Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

"Gleich in dem ersten Hause," antwortete Herr
Wrampe, sich in dem Sattel umdrehend und mit dem
Peitschenstiel auf ein Häuschen zeigend, das eher einem
großen Hundestall als einer kleinen Menschenwohnung
glich.

"Ist er verheirathet?"

"Gewesen," antwortete Herr Wrampe; "er hat
das arme Weib" -- hier unterbrach er sich, einen
scheuen Blick auf das blasse Gesicht des Mannes wer¬
fend, als wolle er sagen, von Todten und Todtkranken
darf man nur das Beste sprechen.

"Hat er Kinder?"

"Zwei, da sind sie vor der Thür mit Mutter
Clausen. Mutter Clausen, he! der Jochen hat das
böse Wesen gehabt, bringen Sie doch die Kinder in's
Haus, daß sie sich nicht erschrecken." So rief der In¬
spector, den das Gefühl seines Unrechts außerordent¬
lich zartfühlend gemacht hatte, einer alten Frau zu,
die im letzten Abendsonnenschein vor der Thür der
Hütte saß, während zwei kleine Kinder zu ihren Füßen
im Sande spielten.

Als die alte Frau aufblickte, erkannte Oswald die¬
selbe Alte, mit welcher er auf dem Wege zur Kirche
gestern Morgen auf dem Moor die sonderbare Unter¬
redung über Unsterblichkeit gehabt hatte. Die Alte

18 *

„Gleich in dem erſten Hauſe,“ antwortete Herr
Wrampe, ſich in dem Sattel umdrehend und mit dem
Peitſchenſtiel auf ein Häuschen zeigend, das eher einem
großen Hundeſtall als einer kleinen Menſchenwohnung
glich.

„Iſt er verheirathet?“

„Geweſen,“ antwortete Herr Wrampe; „er hat
das arme Weib“ — hier unterbrach er ſich, einen
ſcheuen Blick auf das blaſſe Geſicht des Mannes wer¬
fend, als wolle er ſagen, von Todten und Todtkranken
darf man nur das Beſte ſprechen.

„Hat er Kinder?“

„Zwei, da ſind ſie vor der Thür mit Mutter
Clauſen. Mutter Clauſen, he! der Jochen hat das
böſe Weſen gehabt, bringen Sie doch die Kinder in's
Haus, daß ſie ſich nicht erſchrecken.“ So rief der In¬
ſpector, den das Gefühl ſeines Unrechts außerordent¬
lich zartfühlend gemacht hatte, einer alten Frau zu,
die im letzten Abendſonnenſchein vor der Thür der
Hütte ſaß, während zwei kleine Kinder zu ihren Füßen
im Sande ſpielten.

Als die alte Frau aufblickte, erkannte Oswald die¬
ſelbe Alte, mit welcher er auf dem Wege zur Kirche
geſtern Morgen auf dem Moor die ſonderbare Unter¬
redung über Unſterblichkeit gehabt hatte. Die Alte

18 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0285" n="275"/>
        <p>&#x201E;Gleich in dem er&#x017F;ten Hau&#x017F;e,&#x201C; antwortete Herr<lb/>
Wrampe, &#x017F;ich in dem Sattel umdrehend und mit dem<lb/>
Peit&#x017F;chen&#x017F;tiel auf ein Häuschen zeigend, das eher einem<lb/>
großen Hunde&#x017F;tall als einer kleinen Men&#x017F;chenwohnung<lb/>
glich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t er verheirathet?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gewe&#x017F;en,&#x201C; antwortete Herr Wrampe; &#x201E;er hat<lb/>
das arme Weib&#x201C; &#x2014; hier unterbrach er &#x017F;ich, einen<lb/>
&#x017F;cheuen Blick auf das bla&#x017F;&#x017F;e Ge&#x017F;icht des Mannes wer¬<lb/>
fend, als wolle er &#x017F;agen, von Todten und Todtkranken<lb/>
darf man nur das Be&#x017F;te &#x017F;prechen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hat er Kinder?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Zwei, da &#x017F;ind &#x017F;ie vor der Thür mit Mutter<lb/>
Clau&#x017F;en. Mutter Clau&#x017F;en, he! der Jochen hat das<lb/>&#x017F;e We&#x017F;en gehabt, bringen Sie doch die Kinder in's<lb/>
Haus, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht er&#x017F;chrecken.&#x201C; So rief der In¬<lb/>
&#x017F;pector, den das Gefühl &#x017F;eines Unrechts außerordent¬<lb/>
lich zartfühlend gemacht hatte, einer alten Frau zu,<lb/>
die im letzten Abend&#x017F;onnen&#x017F;chein vor der Thür der<lb/>
Hütte &#x017F;aß, während zwei kleine Kinder zu ihren Füßen<lb/>
im Sande &#x017F;pielten.</p><lb/>
        <p>Als die alte Frau aufblickte, erkannte Oswald die¬<lb/>
&#x017F;elbe Alte, mit welcher er auf dem Wege zur Kirche<lb/>
ge&#x017F;tern Morgen auf dem Moor die &#x017F;onderbare Unter¬<lb/>
redung über Un&#x017F;terblichkeit gehabt hatte. Die Alte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">18 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0285] „Gleich in dem erſten Hauſe,“ antwortete Herr Wrampe, ſich in dem Sattel umdrehend und mit dem Peitſchenſtiel auf ein Häuschen zeigend, das eher einem großen Hundeſtall als einer kleinen Menſchenwohnung glich. „Iſt er verheirathet?“ „Geweſen,“ antwortete Herr Wrampe; „er hat das arme Weib“ — hier unterbrach er ſich, einen ſcheuen Blick auf das blaſſe Geſicht des Mannes wer¬ fend, als wolle er ſagen, von Todten und Todtkranken darf man nur das Beſte ſprechen. „Hat er Kinder?“ „Zwei, da ſind ſie vor der Thür mit Mutter Clauſen. Mutter Clauſen, he! der Jochen hat das böſe Weſen gehabt, bringen Sie doch die Kinder in's Haus, daß ſie ſich nicht erſchrecken.“ So rief der In¬ ſpector, den das Gefühl ſeines Unrechts außerordent¬ lich zartfühlend gemacht hatte, einer alten Frau zu, die im letzten Abendſonnenſchein vor der Thür der Hütte ſaß, während zwei kleine Kinder zu ihren Füßen im Sande ſpielten. Als die alte Frau aufblickte, erkannte Oswald die¬ ſelbe Alte, mit welcher er auf dem Wege zur Kirche geſtern Morgen auf dem Moor die ſonderbare Unter¬ redung über Unſterblichkeit gehabt hatte. Die Alte 18 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/285
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/285>, abgerufen am 25.11.2024.