stuhl, in welchem sich Melitta gewiegt hatte. Er er¬ wachte so eben aus einem erquickenden Nachmittags¬ schlaf und schaute mit den alten, glanzlosen Augen freundlich durch die offene Thür auf den Rasenplatz, wo sein Liebling, der Pfau, das prächtige Gefieder im Sonnenschein erglänzen ließ.
"Recht gut!" wiederholte er, die Glieder streckend.
"Aber Du siehst doch sehr angegriffen aus;" sagte die Baronin, die großen, kalten grauen Augen for¬ schend auf die verwitterten Züge des Barons heftend; "diese anspruchsvollen, lärmenden Gesellschaften sind wahres Gift für Dich; und ich habe mir schon, wäh¬ rend Du schliefst, im Stillen rechte Vorwürfe gemacht, daß ich gestern nicht früher zum Aufbruch mahnte."
"Aber ich versichere Dich, liebe Anna-Maria, ich befinde mich vortrefflich, das heißt, nicht schlechter, wie gewöhnlich, oder doch nicht viel schlechter," sagte kleinlaut der gute alte Mann, der schon seit vielen Jahren gewohnt war, den Aussprüchen seiner Anna- Maria, die er über Alles liebte und verehrte, niemals direkt zu wiedersprechen.
"Du mußt Dich in dieser Zeit noch recht in Acht nehmen," sagte diese, wieder emsig nähend; "heute über acht Tage spätestens müssen wir reisen, und Du wirst zu den Strapazen einer so großen Tour Deine
ſtuhl, in welchem ſich Melitta gewiegt hatte. Er er¬ wachte ſo eben aus einem erquickenden Nachmittags¬ ſchlaf und ſchaute mit den alten, glanzloſen Augen freundlich durch die offene Thür auf den Raſenplatz, wo ſein Liebling, der Pfau, das prächtige Gefieder im Sonnenſchein erglänzen ließ.
„Recht gut!“ wiederholte er, die Glieder ſtreckend.
„Aber Du ſiehſt doch ſehr angegriffen aus;“ ſagte die Baronin, die großen, kalten grauen Augen for¬ ſchend auf die verwitterten Züge des Barons heftend; „dieſe anſpruchsvollen, lärmenden Geſellſchaften ſind wahres Gift für Dich; und ich habe mir ſchon, wäh¬ rend Du ſchliefſt, im Stillen rechte Vorwürfe gemacht, daß ich geſtern nicht früher zum Aufbruch mahnte.“
„Aber ich verſichere Dich, liebe Anna-Maria, ich befinde mich vortrefflich, das heißt, nicht ſchlechter, wie gewöhnlich, oder doch nicht viel ſchlechter,“ ſagte kleinlaut der gute alte Mann, der ſchon ſeit vielen Jahren gewohnt war, den Ausſprüchen ſeiner Anna- Maria, die er über Alles liebte und verehrte, niemals direkt zu wiederſprechen.
„Du mußt Dich in dieſer Zeit noch recht in Acht nehmen,“ ſagte dieſe, wieder emſig nähend; „heute über acht Tage ſpäteſtens müſſen wir reiſen, und Du wirſt zu den Strapazen einer ſo großen Tour Deine
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0144"n="134"/>ſtuhl, in welchem ſich Melitta gewiegt hatte. Er er¬<lb/>
wachte ſo eben aus einem erquickenden Nachmittags¬<lb/>ſchlaf und ſchaute mit den alten, glanzloſen Augen<lb/>
freundlich durch die offene Thür auf den Raſenplatz,<lb/>
wo ſein Liebling, der Pfau, das prächtige Gefieder<lb/>
im Sonnenſchein erglänzen ließ.</p><lb/><p>„Recht gut!“ wiederholte er, die Glieder ſtreckend.</p><lb/><p>„Aber Du ſiehſt doch ſehr angegriffen aus;“ſagte<lb/>
die Baronin, die großen, kalten grauen Augen for¬<lb/>ſchend auf die verwitterten Züge des Barons heftend;<lb/>„dieſe anſpruchsvollen, lärmenden Geſellſchaften ſind<lb/>
wahres Gift für Dich; und ich habe mir ſchon, wäh¬<lb/>
rend Du ſchliefſt, im Stillen rechte Vorwürfe gemacht,<lb/>
daß ich geſtern nicht früher zum Aufbruch mahnte.“</p><lb/><p>„Aber ich verſichere Dich, liebe Anna-Maria, ich<lb/>
befinde mich vortrefflich, das heißt, nicht ſchlechter,<lb/>
wie gewöhnlich, oder doch nicht viel ſchlechter,“ſagte<lb/>
kleinlaut der gute alte Mann, der ſchon ſeit vielen<lb/>
Jahren gewohnt war, den Ausſprüchen ſeiner Anna-<lb/>
Maria, die er über Alles liebte und verehrte, niemals<lb/>
direkt zu wiederſprechen.</p><lb/><p>„Du mußt Dich in dieſer Zeit noch recht in Acht<lb/>
nehmen,“ſagte dieſe, wieder emſig nähend; „heute<lb/>
über acht Tage ſpäteſtens müſſen wir reiſen, und Du<lb/>
wirſt zu den Strapazen einer ſo großen Tour Deine<lb/></p></div></body></text></TEI>
[134/0144]
ſtuhl, in welchem ſich Melitta gewiegt hatte. Er er¬
wachte ſo eben aus einem erquickenden Nachmittags¬
ſchlaf und ſchaute mit den alten, glanzloſen Augen
freundlich durch die offene Thür auf den Raſenplatz,
wo ſein Liebling, der Pfau, das prächtige Gefieder
im Sonnenſchein erglänzen ließ.
„Recht gut!“ wiederholte er, die Glieder ſtreckend.
„Aber Du ſiehſt doch ſehr angegriffen aus;“ ſagte
die Baronin, die großen, kalten grauen Augen for¬
ſchend auf die verwitterten Züge des Barons heftend;
„dieſe anſpruchsvollen, lärmenden Geſellſchaften ſind
wahres Gift für Dich; und ich habe mir ſchon, wäh¬
rend Du ſchliefſt, im Stillen rechte Vorwürfe gemacht,
daß ich geſtern nicht früher zum Aufbruch mahnte.“
„Aber ich verſichere Dich, liebe Anna-Maria, ich
befinde mich vortrefflich, das heißt, nicht ſchlechter,
wie gewöhnlich, oder doch nicht viel ſchlechter,“ ſagte
kleinlaut der gute alte Mann, der ſchon ſeit vielen
Jahren gewohnt war, den Ausſprüchen ſeiner Anna-
Maria, die er über Alles liebte und verehrte, niemals
direkt zu wiederſprechen.
„Du mußt Dich in dieſer Zeit noch recht in Acht
nehmen,“ ſagte dieſe, wieder emſig nähend; „heute
über acht Tage ſpäteſtens müſſen wir reiſen, und Du
wirſt zu den Strapazen einer ſo großen Tour Deine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/144>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.