"Machen Sie nie Verse?" fragte er, indem er das Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere Poesien zu enthalten schien.
"Ich?" sagte Herr Timm, einen tiefen Schluck aus seinem Glase thuend; "bewahre! dazu bin ich viel zu praktisch. Die praktische Weltanschauung und die poetische vertragen sich wie Hund und Katze. Wenn das Kätzchen Poesie gerade am zärtlichsten miaut, bellt der Hund Prosa mit seiner groben Stimme dazwischen und die kleine Schwärmerin verstummt. Warum wollen Sie zum Beispiel Knall und Fall sterben, wenn Ihnen das "holde Glück", wie Sie es nennen, verloren geht? Das ist doch so unpraktisch wie möglich. Warum sagen sie nicht statt: "Dann laß zurück in Deinen Schooß mich sinken" -- "Dann laß mich schnell in andre Arme sinken" -- oder der¬ gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt und vor seinem Auge eine höchst angenehme Perspec¬ tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬ haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man sich noch allenfalls auf diesem melancholischen Plane¬ ten verschaffen kann, geflissentlich zu verkümmern! Aber freilich, ich spreche davon, wie ein Blinder von der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in Wolkenkukusheim, Alles in Allem, doch besser, als wir
„Machen Sie nie Verſe?“ fragte er, indem er das Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere Poeſien zu enthalten ſchien.
„Ich?“ ſagte Herr Timm, einen tiefen Schluck aus ſeinem Glaſe thuend; „bewahre! dazu bin ich viel zu praktiſch. Die praktiſche Weltanſchauung und die poetiſche vertragen ſich wie Hund und Katze. Wenn das Kätzchen Poeſie gerade am zärtlichſten miaut, bellt der Hund Proſa mit ſeiner groben Stimme dazwiſchen und die kleine Schwärmerin verſtummt. Warum wollen Sie zum Beiſpiel Knall und Fall ſterben, wenn Ihnen das „holde Glück“, wie Sie es nennen, verloren geht? Das iſt doch ſo unpraktiſch wie möglich. Warum ſagen ſie nicht ſtatt: „Dann laß zurück in Deinen Schooß mich ſinken“ — „Dann laß mich ſchnell in andre Arme ſinken“ — oder der¬ gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt und vor ſeinem Auge eine höchſt angenehme Perſpec¬ tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬ haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man ſich noch allenfalls auf dieſem melancholiſchen Plane¬ ten verſchaffen kann, gefliſſentlich zu verkümmern! Aber freilich, ich ſpreche davon, wie ein Blinder von der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in Wolkenkukusheim, Alles in Allem, doch beſſer, als wir
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„Machen Sie nie Verſe?“ fragte er, indem er das
Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere
Poeſien zu enthalten ſchien.
„Ich?“ ſagte Herr Timm, einen tiefen Schluck
aus ſeinem Glaſe thuend; „bewahre! dazu bin ich
viel zu praktiſch. Die praktiſche Weltanſchauung und
die poetiſche vertragen ſich wie Hund und Katze.
Wenn das Kätzchen Poeſie gerade am zärtlichſten
miaut, bellt der Hund Proſa mit ſeiner groben Stimme
dazwiſchen und die kleine Schwärmerin verſtummt.
Warum wollen Sie zum Beiſpiel Knall und Fall
ſterben, wenn Ihnen das „holde Glück“, wie Sie es
nennen, verloren geht? Das iſt doch ſo unpraktiſch
wie möglich. Warum ſagen ſie nicht ſtatt: „Dann
laß zurück in Deinen Schooß mich ſinken“ — „Dann
laß mich ſchnell in andre Arme ſinken“ — oder der¬
gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt
und vor ſeinem Auge eine höchſt angenehme Perſpec¬
tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬
haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man
ſich noch allenfalls auf dieſem melancholiſchen Plane¬
ten verſchaffen kann, gefliſſentlich zu verkümmern!
Aber freilich, ich ſpreche davon, wie ein Blinder von
der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/201>, abgerufen am 18.07.2024.
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