Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

die ich nicht wieder vergessen möchte, weil ich ihr
Jünger sein darf, ohne vorher die freie Vernunft zu
knebeln, und weil diese Wissenschaft fruchtbar für mich
und fruchtbar für meine Mitbrüder ist."

"Vortrefflich, vortrefflich," sagte Herr Bemperlein,
"weiter, weiter!"

"Ich würde also mit einem Wort," fuhr Oswald
fort, "mich mit aller Macht auf die Naturwissenschaften
werfen, in denen Sie sich ja schon versucht haben, und
würde mich, sobald als möglich, nochmals in Grün¬
wald inscribiren lassen, diesmal aber nicht, um Theo¬
logie, sondern etwa um Medicin zu studiren."

"Die medicinische Facultät in Grünwald ist aus¬
gezeichnet," sagte Herr Bemperlein.

"Sie ist anerkanntermaßen eine der besten in
Deutschland," fuhr Oswald fort. "Dann würde ich
noch ein paar andere Universitäten besuchen, wenn das
Geld reicht --"

"Geld wie Heu, Geld wie Heu," rief Herr Bem¬
perlein, "sechs Jahre lang ein prinzliches Einkommen
und freie Station, ich bitte Sie, Theuerster, ich habe
für ein halbes Jahrhundert zu leben."

"Dann würde ich ein berühmter Arzt --"

"Wissen Sie," sagte Bemperlein, stehen bleibend
und sich nach den Knaben umsehend, im Flüsterton:

die ich nicht wieder vergeſſen möchte, weil ich ihr
Jünger ſein darf, ohne vorher die freie Vernunft zu
knebeln, und weil dieſe Wiſſenſchaft fruchtbar für mich
und fruchtbar für meine Mitbrüder iſt.“

„Vortrefflich, vortrefflich,“ ſagte Herr Bemperlein,
„weiter, weiter!“

„Ich würde alſo mit einem Wort,“ fuhr Oswald
fort, „mich mit aller Macht auf die Naturwiſſenſchaften
werfen, in denen Sie ſich ja ſchon verſucht haben, und
würde mich, ſobald als möglich, nochmals in Grün¬
wald inſcribiren laſſen, diesmal aber nicht, um Theo¬
logie, ſondern etwa um Medicin zu ſtudiren.“

„Die mediciniſche Facultät in Grünwald iſt aus¬
gezeichnet,“ ſagte Herr Bemperlein.

„Sie iſt anerkanntermaßen eine der beſten in
Deutſchland," fuhr Oswald fort. „Dann würde ich
noch ein paar andere Univerſitäten beſuchen, wenn das
Geld reicht —“

„Geld wie Heu, Geld wie Heu,“ rief Herr Bem¬
perlein, „ſechs Jahre lang ein prinzliches Einkommen
und freie Station, ich bitte Sie, Theuerſter, ich habe
für ein halbes Jahrhundert zu leben.“

„Dann würde ich ein berühmter Arzt —“

„Wiſſen Sie,“ ſagte Bemperlein, ſtehen bleibend
und ſich nach den Knaben umſehend, im Flüſterton:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0272" n="262"/>
die ich nicht wieder verge&#x017F;&#x017F;en möchte, weil ich ihr<lb/>
Jünger &#x017F;ein darf, ohne vorher die freie Vernunft zu<lb/>
knebeln, und weil die&#x017F;e Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft fruchtbar für mich<lb/>
und fruchtbar für meine Mitbrüder i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vortrefflich, vortrefflich,&#x201C; &#x017F;agte Herr Bemperlein,<lb/>
&#x201E;weiter, weiter!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich würde al&#x017F;o mit einem Wort,&#x201C; fuhr Oswald<lb/>
fort, &#x201E;mich mit aller Macht auf die Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
werfen, in denen Sie &#x017F;ich ja &#x017F;chon ver&#x017F;ucht haben, und<lb/>
würde mich, &#x017F;obald als möglich, nochmals in Grün¬<lb/>
wald in&#x017F;cribiren la&#x017F;&#x017F;en, diesmal aber nicht, um Theo¬<lb/>
logie, &#x017F;ondern etwa um Medicin zu &#x017F;tudiren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die medicini&#x017F;che Facultät in Grünwald i&#x017F;t aus¬<lb/>
gezeichnet,&#x201C; &#x017F;agte Herr Bemperlein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie i&#x017F;t anerkanntermaßen eine der be&#x017F;ten in<lb/>
Deut&#x017F;chland," fuhr Oswald fort. &#x201E;Dann würde ich<lb/>
noch ein paar andere Univer&#x017F;itäten be&#x017F;uchen, wenn das<lb/>
Geld reicht &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Geld wie Heu, Geld wie Heu,&#x201C; rief Herr Bem¬<lb/>
perlein, &#x201E;&#x017F;echs Jahre lang ein prinzliches Einkommen<lb/>
und freie Station, ich bitte Sie, Theuer&#x017F;ter, ich habe<lb/>
für ein halbes Jahrhundert zu leben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dann würde ich ein berühmter Arzt &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en Sie,&#x201C; &#x017F;agte Bemperlein, &#x017F;tehen bleibend<lb/>
und &#x017F;ich nach den Knaben um&#x017F;ehend, im Flü&#x017F;terton:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0272] die ich nicht wieder vergeſſen möchte, weil ich ihr Jünger ſein darf, ohne vorher die freie Vernunft zu knebeln, und weil dieſe Wiſſenſchaft fruchtbar für mich und fruchtbar für meine Mitbrüder iſt.“ „Vortrefflich, vortrefflich,“ ſagte Herr Bemperlein, „weiter, weiter!“ „Ich würde alſo mit einem Wort,“ fuhr Oswald fort, „mich mit aller Macht auf die Naturwiſſenſchaften werfen, in denen Sie ſich ja ſchon verſucht haben, und würde mich, ſobald als möglich, nochmals in Grün¬ wald inſcribiren laſſen, diesmal aber nicht, um Theo¬ logie, ſondern etwa um Medicin zu ſtudiren.“ „Die mediciniſche Facultät in Grünwald iſt aus¬ gezeichnet,“ ſagte Herr Bemperlein. „Sie iſt anerkanntermaßen eine der beſten in Deutſchland," fuhr Oswald fort. „Dann würde ich noch ein paar andere Univerſitäten beſuchen, wenn das Geld reicht —“ „Geld wie Heu, Geld wie Heu,“ rief Herr Bem¬ perlein, „ſechs Jahre lang ein prinzliches Einkommen und freie Station, ich bitte Sie, Theuerſter, ich habe für ein halbes Jahrhundert zu leben.“ „Dann würde ich ein berühmter Arzt —“ „Wiſſen Sie,“ ſagte Bemperlein, ſtehen bleibend und ſich nach den Knaben umſehend, im Flüſterton:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/272
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/272>, abgerufen am 23.11.2024.