Röllsteine stehend, die Fluth heranbrausen sehen und gejubelt, wenn der Donner der Brandung ihre Stimme übertönte.
Auf diesen Streifzügen, die Oswald scherzend ihre Vorstudien zum Homer nannte, hatte er vielfach Ge¬ legenheit, die Naturen seiner beiden Zöglinge zu beob¬ achten. Ein größerer Gegensatz war kaum denkbar. Bruno war groß für seine Jahre, dabei schlank und geschmeidig und schnell wie ein Hirsch. Malte, der junge Majoratsherr, sah neben seinem stolzen Gefähr¬ ten zurückgeblieben und verkümmert aus. Seine Schul¬ tern waren schmal, seine Brust eingesunken, und seine eckigen und unschönen Bewegungen stachen seltsam gegen die hinreißende wilde Anmuth ab, mit der Bruno ging, lief und sprang. Malte scheute vor jeder Gefahr, ja vor jeder Anstrengung, im Gefühl seiner Körperschwäche und aus angeborner oder anerzogener Feigheit zurück; für Bruno war kein Baum zu hoch, kein Felsen zu steil, kein Graben zu breit, ja es schien, als ob er ge¬ flissentlich die Glut seiner Seele durch körperliche Er¬ müdung dämpfen wollte. Oswald flocht eine Krone aus Buchenlaub und drückte sie dem Knaben auf die bläulich-schwarzen Locken, um ihn einem jungen Bacchan¬ ten noch ähnlicher zu machen. Aber wie in seinem Heimathlande Schweden aus eisiger Winternacht ur¬
Röllſteine ſtehend, die Fluth heranbrauſen ſehen und gejubelt, wenn der Donner der Brandung ihre Stimme übertönte.
Auf dieſen Streifzügen, die Oswald ſcherzend ihre Vorſtudien zum Homer nannte, hatte er vielfach Ge¬ legenheit, die Naturen ſeiner beiden Zöglinge zu beob¬ achten. Ein größerer Gegenſatz war kaum denkbar. Bruno war groß für ſeine Jahre, dabei ſchlank und geſchmeidig und ſchnell wie ein Hirſch. Malte, der junge Majoratsherr, ſah neben ſeinem ſtolzen Gefähr¬ ten zurückgeblieben und verkümmert aus. Seine Schul¬ tern waren ſchmal, ſeine Bruſt eingeſunken, und ſeine eckigen und unſchönen Bewegungen ſtachen ſeltſam gegen die hinreißende wilde Anmuth ab, mit der Bruno ging, lief und ſprang. Malte ſcheute vor jeder Gefahr, ja vor jeder Anſtrengung, im Gefühl ſeiner Körperſchwäche und aus angeborner oder anerzogener Feigheit zurück; für Bruno war kein Baum zu hoch, kein Felſen zu ſteil, kein Graben zu breit, ja es ſchien, als ob er ge¬ fliſſentlich die Glut ſeiner Seele durch körperliche Er¬ müdung dämpfen wollte. Oswald flocht eine Krone aus Buchenlaub und drückte ſie dem Knaben auf die bläulich-ſchwarzen Locken, um ihn einem jungen Bacchan¬ ten noch ähnlicher zu machen. Aber wie in ſeinem Heimathlande Schweden aus eiſiger Winternacht ur¬
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Röllſteine ſtehend, die Fluth heranbrauſen ſehen und
gejubelt, wenn der Donner der Brandung ihre Stimme
übertönte.
Auf dieſen Streifzügen, die Oswald ſcherzend ihre
Vorſtudien zum Homer nannte, hatte er vielfach Ge¬
legenheit, die Naturen ſeiner beiden Zöglinge zu beob¬
achten. Ein größerer Gegenſatz war kaum denkbar.
Bruno war groß für ſeine Jahre, dabei ſchlank und
geſchmeidig und ſchnell wie ein Hirſch. Malte, der
junge Majoratsherr, ſah neben ſeinem ſtolzen Gefähr¬
ten zurückgeblieben und verkümmert aus. Seine Schul¬
tern waren ſchmal, ſeine Bruſt eingeſunken, und ſeine
eckigen und unſchönen Bewegungen ſtachen ſeltſam gegen
die hinreißende wilde Anmuth ab, mit der Bruno ging,
lief und ſprang. Malte ſcheute vor jeder Gefahr, ja
vor jeder Anſtrengung, im Gefühl ſeiner Körperſchwäche
und aus angeborner oder anerzogener Feigheit zurück;
für Bruno war kein Baum zu hoch, kein Felſen zu
ſteil, kein Graben zu breit, ja es ſchien, als ob er ge¬
fliſſentlich die Glut ſeiner Seele durch körperliche Er¬
müdung dämpfen wollte. Oswald flocht eine Krone
aus Buchenlaub und drückte ſie dem Knaben auf die
bläulich-ſchwarzen Locken, um ihn einem jungen Bacchan¬
ten noch ähnlicher zu machen. Aber wie in ſeinem
Heimathlande Schweden aus eiſiger Winternacht ur¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/50>, abgerufen am 24.11.2024.
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