"Gedenkst Du noch des Nachmittags am Sumpfes¬ rand, Herr?"
"Ja Isabell."
"Kannst Du die Stelle wiederfinden?"
"Ich glaube ja; -- weshalb?"
"Willst Du, wenn wiederum der volle Mond, wie heute Nacht, am Himmel steht, den schwarzen Mann an diese Stelle führen? O, sage: ja! bei Deiner Liebe zu der schönen, guten Frau, bei den Gebeinen Deiner Mutter beschwöre ich Dich, sage: ja!"
Die Zigeunerin hatte sich abermals vor Oswald auf die Knie geworfen, und blickte, die Hände über den Busen kreuzend, flehend zu ihm empor.
"Steh auf, Isabel;" sagte der junge Mann; "ich will Deinen Wunsch erfüllen, wenn ich kann."
Die Zigeunerin ergriff seine Hände, die er nach ihr ausstreckte, sie vom Boden zu heben, und küßte sie mit leidenschaftlicher Dankbarkeit. Dann sprang sie empor, eilte über die Breite des Weges dem Walde zu, und war im nächsten Augenblicke schon in dem dichten Gestrüpp, durch das sie mit der Kraft und Schnelligkeit des Hirsches brach, verschwunden.
Ehe sich Oswald von dem sprachlosen Erstaunen,
„Ich halte ihn dafür.“
„Gedenkſt Du noch des Nachmittags am Sumpfes¬ rand, Herr?“
„Ja Iſabell.“
„Kannſt Du die Stelle wiederfinden?“
„Ich glaube ja; — weshalb?“
„Willſt Du, wenn wiederum der volle Mond, wie heute Nacht, am Himmel ſteht, den ſchwarzen Mann an dieſe Stelle führen? O, ſage: ja! bei Deiner Liebe zu der ſchönen, guten Frau, bei den Gebeinen Deiner Mutter beſchwöre ich Dich, ſage: ja!“
Die Zigeunerin hatte ſich abermals vor Oswald auf die Knie geworfen, und blickte, die Hände über den Buſen kreuzend, flehend zu ihm empor.
„Steh auf, Iſabel;“ ſagte der junge Mann; „ich will Deinen Wunſch erfüllen, wenn ich kann.“
Die Zigeunerin ergriff ſeine Hände, die er nach ihr ausſtreckte, ſie vom Boden zu heben, und küßte ſie mit leidenſchaftlicher Dankbarkeit. Dann ſprang ſie empor, eilte über die Breite des Weges dem Walde zu, und war im nächſten Augenblicke ſchon in dem dichten Geſtrüpp, durch das ſie mit der Kraft und Schnelligkeit des Hirſches brach, verſchwunden.
Ehe ſich Oswald von dem ſprachloſen Erſtaunen,
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„Ich halte ihn dafür.“
„Gedenkſt Du noch des Nachmittags am Sumpfes¬
rand, Herr?“
„Ja Iſabell.“
„Kannſt Du die Stelle wiederfinden?“
„Ich glaube ja; — weshalb?“
„Willſt Du, wenn wiederum der volle Mond, wie
heute Nacht, am Himmel ſteht, den ſchwarzen Mann
an dieſe Stelle führen? O, ſage: ja! bei Deiner
Liebe zu der ſchönen, guten Frau, bei den Gebeinen
Deiner Mutter beſchwöre ich Dich, ſage: ja!“
Die Zigeunerin hatte ſich abermals vor Oswald
auf die Knie geworfen, und blickte, die Hände über
den Buſen kreuzend, flehend zu ihm empor.
„Steh auf, Iſabel;“ ſagte der junge Mann; „ich
will Deinen Wunſch erfüllen, wenn ich kann.“
Die Zigeunerin ergriff ſeine Hände, die er nach
ihr ausſtreckte, ſie vom Boden zu heben, und küßte
ſie mit leidenſchaftlicher Dankbarkeit. Dann ſprang
ſie empor, eilte über die Breite des Weges dem Walde
zu, und war im nächſten Augenblicke ſchon in dem
dichten Geſtrüpp, durch das ſie mit der Kraft und
Schnelligkeit des Hirſches brach, verſchwunden.
Ehe ſich Oswald von dem ſprachloſen Erſtaunen,
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/132>, abgerufen am 18.07.2024.
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