"Au contraire! Sie mich braucht, weil Sie muß. Sie würde mir heute geben mon conge lieber als morgen. Sie mich hat gern, weil ich nicht habe nöthig viel Schlaf und weil ich esse wenig."
"Na, da werde ich nie ihr Liebling werden," sagte Herr Timm. "Aber Sie armes Kind, da sind Sie ja in einer schauderhaften Situation. Viel Arbeiten und keinen Dank dafür; früh Aufstehen und dafür spät zu Bette gehen; den ganzen Tag dreschen müssen, wie das gutmüthige Thier in der Bibel, ohne die demselben verstattete Freiheit -- das halte ein Andrer aus. Sie sollten sich verheirathen, Mademoiselle."
Marguerite zuckte die Achseln: "Wer wird wollen mich 'eirathen? Je suis si pauvre et si laide!"
"Was ist das?"
"Ich sage: ich bin arm und ich bin äßlich."
"Das Erstere will ich zugeben," sagte Herr Timm; "das Zweite ist aber eine arge Verleumdung. Sie häßlich! Au contraire: Sie sind hübsch, Mademoi¬ selle, tres hübsch, belle, sehr belle --"
"Vous plaisantez, Monsieur!"
"Ohne Spaß!" sagte Herr Timm, "Sie sind wirklich ein auffallend hübsches Mädchen. Erstens haben Sie eine reizende Figur --"
"Trop petite," sagte Marguerite.
F. Spielhagen, Problematische Naturen, II. 12
„Au contraire! Sie mich braucht, weil Sie muß. Sie würde mir heute geben mon congé lieber als morgen. Sie mich hat gern, weil ich nicht habe nöthig viel Schlaf und weil ich eſſe wenig.“
„Na, da werde ich nie ihr Liebling werden,“ ſagte Herr Timm. „Aber Sie armes Kind, da ſind Sie ja in einer ſchauderhaften Situation. Viel Arbeiten und keinen Dank dafür; früh Aufſtehen und dafür ſpät zu Bette gehen; den ganzen Tag dreſchen müſſen, wie das gutmüthige Thier in der Bibel, ohne die demſelben verſtattete Freiheit — das halte ein Andrer aus. Sie ſollten ſich verheirathen, Mademoiſelle.“
Marguerite zuckte die Achſeln: „Wer wird wollen mich 'eirathen? Je suis si pauvre et si laide!“
„Was iſt das?“
„Ich ſage: ich bin arm und ich bin äßlich.“
„Das Erſtere will ich zugeben,“ ſagte Herr Timm; „das Zweite iſt aber eine arge Verleumdung. Sie häßlich! Au contraire: Sie ſind hübſch, Mademoi¬ ſelle, très hübſch, belle, ſehr belle —“
„Vous plaisantez, Monsieur!“
„Ohne Spaß!“ ſagte Herr Timm, „Sie ſind wirklich ein auffallend hübſches Mädchen. Erſtens haben Sie eine reizende Figur —“
„Trop petite,“ ſagte Marguerite.
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen, II. 12
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„Au contraire! Sie mich braucht, weil Sie muß.
Sie würde mir heute geben mon congé lieber als
morgen. Sie mich hat gern, weil ich nicht habe nöthig
viel Schlaf und weil ich eſſe wenig.“
„Na, da werde ich nie ihr Liebling werden,“ ſagte
Herr Timm. „Aber Sie armes Kind, da ſind Sie
ja in einer ſchauderhaften Situation. Viel Arbeiten
und keinen Dank dafür; früh Aufſtehen und dafür
ſpät zu Bette gehen; den ganzen Tag dreſchen müſſen,
wie das gutmüthige Thier in der Bibel, ohne die
demſelben verſtattete Freiheit — das halte ein Andrer
aus. Sie ſollten ſich verheirathen, Mademoiſelle.“
Marguerite zuckte die Achſeln: „Wer wird wollen
mich 'eirathen? Je suis si pauvre et si laide!“
„Was iſt das?“
„Ich ſage: ich bin arm und ich bin äßlich.“
„Das Erſtere will ich zugeben,“ ſagte Herr Timm;
„das Zweite iſt aber eine arge Verleumdung. Sie
häßlich! Au contraire: Sie ſind hübſch, Mademoi¬
ſelle, très hübſch, belle, ſehr belle —“
„Vous plaisantez, Monsieur!“
„Ohne Spaß!“ ſagte Herr Timm, „Sie ſind
wirklich ein auffallend hübſches Mädchen. Erſtens
haben Sie eine reizende Figur —“
„Trop petite,“ ſagte Marguerite.
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen, II. 12
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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