Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

"Machen Sie nie Verse?" fragte er, indem er das
Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere
Poesien zu enthalten schien.

"Ich?" sagte Herr Timm, einen tiefen Schluck
aus seinem Glase thuend; "bewahre! dazu bin ich
viel zu praktisch. Die praktische Weltanschauung und
die poetische vertragen sich wie Hund und Katze.
Wenn das Kätzchen Poesie gerade am zärtlichsten
miaut, bellt der Hund Prosa mit seiner groben Stimme
dazwischen und die kleine Schwärmerin verstummt.
Warum wollen Sie zum Beispiel Knall und Fall
sterben, wenn Ihnen das "holde Glück", wie Sie es
nennen, verloren geht? Das ist doch so unpraktisch
wie möglich. Warum sagen sie nicht statt: "Dann
laß zurück in Deinen Schooß mich sinken" -- "Dann
laß mich schnell in andre Arme sinken" -- oder der¬
gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt
und vor seinem Auge eine höchst angenehme Perspec¬
tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬
haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man
sich noch allenfalls auf diesem melancholischen Plane¬
ten verschaffen kann, geflissentlich zu verkümmern!
Aber freilich, ich spreche davon, wie ein Blinder von
der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in
Wolkenkukusheim, Alles in Allem, doch besser, als wir

„Machen Sie nie Verſe?“ fragte er, indem er das
Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere
Poeſien zu enthalten ſchien.

„Ich?“ ſagte Herr Timm, einen tiefen Schluck
aus ſeinem Glaſe thuend; „bewahre! dazu bin ich
viel zu praktiſch. Die praktiſche Weltanſchauung und
die poetiſche vertragen ſich wie Hund und Katze.
Wenn das Kätzchen Poeſie gerade am zärtlichſten
miaut, bellt der Hund Proſa mit ſeiner groben Stimme
dazwiſchen und die kleine Schwärmerin verſtummt.
Warum wollen Sie zum Beiſpiel Knall und Fall
ſterben, wenn Ihnen das „holde Glück“, wie Sie es
nennen, verloren geht? Das iſt doch ſo unpraktiſch
wie möglich. Warum ſagen ſie nicht ſtatt: „Dann
laß zurück in Deinen Schooß mich ſinken“ — „Dann
laß mich ſchnell in andre Arme ſinken“ — oder der¬
gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt
und vor ſeinem Auge eine höchſt angenehme Perſpec¬
tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬
haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man
ſich noch allenfalls auf dieſem melancholiſchen Plane¬
ten verſchaffen kann, gefliſſentlich zu verkümmern!
Aber freilich, ich ſpreche davon, wie ein Blinder von
der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in
Wolkenkukusheim, Alles in Allem, doch beſſer, als wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0201" n="191"/>
        <p>&#x201E;Machen Sie nie Ver&#x017F;e?&#x201C; fragte er, indem er das<lb/>
Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere<lb/>
Poe&#x017F;ien zu enthalten &#x017F;chien.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich?&#x201C; &#x017F;agte Herr Timm, einen tiefen Schluck<lb/>
aus &#x017F;einem Gla&#x017F;e thuend; &#x201E;bewahre! dazu bin ich<lb/>
viel zu prakti&#x017F;ch. Die prakti&#x017F;che Weltan&#x017F;chauung und<lb/>
die poeti&#x017F;che vertragen &#x017F;ich wie Hund und Katze.<lb/>
Wenn das Kätzchen Poe&#x017F;ie gerade am zärtlich&#x017F;ten<lb/>
miaut, bellt der Hund Pro&#x017F;a mit &#x017F;einer groben Stimme<lb/>
dazwi&#x017F;chen und die kleine Schwärmerin ver&#x017F;tummt.<lb/>
Warum wollen Sie zum Bei&#x017F;piel Knall und Fall<lb/>
&#x017F;terben, wenn Ihnen das &#x201E;holde Glück&#x201C;, wie Sie es<lb/>
nennen, verloren geht? Das i&#x017F;t doch &#x017F;o unprakti&#x017F;ch<lb/>
wie möglich. Warum &#x017F;agen &#x017F;ie nicht &#x017F;tatt: &#x201E;Dann<lb/>
laß zurück in Deinen Schooß mich &#x017F;inken&#x201C; &#x2014; &#x201E;Dann<lb/>
laß mich &#x017F;chnell in andre Arme &#x017F;inken&#x201C; &#x2014; oder der¬<lb/>
gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt<lb/>
und vor &#x017F;einem Auge eine höch&#x017F;t angenehme Per&#x017F;pec¬<lb/>
tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬<lb/>
haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man<lb/>
&#x017F;ich noch allenfalls auf die&#x017F;em melancholi&#x017F;chen Plane¬<lb/>
ten ver&#x017F;chaffen kann, gefli&#x017F;&#x017F;entlich zu verkümmern!<lb/>
Aber freilich, ich &#x017F;preche davon, wie ein Blinder von<lb/>
der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in<lb/>
Wolkenkukusheim, Alles in Allem, doch be&#x017F;&#x017F;er, als wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0201] „Machen Sie nie Verſe?“ fragte er, indem er das Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere Poeſien zu enthalten ſchien. „Ich?“ ſagte Herr Timm, einen tiefen Schluck aus ſeinem Glaſe thuend; „bewahre! dazu bin ich viel zu praktiſch. Die praktiſche Weltanſchauung und die poetiſche vertragen ſich wie Hund und Katze. Wenn das Kätzchen Poeſie gerade am zärtlichſten miaut, bellt der Hund Proſa mit ſeiner groben Stimme dazwiſchen und die kleine Schwärmerin verſtummt. Warum wollen Sie zum Beiſpiel Knall und Fall ſterben, wenn Ihnen das „holde Glück“, wie Sie es nennen, verloren geht? Das iſt doch ſo unpraktiſch wie möglich. Warum ſagen ſie nicht ſtatt: „Dann laß zurück in Deinen Schooß mich ſinken“ — „Dann laß mich ſchnell in andre Arme ſinken“ — oder der¬ gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt und vor ſeinem Auge eine höchſt angenehme Perſpec¬ tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬ haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man ſich noch allenfalls auf dieſem melancholiſchen Plane¬ ten verſchaffen kann, gefliſſentlich zu verkümmern! Aber freilich, ich ſpreche davon, wie ein Blinder von der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in Wolkenkukusheim, Alles in Allem, doch beſſer, als wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/201
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/201>, abgerufen am 25.11.2024.