Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.an der Wand seines Kerkers? warum erhängt sich Nach einer kurzen Pause, während welcher der "Ich bin ein paar Jahre älter, als Sie, und das an der Wand ſeines Kerkers? warum erhängt ſich Nach einer kurzen Pauſe, während welcher der „Ich bin ein paar Jahre älter, als Sie, und das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0127" n="117"/> an der Wand ſeines Kerkers? warum erhängt ſich<lb/> der arme Schelm, der morgen früh hingerichtet wer¬<lb/> den ſoll, nicht heute Nacht ſchon in ſeinen Ketten —<lb/> weil ihr Unglück ſo groß nicht iſt? Pah, glauben Sie<lb/> doch das nicht — einzig und allein, weil noch immer<lb/> ein ſchwacher Schimmer von Hoffnung, von Rettung<lb/> durch die Hölle ihrer Leiden dämmert, wie dort der<lb/> blaſſe Streifen im Oſten. Wenn auch dieſer matte<lb/> Schimmer einmal verlöſchte, dann, ja dann muß die<lb/> alte Mutter Nacht ihr armes, verirrtes Kind wieder¬<lb/> nehmen, die milde, gute, liebevolle Todesnacht.“</p><lb/> <p>Nach einer kurzen Pauſe, während welcher der<lb/> Baron mächtige Dampfwolken aus ſeiner Cigarre ge¬<lb/> blaſen hatte, fuhr er in etwas ruhigerem Tone fort:</p><lb/> <p>„Ich bin ein paar Jahre älter, als Sie, und das<lb/> Geſchick verſtattete mir, in kürzerer Zeit ein größeres<lb/> Stück vom Leben zu ſehen, als es ſonst wohl den<lb/> Menſchen gegeben iſt. Ich habe das, wovon der<lb/> graue Freund dem jungen Wolfgang in Leipzig eine<lb/> möglichſt große Portion wünſchte: Erfahrung. Ich<lb/> könnte, müßte wenigſtens mittlerweile erfahren haben,<lb/> das für mich und Meinesgleichen keine Hoffnung<lb/> mehr im Leben iſt, und dennoch, trotzdem das ich<lb/> ſage: ich habe keine Hoffnung mehr, hoffe ich im<lb/> Stillen doch noch immer auf ein mögliches Glück, wie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [117/0127]
an der Wand ſeines Kerkers? warum erhängt ſich
der arme Schelm, der morgen früh hingerichtet wer¬
den ſoll, nicht heute Nacht ſchon in ſeinen Ketten —
weil ihr Unglück ſo groß nicht iſt? Pah, glauben Sie
doch das nicht — einzig und allein, weil noch immer
ein ſchwacher Schimmer von Hoffnung, von Rettung
durch die Hölle ihrer Leiden dämmert, wie dort der
blaſſe Streifen im Oſten. Wenn auch dieſer matte
Schimmer einmal verlöſchte, dann, ja dann muß die
alte Mutter Nacht ihr armes, verirrtes Kind wieder¬
nehmen, die milde, gute, liebevolle Todesnacht.“
Nach einer kurzen Pauſe, während welcher der
Baron mächtige Dampfwolken aus ſeiner Cigarre ge¬
blaſen hatte, fuhr er in etwas ruhigerem Tone fort:
„Ich bin ein paar Jahre älter, als Sie, und das
Geſchick verſtattete mir, in kürzerer Zeit ein größeres
Stück vom Leben zu ſehen, als es ſonst wohl den
Menſchen gegeben iſt. Ich habe das, wovon der
graue Freund dem jungen Wolfgang in Leipzig eine
möglichſt große Portion wünſchte: Erfahrung. Ich
könnte, müßte wenigſtens mittlerweile erfahren haben,
das für mich und Meinesgleichen keine Hoffnung
mehr im Leben iſt, und dennoch, trotzdem das ich
ſage: ich habe keine Hoffnung mehr, hoffe ich im
Stillen doch noch immer auf ein mögliches Glück, wie
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