Sie auch von der Unschuld des jungen Mannes so fest überzeugt?"
"Ich würde nicht der Wahrheit die Ehre geben," sagte dieser mit der Miene und dem Ton herzinnigsten Bedauerns, "wollte ich leugnen, aus seinem Munde Aeußerungen vernommen zu haben, die an das Ge¬ biet des Frivolen, ja ich möchte sagen Unheiligen nahe genug streiften, um mich, ich darf wohl sagen -- recht schmerzlich zu berühren. Aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß auch ein späterhin trefflicher Wein in der Zeit der Gährung unschmackhaft und trübe ist, und vertraute der Allgüte dessen, der aus dem Saulus einen Paulus machte."
"Das ist sehr schön und christlich," sagte die Ba¬ ronin, "beruhigt mich aber keineswegs. Wenn die Seele meines Kindes einmal vergiftet ist, kann es mir gleichgültig sein, ob der Vergifter später seinen Frevel bereut; und ich gestehe: nach den Ereignissen des ge¬ strigen Tages hat sich der Verdacht, den ich, ohne Uebertreibung, von dem ersten Augenblicke an gegen Stein nährte, fast bis zur Gewißheit gesteigert."
"Ist etwas Besonderes vorgefallen, Gnädigste?" fragte der Pastor, mit seinem Stuhle einen halben Zoll näher rückend.
"Ich spreche nicht gern darüber," antwortete die
Sie auch von der Unſchuld des jungen Mannes ſo feſt überzeugt?“
„Ich würde nicht der Wahrheit die Ehre geben,“ ſagte dieſer mit der Miene und dem Ton herzinnigſten Bedauerns, „wollte ich leugnen, aus ſeinem Munde Aeußerungen vernommen zu haben, die an das Ge¬ biet des Frivolen, ja ich möchte ſagen Unheiligen nahe genug ſtreiften, um mich, ich darf wohl ſagen — recht ſchmerzlich zu berühren. Aber ich tröſtete mich mit dem Gedanken, daß auch ein ſpäterhin trefflicher Wein in der Zeit der Gährung unſchmackhaft und trübe iſt, und vertraute der Allgüte deſſen, der aus dem Saulus einen Paulus machte.“
„Das iſt ſehr ſchön und chriſtlich,“ ſagte die Ba¬ ronin, „beruhigt mich aber keineswegs. Wenn die Seele meines Kindes einmal vergiftet iſt, kann es mir gleichgültig ſein, ob der Vergifter ſpäter ſeinen Frevel bereut; und ich geſtehe: nach den Ereigniſſen des ge¬ ſtrigen Tages hat ſich der Verdacht, den ich, ohne Uebertreibung, von dem erſten Augenblicke an gegen Stein nährte, faſt bis zur Gewißheit geſteigert.“
„Iſt etwas Beſonderes vorgefallen, Gnädigſte?“ fragte der Paſtor, mit ſeinem Stuhle einen halben Zoll näher rückend.
„Ich ſpreche nicht gern darüber,“ antwortete die
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Sie auch von der Unſchuld des jungen Mannes ſo
feſt überzeugt?“
„Ich würde nicht der Wahrheit die Ehre geben,“
ſagte dieſer mit der Miene und dem Ton herzinnigſten
Bedauerns, „wollte ich leugnen, aus ſeinem Munde
Aeußerungen vernommen zu haben, die an das Ge¬
biet des Frivolen, ja ich möchte ſagen Unheiligen nahe
genug ſtreiften, um mich, ich darf wohl ſagen — recht
ſchmerzlich zu berühren. Aber ich tröſtete mich mit
dem Gedanken, daß auch ein ſpäterhin trefflicher
Wein in der Zeit der Gährung unſchmackhaft und
trübe iſt, und vertraute der Allgüte deſſen, der aus
dem Saulus einen Paulus machte.“
„Das iſt ſehr ſchön und chriſtlich,“ ſagte die Ba¬
ronin, „beruhigt mich aber keineswegs. Wenn die
Seele meines Kindes einmal vergiftet iſt, kann es mir
gleichgültig ſein, ob der Vergifter ſpäter ſeinen Frevel
bereut; und ich geſtehe: nach den Ereigniſſen des ge¬
ſtrigen Tages hat ſich der Verdacht, den ich, ohne
Uebertreibung, von dem erſten Augenblicke an gegen
Stein nährte, faſt bis zur Gewißheit geſteigert.“
„Iſt etwas Beſonderes vorgefallen, Gnädigſte?“
fragte der Paſtor, mit ſeinem Stuhle einen halben
Zoll näher rückend.
„Ich ſpreche nicht gern darüber,“ antwortete die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/160>, abgerufen am 16.02.2025.
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