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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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Verkehr mit dem übermüthigen Gesellen während dessen
Verweilens in Grenwitz auf das Unvermeidlichste zu
beschränken; aber während er jetzt die Umrisse des
hübschen Gesichtes im Geist nachzeichnete, hatte er den
kaum gefaßten Vorsatz schon halb und halb vergessen.
"Wollen Sie einmal ein paar Minuten so sitzen
bleiben?" sagte er, unwillkürlich nach einem Bleistift
greifend, und auf dem ersten Blatte, das ihm auf dem
mit Büchern und Papieren bedeckten Tische in die Hände
fiel, anfangend, Albert's Profil zu skizziren.

"Eine halbe Stunde, wenn Sie wollen," sagte die¬
ser; "ich liege vortrefflich; wenn ich nur dabei rauchen,
sprechen und gelegentlich einen Schluck dieses irdischen
Nektars nehmen darf."

"Lassen Sie sich ja nicht stören," sagte Oswald,
eifrig zeichnend.

"Es ist doch ein merkwürdiger, alter Kasten, dies
Schloß," phantasirte Albert; "ich glaube, ich habe ver¬
dammt wenig Sinn für Romantik, aber ich brauche
nur den Fuß auf die Wendeltreppe zu setzen, die in
diesen Flügel führt und mich umwehen Schauer des
Mittelalters. Selbst meine Sprache wird eine andere,
wie Sie hören, und kriegt einen Beischmack von van
der Velde und Tromlitz. Welche Mauern! man würde
jetzt ein Dutzend daraus machen. Wenn es damals,

Verkehr mit dem übermüthigen Geſellen während deſſen
Verweilens in Grenwitz auf das Unvermeidlichſte zu
beſchränken; aber während er jetzt die Umriſſe des
hübſchen Geſichtes im Geiſt nachzeichnete, hatte er den
kaum gefaßten Vorſatz ſchon halb und halb vergeſſen.
„Wollen Sie einmal ein paar Minuten ſo ſitzen
bleiben?“ ſagte er, unwillkürlich nach einem Bleiſtift
greifend, und auf dem erſten Blatte, das ihm auf dem
mit Büchern und Papieren bedeckten Tiſche in die Hände
fiel, anfangend, Albert's Profil zu ſkizziren.

„Eine halbe Stunde, wenn Sie wollen,“ ſagte die¬
ſer; „ich liege vortrefflich; wenn ich nur dabei rauchen,
ſprechen und gelegentlich einen Schluck dieſes irdiſchen
Nektars nehmen darf.“

„Laſſen Sie ſich ja nicht ſtören,“ ſagte Oswald,
eifrig zeichnend.

„Es iſt doch ein merkwürdiger, alter Kaſten, dies
Schloß,“ phantaſirte Albert; „ich glaube, ich habe ver¬
dammt wenig Sinn für Romantik, aber ich brauche
nur den Fuß auf die Wendeltreppe zu ſetzen, die in
dieſen Flügel führt und mich umwehen Schauer des
Mittelalters. Selbſt meine Sprache wird eine andere,
wie Sie hören, und kriegt einen Beiſchmack von van
der Velde und Tromlitz. Welche Mauern! man würde
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[185/0195] Verkehr mit dem übermüthigen Geſellen während deſſen Verweilens in Grenwitz auf das Unvermeidlichſte zu beſchränken; aber während er jetzt die Umriſſe des hübſchen Geſichtes im Geiſt nachzeichnete, hatte er den kaum gefaßten Vorſatz ſchon halb und halb vergeſſen. „Wollen Sie einmal ein paar Minuten ſo ſitzen bleiben?“ ſagte er, unwillkürlich nach einem Bleiſtift greifend, und auf dem erſten Blatte, das ihm auf dem mit Büchern und Papieren bedeckten Tiſche in die Hände fiel, anfangend, Albert's Profil zu ſkizziren. „Eine halbe Stunde, wenn Sie wollen,“ ſagte die¬ ſer; „ich liege vortrefflich; wenn ich nur dabei rauchen, ſprechen und gelegentlich einen Schluck dieſes irdiſchen Nektars nehmen darf.“ „Laſſen Sie ſich ja nicht ſtören,“ ſagte Oswald, eifrig zeichnend. „Es iſt doch ein merkwürdiger, alter Kaſten, dies Schloß,“ phantaſirte Albert; „ich glaube, ich habe ver¬ dammt wenig Sinn für Romantik, aber ich brauche nur den Fuß auf die Wendeltreppe zu ſetzen, die in dieſen Flügel führt und mich umwehen Schauer des Mittelalters. Selbſt meine Sprache wird eine andere, wie Sie hören, und kriegt einen Beiſchmack von van der Velde und Tromlitz. Welche Mauern! man würde jetzt ein Dutzend daraus machen. Wenn es damals,

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/195>, abgerufen am 25.11.2024.