tönte, zeigte, daß der Tanz wieder begonnen hatte, kam er aus seinem Versteck hervor. Er vermuthete, daß diese Flucht von Stuben auf einem langen Cor¬ ridor enden müsse, den er beim Hinaufgehen in den Speisesaal bemerkt hatte. Er hatte sich nicht getäuscht. Schon aus dem nächsten Zimmer führte eine Thür auf den Corridor. Aus demselben gelangte er auf den Hausflur und von dort, ohne irgend Aufsehen zu erregen, in den Empfangssaal und die Gesellschafts¬ zimmer. Hier und da wurde noch gespielt, aber die meisten Herrschaften hatten sich nach dem Ballsaale begeben, wo demnächst der Cotillon getanzt werden sollte. Dahin begab sich denn auch Oswald. Sein Auge suchte und fand alsbald Emilie von Breesen. Er traute seinen Augen kaum, so ganz schien sie ihm verwandelt; aus dem wilden Mädchen von heute Nachmittag war eine Jungfrau geworden. Sie er¬ schien ihm größer und bedeutender; ihr vorher rosiges Antlitz war jetzt bleich, aber ihre Augen leuchteten mit einem ganz ungewöhnlichen Feuer, und für die Scherze ihres Tänzers hatte sie kein Lächeln mehr. Sobald sie Oswalds ansichtig wurde, zuckte ein Freu¬ denblitz über ihr Gesicht. Eifrig wandte sie sich zu ihm, als er in ihre Nähe trat.
F. Spielhagen, Problematische Naturen. II. 7
tönte, zeigte, daß der Tanz wieder begonnen hatte, kam er aus ſeinem Verſteck hervor. Er vermuthete, daß dieſe Flucht von Stuben auf einem langen Cor¬ ridor enden müſſe, den er beim Hinaufgehen in den Speiſeſaal bemerkt hatte. Er hatte ſich nicht getäuſcht. Schon aus dem nächſten Zimmer führte eine Thür auf den Corridor. Aus demſelben gelangte er auf den Hausflur und von dort, ohne irgend Aufſehen zu erregen, in den Empfangsſaal und die Geſellſchafts¬ zimmer. Hier und da wurde noch geſpielt, aber die meiſten Herrſchaften hatten ſich nach dem Ballſaale begeben, wo demnächſt der Cotillon getanzt werden ſollte. Dahin begab ſich denn auch Oswald. Sein Auge ſuchte und fand alsbald Emilie von Breeſen. Er traute ſeinen Augen kaum, ſo ganz ſchien ſie ihm verwandelt; aus dem wilden Mädchen von heute Nachmittag war eine Jungfrau geworden. Sie er¬ ſchien ihm größer und bedeutender; ihr vorher roſiges Antlitz war jetzt bleich, aber ihre Augen leuchteten mit einem ganz ungewöhnlichen Feuer, und für die Scherze ihres Tänzers hatte ſie kein Lächeln mehr. Sobald ſie Oswalds anſichtig wurde, zuckte ein Freu¬ denblitz über ihr Geſicht. Eifrig wandte ſie ſich zu ihm, als er in ihre Nähe trat.
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 7
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tönte, zeigte, daß der Tanz wieder begonnen hatte,
kam er aus ſeinem Verſteck hervor. Er vermuthete,
daß dieſe Flucht von Stuben auf einem langen Cor¬
ridor enden müſſe, den er beim Hinaufgehen in den
Speiſeſaal bemerkt hatte. Er hatte ſich nicht getäuſcht.
Schon aus dem nächſten Zimmer führte eine Thür
auf den Corridor. Aus demſelben gelangte er auf
den Hausflur und von dort, ohne irgend Aufſehen zu
erregen, in den Empfangsſaal und die Geſellſchafts¬
zimmer. Hier und da wurde noch geſpielt, aber die
meiſten Herrſchaften hatten ſich nach dem Ballſaale
begeben, wo demnächſt der Cotillon getanzt werden
ſollte. Dahin begab ſich denn auch Oswald. Sein
Auge ſuchte und fand alsbald Emilie von Breeſen.
Er traute ſeinen Augen kaum, ſo ganz ſchien ſie ihm
verwandelt; aus dem wilden Mädchen von heute
Nachmittag war eine Jungfrau geworden. Sie er¬
ſchien ihm größer und bedeutender; ihr vorher roſiges
Antlitz war jetzt bleich, aber ihre Augen leuchteten
mit einem ganz ungewöhnlichen Feuer, und für die
Scherze ihres Tänzers hatte ſie kein Lächeln mehr.
Sobald ſie Oswalds anſichtig wurde, zuckte ein Freu¬
denblitz über ihr Geſicht. Eifrig wandte ſie ſich zu
ihm, als er in ihre Nähe trat.
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/107>, abgerufen am 16.02.2025.
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