Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

paar handfeste Bursche, die einem in den ersten besten
Hohlweg den Schädel ein ganz klein wenig einschla¬
gen, bedingte Freizügigkeit! George Sand hat ein¬
mal ein hübsches Wort, das einzige, das ich aus
allen ihren vielen Romanen behalten habe, wahr¬
scheinlich weil es mir aus der Seele geschrieben war:
"Was giebt es schöneres, als eine Landstraße!" Ist
das nicht prächtig? Ist das nicht die ganze Poesie,
zum wenigsten die Poesie des Abenteuerlichen in einem
Worte? Ich könnte die Frau küssen für das Wort,
obgleich sie ein Blaustrumpf ist, und ich die blauen
Strümpfe hasse, wie den Teufel, oder vielmehr ärger
als den Teufel, der doch im Grunde nur ein ver¬
kanntes Genie ist und als solches auf die Sympathie
jedes Gebildeten Anspruch machen kann. Aber wenn
Einen in unserer Zeit der Teufel und seine Helfers¬
helfer und Diener auf Erden, die Gläubiger, plagen,
wo soll man hinfliehen vor ihrem Angesicht? Damals,
in der guten alten Zeit, packte man eines schönen
Morgens vor Sonnenaufgang seinen Ränzel, oder in
Ermangelung dessen, sich selbst, marschirte zum Thor
hinaus und war, wenn man nach einer Stunde das
Weichbild der Stadt hinter sich hatte, in Sicherheit,
und, ehe der Abend kam, mußte Einem schon so viel
Abenteuerliches begegnet sein, daß man die alte Stadt

paar handfeſte Burſche, die einem in den erſten beſten
Hohlweg den Schädel ein ganz klein wenig einſchla¬
gen, bedingte Freizügigkeit! George Sand hat ein¬
mal ein hübſches Wort, das einzige, das ich aus
allen ihren vielen Romanen behalten habe, wahr¬
ſcheinlich weil es mir aus der Seele geſchrieben war:
„Was giebt es ſchöneres, als eine Landſtraße!“ Iſt
das nicht prächtig? Iſt das nicht die ganze Poeſie,
zum wenigſten die Poeſie des Abenteuerlichen in einem
Worte? Ich könnte die Frau küſſen für das Wort,
obgleich ſie ein Blauſtrumpf iſt, und ich die blauen
Strümpfe haſſe, wie den Teufel, oder vielmehr ärger
als den Teufel, der doch im Grunde nur ein ver¬
kanntes Genie iſt und als ſolches auf die Sympathie
jedes Gebildeten Anſpruch machen kann. Aber wenn
Einen in unſerer Zeit der Teufel und ſeine Helfers¬
helfer und Diener auf Erden, die Gläubiger, plagen,
wo ſoll man hinfliehen vor ihrem Angeſicht? Damals,
in der guten alten Zeit, packte man eines ſchönen
Morgens vor Sonnenaufgang ſeinen Ränzel, oder in
Ermangelung deſſen, ſich ſelbſt, marſchirte zum Thor
hinaus und war, wenn man nach einer Stunde das
Weichbild der Stadt hinter ſich hatte, in Sicherheit,
und, ehe der Abend kam, mußte Einem ſchon ſo viel
Abenteuerliches begegnet ſein, daß man die alte Stadt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0197" n="187"/>
paar handfe&#x017F;te Bur&#x017F;che, die einem in den er&#x017F;ten be&#x017F;ten<lb/>
Hohlweg den Schädel ein ganz klein wenig ein&#x017F;chla¬<lb/>
gen, bedingte Freizügigkeit! George Sand hat ein¬<lb/>
mal ein hüb&#x017F;ches Wort, das einzige, das ich aus<lb/>
allen ihren vielen Romanen behalten habe, wahr¬<lb/>
&#x017F;cheinlich weil es mir aus der Seele ge&#x017F;chrieben war:<lb/>
&#x201E;Was giebt es &#x017F;chöneres, als eine Land&#x017F;traße!&#x201C; I&#x017F;t<lb/>
das nicht prächtig? I&#x017F;t das nicht die ganze Poe&#x017F;ie,<lb/>
zum wenig&#x017F;ten die Poe&#x017F;ie des Abenteuerlichen in einem<lb/>
Worte? Ich könnte die Frau kü&#x017F;&#x017F;en für das Wort,<lb/>
obgleich &#x017F;ie ein Blau&#x017F;trumpf i&#x017F;t, und ich die blauen<lb/>
Strümpfe ha&#x017F;&#x017F;e, wie den Teufel, oder vielmehr ärger<lb/>
als den Teufel, der doch im Grunde nur ein ver¬<lb/>
kanntes Genie i&#x017F;t und als &#x017F;olches auf die Sympathie<lb/>
jedes Gebildeten An&#x017F;pruch machen kann. Aber wenn<lb/>
Einen in un&#x017F;erer Zeit der Teufel und &#x017F;eine Helfers¬<lb/>
helfer und Diener auf Erden, die Gläubiger, plagen,<lb/>
wo &#x017F;oll man hinfliehen vor ihrem Ange&#x017F;icht? Damals,<lb/>
in der guten alten Zeit, packte man eines &#x017F;chönen<lb/>
Morgens vor Sonnenaufgang &#x017F;einen Ränzel, oder in<lb/>
Ermangelung de&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, mar&#x017F;chirte zum Thor<lb/>
hinaus und war, wenn man nach einer Stunde das<lb/>
Weichbild der Stadt hinter &#x017F;ich hatte, in Sicherheit,<lb/>
und, ehe der Abend kam, mußte Einem &#x017F;chon &#x017F;o viel<lb/>
Abenteuerliches begegnet &#x017F;ein, daß man die alte Stadt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0197] paar handfeſte Burſche, die einem in den erſten beſten Hohlweg den Schädel ein ganz klein wenig einſchla¬ gen, bedingte Freizügigkeit! George Sand hat ein¬ mal ein hübſches Wort, das einzige, das ich aus allen ihren vielen Romanen behalten habe, wahr¬ ſcheinlich weil es mir aus der Seele geſchrieben war: „Was giebt es ſchöneres, als eine Landſtraße!“ Iſt das nicht prächtig? Iſt das nicht die ganze Poeſie, zum wenigſten die Poeſie des Abenteuerlichen in einem Worte? Ich könnte die Frau küſſen für das Wort, obgleich ſie ein Blauſtrumpf iſt, und ich die blauen Strümpfe haſſe, wie den Teufel, oder vielmehr ärger als den Teufel, der doch im Grunde nur ein ver¬ kanntes Genie iſt und als ſolches auf die Sympathie jedes Gebildeten Anſpruch machen kann. Aber wenn Einen in unſerer Zeit der Teufel und ſeine Helfers¬ helfer und Diener auf Erden, die Gläubiger, plagen, wo ſoll man hinfliehen vor ihrem Angeſicht? Damals, in der guten alten Zeit, packte man eines ſchönen Morgens vor Sonnenaufgang ſeinen Ränzel, oder in Ermangelung deſſen, ſich ſelbſt, marſchirte zum Thor hinaus und war, wenn man nach einer Stunde das Weichbild der Stadt hinter ſich hatte, in Sicherheit, und, ehe der Abend kam, mußte Einem ſchon ſo viel Abenteuerliches begegnet ſein, daß man die alte Stadt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/197
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/197>, abgerufen am 24.11.2024.