Thräne über ihre Wangen rollte, und von den vielen Thränen waren ihr die schönen Augen tief in den Kopf gesunken, und die blonden Haare waren grau geworden, und -- da saß sie nun eine alte, steinalte Frau -- und noch immer flossen ihr die Thränen über die runz¬ ligen braunen Wangen auf die runzligen braunen Hände.
"Ein schmucker Bursch," sagte sie, "wie ich mein Lebtage keinen wieder so schmuck gesehen habe, bis gestern Morgen, als Sie plötzlich auf der Haide vor mir standen. Da kamen Sie mir gleich so bekannt vor, und nun weiß ich auch, warum. Mit Verlaub, Junker, wie alt sind Sie jetzt?"
"Dreiundzwanzig Jahr."
"Dreiundzwanzig Jahre, ja, ja, ich wußte es wohl, dreiundzwanzig Jahre -- Du bist jung geblieben und bist noch immer so gut und schön."
Wieder sah sie Oswald an, aber nicht mit dem spürenden, suchenden Blick, wie vorher, sondern klar und freudig, wie eine Ahne blickt, die einen Enkel an ihrem Lehnstuhl spielen sieht. Auf einmal stand sie auf, trat an Oswald heran, und ihm die welken, zitternden Hände auf's Haupt legend, sagte sie langsam und feierlich mit einer Stimme, die nicht ihr zu gehören, die aus einer andern Welt herüberzuschallen schien: "Der Herr segne und behüte Dich, Oskar!" Dann
Thräne über ihre Wangen rollte, und von den vielen Thränen waren ihr die ſchönen Augen tief in den Kopf geſunken, und die blonden Haare waren grau geworden, und — da ſaß ſie nun eine alte, ſteinalte Frau — und noch immer floſſen ihr die Thränen über die runz¬ ligen braunen Wangen auf die runzligen braunen Hände.
„Ein ſchmucker Burſch,“ ſagte ſie, „wie ich mein Lebtage keinen wieder ſo ſchmuck geſehen habe, bis geſtern Morgen, als Sie plötzlich auf der Haide vor mir ſtanden. Da kamen Sie mir gleich ſo bekannt vor, und nun weiß ich auch, warum. Mit Verlaub, Junker, wie alt ſind Sie jetzt?“
„Dreiundzwanzig Jahr.“
„Dreiundzwanzig Jahre, ja, ja, ich wußte es wohl, dreiundzwanzig Jahre — Du biſt jung geblieben und biſt noch immer ſo gut und ſchön.“
Wieder ſah ſie Oswald an, aber nicht mit dem ſpürenden, ſuchenden Blick, wie vorher, ſondern klar und freudig, wie eine Ahne blickt, die einen Enkel an ihrem Lehnſtuhl ſpielen ſieht. Auf einmal ſtand ſie auf, trat an Oswald heran, und ihm die welken, zitternden Hände auf's Haupt legend, ſagte ſie langſam und feierlich mit einer Stimme, die nicht ihr zu gehören, die aus einer andern Welt herüberzuſchallen ſchien: „Der Herr ſegne und behüte Dich, Oskar!“ Dann
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Thräne über ihre Wangen rollte, und von den vielen
Thränen waren ihr die ſchönen Augen tief in den Kopf
geſunken, und die blonden Haare waren grau geworden,
und — da ſaß ſie nun eine alte, ſteinalte Frau —
und noch immer floſſen ihr die Thränen über die runz¬
ligen braunen Wangen auf die runzligen braunen Hände.
„Ein ſchmucker Burſch,“ ſagte ſie, „wie ich mein
Lebtage keinen wieder ſo ſchmuck geſehen habe, bis
geſtern Morgen, als Sie plötzlich auf der Haide vor
mir ſtanden. Da kamen Sie mir gleich ſo bekannt
vor, und nun weiß ich auch, warum. Mit Verlaub,
Junker, wie alt ſind Sie jetzt?“
„Dreiundzwanzig Jahr.“
„Dreiundzwanzig Jahre, ja, ja, ich wußte es wohl,
dreiundzwanzig Jahre — Du biſt jung geblieben und
biſt noch immer ſo gut und ſchön.“
Wieder ſah ſie Oswald an, aber nicht mit dem
ſpürenden, ſuchenden Blick, wie vorher, ſondern klar
und freudig, wie eine Ahne blickt, die einen Enkel an
ihrem Lehnſtuhl ſpielen ſieht. Auf einmal ſtand ſie auf,
trat an Oswald heran, und ihm die welken, zitternden
Hände auf's Haupt legend, ſagte ſie langſam und
feierlich mit einer Stimme, die nicht ihr zu gehören,
die aus einer andern Welt herüberzuſchallen ſchien:
„Der Herr ſegne und behüte Dich, Oskar!“ Dann
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/291>, abgerufen am 16.07.2024.
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