Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem ich mit so vollen, durstigen Zügen schlürfe.
Oswald spotte meiner nicht!"

"Ich spotte Deiner nicht, Melitta; ich bin von
Deiner Liebe überzeugt, trotz dem, daß ich sie, weiß
Gott, wenig verdiene; ich weiß, daß Deine Liebe de¬
müthig ist, wie es die Liebe ist, die Alles duldet und
Alles glaubt, und nimmer aufhören wird -- aber sieh,
Du Theure, das ist ja eben der Fluch dieser ver¬
ruchten Institutionen, daß sie Haß und Zwietracht und
Mißtrauen säen in die Herzen der Menschen, selbst
in solche Herzen, die von Gott für einander geschaffen
scheinen. Und dieser giftige Samen wuchert auf und
überwuchert der Liebe rothe Rosen. Ich schelte Dich
nicht, daß dem so ist, ich schelte überhaupt keinen
Einzelnen, der ja, ohne es vielleicht zu wissen, unter
dieser naturwidrigen Trennung ebenso leidet wie ich.
Aber daß dem so ist, davon sei überzeugt. Nie wird
der Katholik in dem Protestanten, nie der Adlige in
dem Bürgerlichen, nie der Christ in dem Juden und
umgekehrt wahrhaft seines Gleichen sehen -- seinen
Bruder! Nathan's frommer Wunsch, daß es dem
Menschen doch endlich genügen möchte, ein Mensch zu
sein, ist noch lange nicht erfüllt, wer weiß, ob er in
Jahrhunderten erfüllt sein, ob er sich auch nur jemals
erfüllen wird."

aus dem ich mit ſo vollen, durſtigen Zügen ſchlürfe.
Oswald ſpotte meiner nicht!“

„Ich ſpotte Deiner nicht, Melitta; ich bin von
Deiner Liebe überzeugt, trotz dem, daß ich ſie, weiß
Gott, wenig verdiene; ich weiß, daß Deine Liebe de¬
müthig iſt, wie es die Liebe iſt, die Alles duldet und
Alles glaubt, und nimmer aufhören wird — aber ſieh,
Du Theure, das iſt ja eben der Fluch dieſer ver¬
ruchten Inſtitutionen, daß ſie Haß und Zwietracht und
Mißtrauen ſäen in die Herzen der Menſchen, ſelbſt
in ſolche Herzen, die von Gott für einander geſchaffen
ſcheinen. Und dieſer giftige Samen wuchert auf und
überwuchert der Liebe rothe Roſen. Ich ſchelte Dich
nicht, daß dem ſo iſt, ich ſchelte überhaupt keinen
Einzelnen, der ja, ohne es vielleicht zu wiſſen, unter
dieſer naturwidrigen Trennung ebenſo leidet wie ich.
Aber daß dem ſo iſt, davon ſei überzeugt. Nie wird
der Katholik in dem Proteſtanten, nie der Adlige in
dem Bürgerlichen, nie der Chriſt in dem Juden und
umgekehrt wahrhaft ſeines Gleichen ſehen — ſeinen
Bruder! Nathan's frommer Wunſch, daß es dem
Menſchen doch endlich genügen möchte, ein Menſch zu
ſein, iſt noch lange nicht erfüllt, wer weiß, ob er in
Jahrhunderten erfüllt ſein, ob er ſich auch nur jemals
erfüllen wird.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="5"/>
aus dem ich mit &#x017F;o vollen, dur&#x017F;tigen Zügen &#x017F;chlürfe.<lb/>
Oswald &#x017F;potte meiner nicht!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;potte Deiner nicht, Melitta; ich bin von<lb/>
Deiner Liebe überzeugt, trotz dem, daß ich &#x017F;ie, weiß<lb/>
Gott, wenig verdiene; ich weiß, daß Deine Liebe de¬<lb/>
müthig i&#x017F;t, wie es die Liebe i&#x017F;t, die Alles duldet und<lb/>
Alles glaubt, und nimmer aufhören wird &#x2014; aber &#x017F;ieh,<lb/>
Du Theure, das i&#x017F;t ja eben der Fluch die&#x017F;er ver¬<lb/>
ruchten In&#x017F;titutionen, daß &#x017F;ie Haß und Zwietracht und<lb/>
Mißtrauen &#x017F;äen in die Herzen der Men&#x017F;chen, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
in &#x017F;olche Herzen, die von Gott für einander ge&#x017F;chaffen<lb/>
&#x017F;cheinen. Und die&#x017F;er giftige Samen wuchert auf und<lb/>
überwuchert der Liebe rothe Ro&#x017F;en. Ich &#x017F;chelte Dich<lb/>
nicht, daß dem &#x017F;o i&#x017F;t, ich &#x017F;chelte überhaupt keinen<lb/>
Einzelnen, der ja, ohne es vielleicht zu wi&#x017F;&#x017F;en, unter<lb/>
die&#x017F;er naturwidrigen Trennung eben&#x017F;o leidet wie ich.<lb/>
Aber daß dem &#x017F;o i&#x017F;t, davon &#x017F;ei überzeugt. Nie wird<lb/>
der Katholik in dem Prote&#x017F;tanten, nie der Adlige in<lb/>
dem Bürgerlichen, nie der Chri&#x017F;t in dem Juden und<lb/>
umgekehrt wahrhaft &#x017F;eines Gleichen &#x017F;ehen &#x2014; &#x017F;einen<lb/>
Bruder! Nathan's frommer Wun&#x017F;ch, daß es dem<lb/>
Men&#x017F;chen doch endlich genügen möchte, ein Men&#x017F;ch zu<lb/>
&#x017F;ein, i&#x017F;t noch lange nicht erfüllt, wer weiß, ob er in<lb/>
Jahrhunderten erfüllt &#x017F;ein, ob er &#x017F;ich auch nur jemals<lb/>
erfüllen wird.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0015] aus dem ich mit ſo vollen, durſtigen Zügen ſchlürfe. Oswald ſpotte meiner nicht!“ „Ich ſpotte Deiner nicht, Melitta; ich bin von Deiner Liebe überzeugt, trotz dem, daß ich ſie, weiß Gott, wenig verdiene; ich weiß, daß Deine Liebe de¬ müthig iſt, wie es die Liebe iſt, die Alles duldet und Alles glaubt, und nimmer aufhören wird — aber ſieh, Du Theure, das iſt ja eben der Fluch dieſer ver¬ ruchten Inſtitutionen, daß ſie Haß und Zwietracht und Mißtrauen ſäen in die Herzen der Menſchen, ſelbſt in ſolche Herzen, die von Gott für einander geſchaffen ſcheinen. Und dieſer giftige Samen wuchert auf und überwuchert der Liebe rothe Roſen. Ich ſchelte Dich nicht, daß dem ſo iſt, ich ſchelte überhaupt keinen Einzelnen, der ja, ohne es vielleicht zu wiſſen, unter dieſer naturwidrigen Trennung ebenſo leidet wie ich. Aber daß dem ſo iſt, davon ſei überzeugt. Nie wird der Katholik in dem Proteſtanten, nie der Adlige in dem Bürgerlichen, nie der Chriſt in dem Juden und umgekehrt wahrhaft ſeines Gleichen ſehen — ſeinen Bruder! Nathan's frommer Wunſch, daß es dem Menſchen doch endlich genügen möchte, ein Menſch zu ſein, iſt noch lange nicht erfüllt, wer weiß, ob er in Jahrhunderten erfüllt ſein, ob er ſich auch nur jemals erfüllen wird.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/15
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/15>, abgerufen am 18.12.2024.