zum Doctor. "Ich sehe zu meinem Schrecken, daß wir schon beinahe bis Berkow gekommen sind. Es ist die höchste Zeit, daß ich zurückkehre."
Der Wagen hielt; Oswald stieg herab.
"Ich hoffe," sagte er, dem Doctor die Hand reichend, "daß dies nicht die einzige und nicht die längste Strecke gewesen ist, die wir auf unserem Lebenswege zusammen fahren oder gehen werden."
"Ich hoffe und wünsche dasselbe," antwortete der Andere, "es scheint mir, als ob wir in unserem Denken und Fühlen manches Gemeinsame haben, und einer wahlverwandten Natur zu begegnen, ist ein viel zu kostbares Glück, als daß man es leichtsinnig verscherzen dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in diese Gegend. Leben Sie wohl indessen."
Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬ schlag in der Ferne; das Licht in der Försterwohnung erlosch, Oswald war allein mit der Nacht und dem Schweigen.
Und alsbald trat das Bild Melitta's vor seine Seele und glitt vor ihm her den schmalen Waldpfad entlang, auf dem er jetzt so heimlich und leise, wie ein Wilddieb, hinschritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬ tung, und blieb erschrocken, wie wenn ein Blitz an seiner Seite eingeschlagen hätte, stehen -- aus dem
zum Doctor. „Ich ſehe zu meinem Schrecken, daß wir ſchon beinahe bis Berkow gekommen ſind. Es iſt die höchſte Zeit, daß ich zurückkehre.“
Der Wagen hielt; Oswald ſtieg herab.
„Ich hoffe,“ ſagte er, dem Doctor die Hand reichend, „daß dies nicht die einzige und nicht die längſte Strecke geweſen iſt, die wir auf unſerem Lebenswege zuſammen fahren oder gehen werden.“
„Ich hoffe und wünſche daſſelbe,“ antwortete der Andere, „es ſcheint mir, als ob wir in unſerem Denken und Fühlen manches Gemeinſame haben, und einer wahlverwandten Natur zu begegnen, iſt ein viel zu koſtbares Glück, als daß man es leichtſinnig verſcherzen dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in dieſe Gegend. Leben Sie wohl indeſſen.“
Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬ ſchlag in der Ferne; das Licht in der Förſterwohnung erloſch, Oswald war allein mit der Nacht und dem Schweigen.
Und alsbald trat das Bild Melitta's vor ſeine Seele und glitt vor ihm her den ſchmalen Waldpfad entlang, auf dem er jetzt ſo heimlich und leiſe, wie ein Wilddieb, hinſchritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬ tung, und blieb erſchrocken, wie wenn ein Blitz an ſeiner Seite eingeſchlagen hätte, ſtehen — aus dem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0305"n="295"/>
zum Doctor. „Ich ſehe zu meinem Schrecken, daß<lb/>
wir ſchon beinahe bis Berkow gekommen ſind. Es iſt<lb/>
die höchſte Zeit, daß ich zurückkehre.“</p><lb/><p>Der Wagen hielt; Oswald ſtieg herab.</p><lb/><p>„Ich hoffe,“ſagte er, dem Doctor die Hand reichend,<lb/>„daß dies nicht die einzige und nicht die längſte Strecke<lb/>
geweſen iſt, die wir auf unſerem Lebenswege zuſammen<lb/>
fahren oder gehen werden.“</p><lb/><p>„Ich hoffe und wünſche daſſelbe,“ antwortete der<lb/>
Andere, „es ſcheint mir, als ob wir in unſerem Denken<lb/>
und Fühlen manches Gemeinſame haben, und einer<lb/>
wahlverwandten Natur zu begegnen, iſt ein viel zu<lb/>
koſtbares Glück, als daß man es leichtſinnig verſcherzen<lb/>
dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in dieſe<lb/>
Gegend. Leben Sie wohl indeſſen.“</p><lb/><p>Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬<lb/>ſchlag in der Ferne; das Licht in der Förſterwohnung<lb/>
erloſch, Oswald war allein mit der Nacht und dem<lb/>
Schweigen.</p><lb/><p>Und alsbald trat das Bild Melitta's vor ſeine<lb/>
Seele und glitt vor ihm her den ſchmalen Waldpfad<lb/>
entlang, auf dem er jetzt ſo heimlich und leiſe, wie ein<lb/>
Wilddieb, hinſchritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬<lb/>
tung, und blieb erſchrocken, wie wenn ein Blitz an<lb/>ſeiner Seite eingeſchlagen hätte, ſtehen — aus dem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[295/0305]
zum Doctor. „Ich ſehe zu meinem Schrecken, daß
wir ſchon beinahe bis Berkow gekommen ſind. Es iſt
die höchſte Zeit, daß ich zurückkehre.“
Der Wagen hielt; Oswald ſtieg herab.
„Ich hoffe,“ ſagte er, dem Doctor die Hand reichend,
„daß dies nicht die einzige und nicht die längſte Strecke
geweſen iſt, die wir auf unſerem Lebenswege zuſammen
fahren oder gehen werden.“
„Ich hoffe und wünſche daſſelbe,“ antwortete der
Andere, „es ſcheint mir, als ob wir in unſerem Denken
und Fühlen manches Gemeinſame haben, und einer
wahlverwandten Natur zu begegnen, iſt ein viel zu
koſtbares Glück, als daß man es leichtſinnig verſcherzen
dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in dieſe
Gegend. Leben Sie wohl indeſſen.“
Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬
ſchlag in der Ferne; das Licht in der Förſterwohnung
erloſch, Oswald war allein mit der Nacht und dem
Schweigen.
Und alsbald trat das Bild Melitta's vor ſeine
Seele und glitt vor ihm her den ſchmalen Waldpfad
entlang, auf dem er jetzt ſo heimlich und leiſe, wie ein
Wilddieb, hinſchritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬
tung, und blieb erſchrocken, wie wenn ein Blitz an
ſeiner Seite eingeſchlagen hätte, ſtehen — aus dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/305>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.