andern Wortes mit glücklich bezeichnen, und das wir ihn um so glücklicher nennen müssen, je tiefer diese Vergessenheit ist. The best of life is but intoxi¬ cation, sagt Lord Byron; ja wohl! die Liebe, die Romeo- und Julieliebe, für die man in den Tod geht, wie zu einem heitern Fest, ist auch nur ein Rausch! Schlafen ist besser, als wachen, sagt die Weisheit der Inder; das Beste von allen aber ist der Tod."
"Und doch tödten sich im Verhältniß so wenig Menschen" -- warf Oswald ein.
"Ja, das ist merkwürdig genug," sagte der Baron, "besonders heut' zu Tage, wo die Meisten sich selbst vor den Hamlet-Träumen, die uns in jenem ewigen Schlafe kommen möchten, nicht mehr fürchten."
"Sollte dies nicht ein Beweis dafür sein, daß es mit dem vielgeklagten Unglück dieser Leute so sehr arg nicht sein kann?"
"Vielleicht, vielleicht beweist es aber auch nur, wie schwer es dem Menschen wird, die letzte Hoffnung schwinden zu lassen. Warum schleppt sich der verirrte Wandrer mechanisch weiter durch den tiefen Schnee, warum späht der arme Schiffbrüchige auf Salas y Gomez ein halbes Jahrhundert über die öde Wasser¬ wüste nach dem rettenden Segel? warum zerschellt sich der auf Lebenszeit Eingekerkerte nicht den Kopf
andern Wortes mit glücklich bezeichnen, und das wir ihn um ſo glücklicher nennen müſſen, je tiefer dieſe Vergeſſenheit iſt. The best of life is but intoxi¬ cation, ſagt Lord Byron; ja wohl! die Liebe, die Romeo- und Julieliebe, für die man in den Tod geht, wie zu einem heitern Feſt, iſt auch nur ein Rauſch! Schlafen iſt beſſer, als wachen, ſagt die Weisheit der Inder; das Beſte von allen aber iſt der Tod.“
„Und doch tödten ſich im Verhältniß ſo wenig Menſchen“ — warf Oswald ein.
„Ja, das iſt merkwürdig genug,“ ſagte der Baron, „beſonders heut' zu Tage, wo die Meiſten ſich ſelbſt vor den Hamlet-Träumen, die uns in jenem ewigen Schlafe kommen möchten, nicht mehr fürchten.“
„Sollte dies nicht ein Beweis dafür ſein, daß es mit dem vielgeklagten Unglück dieſer Leute ſo ſehr arg nicht ſein kann?“
„Vielleicht, vielleicht beweiſt es aber auch nur, wie ſchwer es dem Menſchen wird, die letzte Hoffnung ſchwinden zu laſſen. Warum ſchleppt ſich der verirrte Wandrer mechaniſch weiter durch den tiefen Schnee, warum ſpäht der arme Schiffbrüchige auf Salas y Gomez ein halbes Jahrhundert über die öde Waſſer¬ wüſte nach dem rettenden Segel? warum zerſchellt ſich der auf Lebenszeit Eingekerkerte nicht den Kopf
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0126"n="116"/>
andern Wortes mit glücklich bezeichnen, und das wir<lb/>
ihn um ſo glücklicher nennen müſſen, je tiefer dieſe<lb/>
Vergeſſenheit iſt. <hirendition="#aq">The best of life is but intoxi</hi>¬<lb/><hirendition="#aq">cation</hi>, ſagt Lord Byron; ja wohl! die Liebe, die<lb/>
Romeo- und Julieliebe, für die man in den Tod geht,<lb/>
wie zu einem heitern Feſt, iſt auch nur ein Rauſch!<lb/>
Schlafen iſt beſſer, als wachen, ſagt die Weisheit der<lb/>
Inder; das Beſte von allen aber iſt der Tod.“</p><lb/><p>„Und doch tödten ſich im Verhältniß ſo wenig<lb/>
Menſchen“— warf Oswald ein.</p><lb/><p>„Ja, das iſt merkwürdig genug,“ſagte der Baron,<lb/>„beſonders heut' zu Tage, wo die Meiſten ſich ſelbſt<lb/>
vor den Hamlet-Träumen, die uns in jenem ewigen<lb/>
Schlafe kommen möchten, nicht mehr fürchten.“</p><lb/><p>„Sollte dies nicht ein Beweis dafür ſein, daß es<lb/>
mit dem vielgeklagten Unglück dieſer Leute ſo ſehr<lb/>
arg nicht ſein kann?“</p><lb/><p>„Vielleicht, vielleicht beweiſt es aber auch nur, wie<lb/>ſchwer es dem Menſchen wird, die letzte Hoffnung<lb/>ſchwinden zu laſſen. Warum ſchleppt ſich der verirrte<lb/>
Wandrer mechaniſch weiter durch den tiefen Schnee,<lb/>
warum ſpäht der arme Schiffbrüchige auf Salas y<lb/>
Gomez ein halbes Jahrhundert über die öde Waſſer¬<lb/>
wüſte nach dem rettenden Segel? warum zerſchellt<lb/>ſich der auf Lebenszeit Eingekerkerte nicht den Kopf<lb/></p></div></body></text></TEI>
[116/0126]
andern Wortes mit glücklich bezeichnen, und das wir
ihn um ſo glücklicher nennen müſſen, je tiefer dieſe
Vergeſſenheit iſt. The best of life is but intoxi¬
cation, ſagt Lord Byron; ja wohl! die Liebe, die
Romeo- und Julieliebe, für die man in den Tod geht,
wie zu einem heitern Feſt, iſt auch nur ein Rauſch!
Schlafen iſt beſſer, als wachen, ſagt die Weisheit der
Inder; das Beſte von allen aber iſt der Tod.“
„Und doch tödten ſich im Verhältniß ſo wenig
Menſchen“ — warf Oswald ein.
„Ja, das iſt merkwürdig genug,“ ſagte der Baron,
„beſonders heut' zu Tage, wo die Meiſten ſich ſelbſt
vor den Hamlet-Träumen, die uns in jenem ewigen
Schlafe kommen möchten, nicht mehr fürchten.“
„Sollte dies nicht ein Beweis dafür ſein, daß es
mit dem vielgeklagten Unglück dieſer Leute ſo ſehr
arg nicht ſein kann?“
„Vielleicht, vielleicht beweiſt es aber auch nur, wie
ſchwer es dem Menſchen wird, die letzte Hoffnung
ſchwinden zu laſſen. Warum ſchleppt ſich der verirrte
Wandrer mechaniſch weiter durch den tiefen Schnee,
warum ſpäht der arme Schiffbrüchige auf Salas y
Gomez ein halbes Jahrhundert über die öde Waſſer¬
wüſte nach dem rettenden Segel? warum zerſchellt
ſich der auf Lebenszeit Eingekerkerte nicht den Kopf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/126>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.