Kälbchen durch fleißiges Lecken in eine Verfassung zu bringen suchte, wie sie dem Ehrgeize einer respectablen Kuhmutter, die etwas auf sich und die Ihrigen hält, wünschenswerth scheinen mag. Auf dem Dünger vor dem Stalle scharrten die Hühner, unbekümmert um den Streit zweier junger Hähne, die über einen un¬ glücklichen kleinen Käfer, der auf dem Rücken liegend in ruhiger Ergebung sein Schicksal erwartete, in Un¬ frieden gerathen waren. Ein alter Hahn, welcher der Vater der beiden feindlichen Brüder sein mochte, war auf eine Wagendeichsel geflogen und krähte einmal über das andere, entweder aus Freude über den ritterlichen Sinn seiner Sprossen, oder um eine Wolke zu signa¬ lisiren, die eben über das Scheunendach heraufkam. Auf dem einen Ende des Daches saß eine Störchin auf ihrem Nest. Der Storch kam eben herbeigeflogen und brachte die Beute seiner Jagd, eine kleine Schlange, mit nach Hause. Die Störchin klapperte bei diesem Anblick vor Vergnügen, der Storch, im Bewußtsein erfüllter Pflicht, blieb ihr die Antwort nicht schuldig. Von dem kleinen Teiche neben dem Pferdestalle hatten die Enten unter dem Vortritt eines vielerfahrenen Enterichs einen Reihenmarsch quer über den Hof be¬ gonnen, da sich ein ziemlich gut verbürgtes Gerücht
F. Spielhagen, Problematische I 4
Kälbchen durch fleißiges Lecken in eine Verfaſſung zu bringen ſuchte, wie ſie dem Ehrgeize einer reſpectablen Kuhmutter, die etwas auf ſich und die Ihrigen hält, wünſchenswerth ſcheinen mag. Auf dem Dünger vor dem Stalle ſcharrten die Hühner, unbekümmert um den Streit zweier junger Hähne, die über einen un¬ glücklichen kleinen Käfer, der auf dem Rücken liegend in ruhiger Ergebung ſein Schickſal erwartete, in Un¬ frieden gerathen waren. Ein alter Hahn, welcher der Vater der beiden feindlichen Brüder ſein mochte, war auf eine Wagendeichſel geflogen und krähte einmal über das andere, entweder aus Freude über den ritterlichen Sinn ſeiner Sproſſen, oder um eine Wolke zu ſigna¬ liſiren, die eben über das Scheunendach heraufkam. Auf dem einen Ende des Daches ſaß eine Störchin auf ihrem Neſt. Der Storch kam eben herbeigeflogen und brachte die Beute ſeiner Jagd, eine kleine Schlange, mit nach Hauſe. Die Störchin klapperte bei dieſem Anblick vor Vergnügen, der Storch, im Bewußtſein erfüllter Pflicht, blieb ihr die Antwort nicht ſchuldig. Von dem kleinen Teiche neben dem Pferdeſtalle hatten die Enten unter dem Vortritt eines vielerfahrenen Enterichs einen Reihenmarſch quer über den Hof be¬ gonnen, da ſich ein ziemlich gut verbürgtes Gerücht
F. Spielhagen, Problematiſche I 4
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Kälbchen durch fleißiges Lecken in eine Verfaſſung zu
bringen ſuchte, wie ſie dem Ehrgeize einer reſpectablen
Kuhmutter, die etwas auf ſich und die Ihrigen hält,
wünſchenswerth ſcheinen mag. Auf dem Dünger vor
dem Stalle ſcharrten die Hühner, unbekümmert um
den Streit zweier junger Hähne, die über einen un¬
glücklichen kleinen Käfer, der auf dem Rücken liegend
in ruhiger Ergebung ſein Schickſal erwartete, in Un¬
frieden gerathen waren. Ein alter Hahn, welcher der
Vater der beiden feindlichen Brüder ſein mochte, war
auf eine Wagendeichſel geflogen und krähte einmal über
das andere, entweder aus Freude über den ritterlichen
Sinn ſeiner Sproſſen, oder um eine Wolke zu ſigna¬
liſiren, die eben über das Scheunendach heraufkam.
Auf dem einen Ende des Daches ſaß eine Störchin
auf ihrem Neſt. Der Storch kam eben herbeigeflogen
und brachte die Beute ſeiner Jagd, eine kleine Schlange,
mit nach Hauſe. Die Störchin klapperte bei dieſem
Anblick vor Vergnügen, der Storch, im Bewußtſein
erfüllter Pflicht, blieb ihr die Antwort nicht ſchuldig.
Von dem kleinen Teiche neben dem Pferdeſtalle hatten
die Enten unter dem Vortritt eines vielerfahrenen
Enterichs einen Reihenmarſch quer über den Hof be¬
gonnen, da ſich ein ziemlich gut verbürgtes Gerücht
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/59>, abgerufen am 25.11.2024.
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