬
zige einigermaßen reſpectable Kleidungsſtück, deſſen er
ſich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬
lancholiſch ausſehenden Koffers zu einem unförmlichen
Bündel geballt, zwiſchen ſchmutziger Wäſche ſein Da¬
ſein zu vergeſſen, — er wollte ihn in ſeinem Ver¬
gnügen nicht ſtören. Und er ſelbſt, der glückliche Be¬
ſitzer all' dieſer emancipirten Herrlichkeiten, ſtand trotz
des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes
Reißbrett gebeugt und pfiff und ſang und zeichnete
und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬
ſuchen, kam, wegen ſeiner Leichenbittermiene, wie er
es nannte, aus.
„Dottore, Dottore!“ rief er, „Sie ſehen aus, als
ob Sie von dem Grog, den ich geſtern Abend ge¬
trunken, den wildeſten Katzenjammer gehabt hätten!
Wahrhaftig, Sie beſchämen das Wetter! Die Wolken
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/212>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.