Haide, die sich zwischen Faschwitz und Grenwitz hin¬ zieht, dieselbe Haide, auf der Oswald die alte Frau aus dem Dorfe getroffen hatte. -- Es war noch eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Am östlichen Himmel legte sich ein Purpurstreifen über den andern. Die Luft wehte vom Meere her kühl über das feuchte Moor.
Die kleine Czika hatte sich dicht an den Baron geschmiegt, und war fest eingeschlafen.
"Wie leicht das Kind gekleidet ist," sagte dieser; "es wird sich erkälten in der scharfen Morgenluft."
Er richtete sich in die Höhe, zog seinen Ueberrock aus; hüllte die Kleine hinein, nahm sie auf den Schooß, und legte ihren Kopf an seine Brust.
"So, so!" sagte er gütig, "so, so! und dann zu Oswald, der in Nachdenken über den räthselhaften Charakter des Mannes an seiner Seite versunken, schweigend dagesessen hatte: "Ich komme Ihnen ein ganz klein wenig toll vor; nicht wahr, Doctor?"
"Nein," sagte dieser, den Kopf emporhehend; "nicht im mindesten."
"Das kommt, weil Sie an derselben Krankheit laboriren. Was Andere vor Erstaunen sprachlos macht, erscheint uns ganz natürlich; und was die guten Leute und schlechten Musikanten für ganz selbstver¬
Haide, die ſich zwiſchen Faſchwitz und Grenwitz hin¬ zieht, dieſelbe Haide, auf der Oswald die alte Frau aus dem Dorfe getroffen hatte. — Es war noch eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Am öſtlichen Himmel legte ſich ein Purpurſtreifen über den andern. Die Luft wehte vom Meere her kühl über das feuchte Moor.
Die kleine Czika hatte ſich dicht an den Baron geſchmiegt, und war feſt eingeſchlafen.
„Wie leicht das Kind gekleidet iſt,“ ſagte dieſer; „es wird ſich erkälten in der ſcharfen Morgenluft.“
Er richtete ſich in die Höhe, zog ſeinen Ueberrock aus; hüllte die Kleine hinein, nahm ſie auf den Schooß, und legte ihren Kopf an ſeine Bruſt.
„So, ſo!“ ſagte er gütig, „ſo, ſo! und dann zu Oswald, der in Nachdenken über den räthſelhaften Charakter des Mannes an ſeiner Seite verſunken, ſchweigend dageſeſſen hatte: „Ich komme Ihnen ein ganz klein wenig toll vor; nicht wahr, Doctor?“
„Nein,“ ſagte dieſer, den Kopf emporhehend; „nicht im mindeſten.“
„Das kommt, weil Sie an derſelben Krankheit laboriren. Was Andere vor Erſtaunen ſprachlos macht, erſcheint uns ganz natürlich; und was die guten Leute und ſchlechten Muſikanten für ganz ſelbſtver¬
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Haide, die ſich zwiſchen Faſchwitz und Grenwitz hin¬
zieht, dieſelbe Haide, auf der Oswald die alte Frau
aus dem Dorfe getroffen hatte. — Es war noch eine
halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Am öſtlichen
Himmel legte ſich ein Purpurſtreifen über den andern.
Die Luft wehte vom Meere her kühl über das feuchte
Moor.
Die kleine Czika hatte ſich dicht an den Baron
geſchmiegt, und war feſt eingeſchlafen.
„Wie leicht das Kind gekleidet iſt,“ ſagte dieſer;
„es wird ſich erkälten in der ſcharfen Morgenluft.“
Er richtete ſich in die Höhe, zog ſeinen Ueberrock
aus; hüllte die Kleine hinein, nahm ſie auf den
Schooß, und legte ihren Kopf an ſeine Bruſt.
„So, ſo!“ ſagte er gütig, „ſo, ſo! und dann zu
Oswald, der in Nachdenken über den räthſelhaften
Charakter des Mannes an ſeiner Seite verſunken,
ſchweigend dageſeſſen hatte: „Ich komme Ihnen ein
ganz klein wenig toll vor; nicht wahr, Doctor?“
„Nein,“ ſagte dieſer, den Kopf emporhehend;
„nicht im mindeſten.“
„Das kommt, weil Sie an derſelben Krankheit
laboriren. Was Andere vor Erſtaunen ſprachlos
macht, erſcheint uns ganz natürlich; und was die guten
Leute und ſchlechten Muſikanten für ganz ſelbſtver¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/136>, abgerufen am 16.02.2025.
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