ganze Kraft nöthig haben. Wollte Gott, wir wären Alle schon glücklich wieder hier! Ich entschließe mich wahrlich höchst ungern dazu. Deine angegriffene Ge¬ sundheit -- die Gefahren einer Seereise -- und dann: wird Dir das Bad in Helgoland auch wirklich gut thun? Doctor Braun versichert es freilich, aber wer kann den Aerzten trauen? Schlägt eine Kur an, trium¬ phiren sie, und schlägt sie nicht an, sind nicht sie daran Schuld, sondern der Patient, der sich nicht ordentlich gehalten hat. Und was kümmert es den Herrn Doc¬ tor, ob Du gesund oder krank zurückkommst, ob Du lebst oder stirbst -- aber ich, aber wir --, o Gren¬ witz, was sollte wol aus uns werden, wenn Du uns genommen würdest!"
Die Baronin blickte von ihrer Arbeit empor, und in ihren Augen blickte etwas, das man bei einer an¬ dern Frau für eine Thräne gehalten haben würde.
Der alte Baron erhob sich von seinem Stuhl, trat auf seine Frau zu und küßte sie zärtlich auf die Stirn.
"Du mußt Dir nicht solche Gedanken machen, liebe Anna-Maria," sagte er gütig. "Der liebe Gott wird mich noch nicht so bald sterben lassen; ich bete jeden Morgen zu ihm und danke ihm für jeden neuen Tag, den er mir schenkt, nicht meinethalben, denn ich bin ein alter Mann und sterben müssen wir ja Alle
ganze Kraft nöthig haben. Wollte Gott, wir wären Alle ſchon glücklich wieder hier! Ich entſchließe mich wahrlich höchſt ungern dazu. Deine angegriffene Ge¬ ſundheit — die Gefahren einer Seereiſe — und dann: wird Dir das Bad in Helgoland auch wirklich gut thun? Doctor Braun verſichert es freilich, aber wer kann den Aerzten trauen? Schlägt eine Kur an, trium¬ phiren ſie, und ſchlägt ſie nicht an, ſind nicht ſie daran Schuld, ſondern der Patient, der ſich nicht ordentlich gehalten hat. Und was kümmert es den Herrn Doc¬ tor, ob Du geſund oder krank zurückkommſt, ob Du lebſt oder ſtirbſt — aber ich, aber wir —, o Gren¬ witz, was ſollte wol aus uns werden, wenn Du uns genommen würdeſt!“
Die Baronin blickte von ihrer Arbeit empor, und in ihren Augen blickte etwas, das man bei einer an¬ dern Frau für eine Thräne gehalten haben würde.
Der alte Baron erhob ſich von ſeinem Stuhl, trat auf ſeine Frau zu und küßte ſie zärtlich auf die Stirn.
„Du mußt Dir nicht ſolche Gedanken machen, liebe Anna-Maria,“ ſagte er gütig. „Der liebe Gott wird mich noch nicht ſo bald ſterben laſſen; ich bete jeden Morgen zu ihm und danke ihm für jeden neuen Tag, den er mir ſchenkt, nicht meinethalben, denn ich bin ein alter Mann und ſterben müſſen wir ja Alle
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ganze Kraft nöthig haben. Wollte Gott, wir wären
Alle ſchon glücklich wieder hier! Ich entſchließe mich
wahrlich höchſt ungern dazu. Deine angegriffene Ge¬
ſundheit — die Gefahren einer Seereiſe — und dann:
wird Dir das Bad in Helgoland auch wirklich gut
thun? Doctor Braun verſichert es freilich, aber wer
kann den Aerzten trauen? Schlägt eine Kur an, trium¬
phiren ſie, und ſchlägt ſie nicht an, ſind nicht ſie daran
Schuld, ſondern der Patient, der ſich nicht ordentlich
gehalten hat. Und was kümmert es den Herrn Doc¬
tor, ob Du geſund oder krank zurückkommſt, ob Du
lebſt oder ſtirbſt — aber ich, aber wir —, o Gren¬
witz, was ſollte wol aus uns werden, wenn Du uns
genommen würdeſt!“
Die Baronin blickte von ihrer Arbeit empor, und
in ihren Augen blickte etwas, das man bei einer an¬
dern Frau für eine Thräne gehalten haben würde.
Der alte Baron erhob ſich von ſeinem Stuhl, trat
auf ſeine Frau zu und küßte ſie zärtlich auf die Stirn.
„Du mußt Dir nicht ſolche Gedanken machen,
liebe Anna-Maria,“ ſagte er gütig. „Der liebe Gott
wird mich noch nicht ſo bald ſterben laſſen; ich bete
jeden Morgen zu ihm und danke ihm für jeden neuen
Tag, den er mir ſchenkt, nicht meinethalben, denn ich
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/145>, abgerufen am 18.07.2024.
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