und warfen die Bohnenstangen um und fuhren die Bäume hinauf, und schüttelten und rüttelten an den Aesten, daß die schlanken Zweige hinüber und herüber rauschten.
Dies melancholische Wetter paßte nur zu gut zu Oswald's Stimmung. Seit dem Tage in Barnewitz war eine Veränderung mit ihm vorgegangen, die er sich selbst kaum zu erklären wußte. Es war, als ob ihm plötzlich ein dichter Schleier über die Augen ge¬ fallen wäre, durch den hindurch ihm Alles farblos und reizlos erschien; es war, als ob ihm eine feind¬ liche Hand Wermuth in den Kelch des Lebens gemischt hätte, aus welchem er in der letzten Zeit mit so vollen, gierigen Zügen getrunken. Selbst das Bild der schönen lieben Frau, die in dem Allerheiligsten seines Herzens thronte, schien seine Wunderkraft verloren zu haben. Wo war all' die Seligkeit geblieben, die ihn sonst bei der Erinnerung an sie und an die einzig wonnigen Stunden, die er mit ihr verlebt hatte, erfüllte? wo die ruhelose Sehnsucht nach ihrem Anblick, nach dem Ton ihrer Stimme? wo die fieberhafte Ungeduld, mit der er die Sonne in ihrem Lauf verfolgte und die Nacht herbeiwünschte, unter deren Schutz er sich die enge Treppe, die dicht neben seinem Zimmer in den Garten führte, hinabstahl, um zu ihr zu eilen, die
und warfen die Bohnenſtangen um und fuhren die Bäume hinauf, und ſchüttelten und rüttelten an den Aeſten, daß die ſchlanken Zweige hinüber und herüber rauſchten.
Dies melancholiſche Wetter paßte nur zu gut zu Oswald's Stimmung. Seit dem Tage in Barnewitz war eine Veränderung mit ihm vorgegangen, die er ſich ſelbſt kaum zu erklären wußte. Es war, als ob ihm plötzlich ein dichter Schleier über die Augen ge¬ fallen wäre, durch den hindurch ihm Alles farblos und reizlos erſchien; es war, als ob ihm eine feind¬ liche Hand Wermuth in den Kelch des Lebens gemiſcht hätte, aus welchem er in der letzten Zeit mit ſo vollen, gierigen Zügen getrunken. Selbſt das Bild der ſchönen lieben Frau, die in dem Allerheiligſten ſeines Herzens thronte, ſchien ſeine Wunderkraft verloren zu haben. Wo war all' die Seligkeit geblieben, die ihn ſonſt bei der Erinnerung an ſie und an die einzig wonnigen Stunden, die er mit ihr verlebt hatte, erfüllte? wo die ruheloſe Sehnſucht nach ihrem Anblick, nach dem Ton ihrer Stimme? wo die fieberhafte Ungeduld, mit der er die Sonne in ihrem Lauf verfolgte und die Nacht herbeiwünſchte, unter deren Schutz er ſich die enge Treppe, die dicht neben ſeinem Zimmer in den Garten führte, hinabſtahl, um zu ihr zu eilen, die
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und warfen die Bohnenſtangen um und fuhren die
Bäume hinauf, und ſchüttelten und rüttelten an den
Aeſten, daß die ſchlanken Zweige hinüber und herüber
rauſchten.
Dies melancholiſche Wetter paßte nur zu gut zu
Oswald's Stimmung. Seit dem Tage in Barnewitz
war eine Veränderung mit ihm vorgegangen, die er
ſich ſelbſt kaum zu erklären wußte. Es war, als ob
ihm plötzlich ein dichter Schleier über die Augen ge¬
fallen wäre, durch den hindurch ihm Alles farblos
und reizlos erſchien; es war, als ob ihm eine feind¬
liche Hand Wermuth in den Kelch des Lebens gemiſcht
hätte, aus welchem er in der letzten Zeit mit ſo vollen,
gierigen Zügen getrunken. Selbſt das Bild der ſchönen
lieben Frau, die in dem Allerheiligſten ſeines Herzens
thronte, ſchien ſeine Wunderkraft verloren zu haben.
Wo war all' die Seligkeit geblieben, die ihn ſonſt bei
der Erinnerung an ſie und an die einzig wonnigen
Stunden, die er mit ihr verlebt hatte, erfüllte? wo
die ruheloſe Sehnſucht nach ihrem Anblick, nach dem
Ton ihrer Stimme? wo die fieberhafte Ungeduld, mit
der er die Sonne in ihrem Lauf verfolgte und die
Nacht herbeiwünſchte, unter deren Schutz er ſich die
enge Treppe, die dicht neben ſeinem Zimmer in den
Garten führte, hinabſtahl, um zu ihr zu eilen, die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/208>, abgerufen am 27.11.2024.
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