plötzlich der duftende, lächelnde Frühlingsmorgen her¬ vorblüht, so wechselten Sonnenschein und Sturm in seinem Gemüthe -- übermüthige Lust und an Schwermuth grenzende Niedergeschlagenheit, herzliches, fast kindliches Sichhingeben und düstrer, mehr als knabenhafter Trotz -- schnell und unvermittelt, wie Lichter und Schatten auf den Hängen eines Gebirges an einem Tage, wo der Wind die Wolken pfeilschnell an der Sonne vorüberjagt. So fand Oswald den Knaben, einen Fremdling im Hause seiner Verwandten, von den Einen gehaßt, von den Andern gefürchtet, ein unergründliches Räthsel für Alle, selbst für den alten guten Baron, der dem Knaben, oft mehr aus ange¬ borner Großmuth, als aus Ueberzeugung, stets das Wort redete. Aber für Oswald hatte ein Blick in das traumumflorte dunkle Auge des Knaben genügt, den verwandten Dämon zu erkennen, und der mystische Bund, den sie in jenem Augenblick geschlossen, hatte jede Stunde ihres Zusammenlebens nur gefestigt. Bruno hatte ihm an dem ersten Tage den düstern Trotz entgegengebracht, den er gegen Alle zu zeigen gewohnt war. Er hatte ihn mit scheuem, durchdrin¬ gendem Blick zwei, drei weitere Tage beobachtet, und dann war vor Oswalds liebevollem, freundlichem Wesen der Argwohn von ihm gewichen, wie die Nebel vor
plötzlich der duftende, lächelnde Frühlingsmorgen her¬ vorblüht, ſo wechſelten Sonnenſchein und Sturm in ſeinem Gemüthe — übermüthige Luſt und an Schwermuth grenzende Niedergeſchlagenheit, herzliches, faſt kindliches Sichhingeben und düſtrer, mehr als knabenhafter Trotz — ſchnell und unvermittelt, wie Lichter und Schatten auf den Hängen eines Gebirges an einem Tage, wo der Wind die Wolken pfeilſchnell an der Sonne vorüberjagt. So fand Oswald den Knaben, einen Fremdling im Hauſe ſeiner Verwandten, von den Einen gehaßt, von den Andern gefürchtet, ein unergründliches Räthſel für Alle, ſelbſt für den alten guten Baron, der dem Knaben, oft mehr aus ange¬ borner Großmuth, als aus Ueberzeugung, ſtets das Wort redete. Aber für Oswald hatte ein Blick in das traumumflorte dunkle Auge des Knaben genügt, den verwandten Dämon zu erkennen, und der myſtiſche Bund, den ſie in jenem Augenblick geſchloſſen, hatte jede Stunde ihres Zuſammenlebens nur gefeſtigt. Bruno hatte ihm an dem erſten Tage den düſtern Trotz entgegengebracht, den er gegen Alle zu zeigen gewohnt war. Er hatte ihn mit ſcheuem, durchdrin¬ gendem Blick zwei, drei weitere Tage beobachtet, und dann war vor Oswalds liebevollem, freundlichem Weſen der Argwohn von ihm gewichen, wie die Nebel vor
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0051"n="41"/>
plötzlich der duftende, lächelnde Frühlingsmorgen her¬<lb/>
vorblüht, ſo wechſelten Sonnenſchein und Sturm<lb/>
in ſeinem Gemüthe — übermüthige Luſt und an<lb/>
Schwermuth grenzende Niedergeſchlagenheit, herzliches,<lb/>
faſt kindliches Sichhingeben und düſtrer, mehr als<lb/>
knabenhafter Trotz —ſchnell und unvermittelt, wie<lb/>
Lichter und Schatten auf den Hängen eines Gebirges<lb/>
an einem Tage, wo der Wind die Wolken pfeilſchnell<lb/>
an der Sonne vorüberjagt. So fand Oswald den<lb/>
Knaben, einen Fremdling im Hauſe ſeiner Verwandten,<lb/>
von den Einen gehaßt, von den Andern gefürchtet, ein<lb/>
unergründliches Räthſel für Alle, ſelbſt für den alten<lb/>
guten Baron, der dem Knaben, oft mehr aus ange¬<lb/>
borner Großmuth, als aus Ueberzeugung, ſtets das<lb/>
Wort redete. Aber für Oswald hatte ein Blick in<lb/>
das traumumflorte dunkle Auge des Knaben genügt,<lb/>
den verwandten Dämon zu erkennen, und der myſtiſche<lb/>
Bund, den ſie in jenem Augenblick geſchloſſen, hatte<lb/>
jede Stunde ihres Zuſammenlebens nur gefeſtigt.<lb/>
Bruno hatte ihm an dem erſten Tage den düſtern<lb/>
Trotz entgegengebracht, den er gegen Alle zu zeigen<lb/>
gewohnt war. Er hatte ihn mit ſcheuem, durchdrin¬<lb/>
gendem Blick zwei, drei weitere Tage beobachtet, und<lb/>
dann war vor Oswalds liebevollem, freundlichem Weſen<lb/>
der Argwohn von ihm gewichen, wie die Nebel vor<lb/></p></div></body></text></TEI>
[41/0051]
plötzlich der duftende, lächelnde Frühlingsmorgen her¬
vorblüht, ſo wechſelten Sonnenſchein und Sturm
in ſeinem Gemüthe — übermüthige Luſt und an
Schwermuth grenzende Niedergeſchlagenheit, herzliches,
faſt kindliches Sichhingeben und düſtrer, mehr als
knabenhafter Trotz — ſchnell und unvermittelt, wie
Lichter und Schatten auf den Hängen eines Gebirges
an einem Tage, wo der Wind die Wolken pfeilſchnell
an der Sonne vorüberjagt. So fand Oswald den
Knaben, einen Fremdling im Hauſe ſeiner Verwandten,
von den Einen gehaßt, von den Andern gefürchtet, ein
unergründliches Räthſel für Alle, ſelbſt für den alten
guten Baron, der dem Knaben, oft mehr aus ange¬
borner Großmuth, als aus Ueberzeugung, ſtets das
Wort redete. Aber für Oswald hatte ein Blick in
das traumumflorte dunkle Auge des Knaben genügt,
den verwandten Dämon zu erkennen, und der myſtiſche
Bund, den ſie in jenem Augenblick geſchloſſen, hatte
jede Stunde ihres Zuſammenlebens nur gefeſtigt.
Bruno hatte ihm an dem erſten Tage den düſtern
Trotz entgegengebracht, den er gegen Alle zu zeigen
gewohnt war. Er hatte ihn mit ſcheuem, durchdrin¬
gendem Blick zwei, drei weitere Tage beobachtet, und
dann war vor Oswalds liebevollem, freundlichem Weſen
der Argwohn von ihm gewichen, wie die Nebel vor
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/51>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.