jungen Damen vom Hause zu Tische, ein hübsches blondes Mädchen, dessen Munterkeit mich während des Anfangs der Mahlzeit hinreichend fesselte. Als aber die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen, die seit einem Jahre aus der Schule sind, abzuhandeln pflegt, durchgesprochen waren, wurde ich auf einen Herrn aufmerksam, der mir gegenübersaß. Es war ein untersetzter, schon ältlicher Mann, mit einer massiven, wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die sich denn auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten Gaben der Ceres und des Bacchus zusprach, deutlich genug zu erkennen gab. Die Züge um den großen, breiten Mund waren geradezu räthselhaft: Sinnlichkeit, Witz, Schalkheit und Melancholie -- Dämonen und Genien -- schienen dort zu spielen.
Das Gespräch wurde an diesem Theile der Tafel bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne auf¬ dringlich zu erscheinen, hineinmischen. Man sprach über Kunst, Literatur, Politik. Ueberall schien der merkwürdige Mann zu Hause, überall überraschte er uns durch die geistvollsten Apercüs, durch blendende Antithesen und wunderliche Paradoxen. Ja, er schien seine Freude daran zu haben, wenn er so ein Tröpf¬
F. Spielhagen, Problematische Naturen. I. 2
jungen Damen vom Hauſe zu Tiſche, ein hübſches blondes Mädchen, deſſen Munterkeit mich während des Anfangs der Mahlzeit hinreichend feſſelte. Als aber die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen, die ſeit einem Jahre aus der Schule ſind, abzuhandeln pflegt, durchgeſprochen waren, wurde ich auf einen Herrn aufmerkſam, der mir gegenüberſaß. Es war ein unterſetzter, ſchon ältlicher Mann, mit einer maſſiven, wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die ſich denn auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten Gaben der Ceres und des Bacchus zuſprach, deutlich genug zu erkennen gab. Die Züge um den großen, breiten Mund waren geradezu räthſelhaft: Sinnlichkeit, Witz, Schalkheit und Melancholie — Dämonen und Genien — ſchienen dort zu ſpielen.
Das Geſpräch wurde an dieſem Theile der Tafel bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne auf¬ dringlich zu erſcheinen, hineinmiſchen. Man ſprach über Kunſt, Literatur, Politik. Ueberall ſchien der merkwürdige Mann zu Hauſe, überall überraſchte er uns durch die geiſtvollſten Aperçüs, durch blendende Antitheſen und wunderliche Paradoxen. Ja, er ſchien ſeine Freude daran zu haben, wenn er ſo ein Tröpf¬
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. I. 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0027"n="17"/>
jungen Damen vom Hauſe zu Tiſche, ein hübſches<lb/>
blondes Mädchen, deſſen Munterkeit mich während des<lb/>
Anfangs der Mahlzeit hinreichend feſſelte. Als aber<lb/>
die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen,<lb/>
die ſeit einem Jahre aus der Schule ſind, abzuhandeln<lb/>
pflegt, durchgeſprochen waren, wurde ich auf einen<lb/>
Herrn aufmerkſam, der mir gegenüberſaß. Es war<lb/>
ein unterſetzter, ſchon ältlicher Mann, mit einer maſſiven,<lb/>
wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar<lb/>
kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen<lb/>
verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die ſich denn<lb/>
auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten<lb/>
Gaben der Ceres und des Bacchus zuſprach, deutlich<lb/>
genug zu erkennen gab. Die Züge um den großen,<lb/>
breiten Mund waren geradezu räthſelhaft: Sinnlichkeit,<lb/>
Witz, Schalkheit und Melancholie — Dämonen und<lb/>
Genien —ſchienen dort zu ſpielen.</p><lb/><p>Das Geſpräch wurde an dieſem Theile der Tafel<lb/>
bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne auf¬<lb/>
dringlich zu erſcheinen, hineinmiſchen. Man ſprach<lb/>
über Kunſt, Literatur, Politik. Ueberall ſchien der<lb/>
merkwürdige Mann zu Hauſe, überall überraſchte er<lb/>
uns durch die geiſtvollſten Aperçüs, durch blendende<lb/>
Antitheſen und wunderliche Paradoxen. Ja, er ſchien<lb/>ſeine Freude daran zu haben, wenn er ſo ein Tröpf¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. <hirendition="#aq">I</hi>. 2<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[17/0027]
jungen Damen vom Hauſe zu Tiſche, ein hübſches
blondes Mädchen, deſſen Munterkeit mich während des
Anfangs der Mahlzeit hinreichend feſſelte. Als aber
die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen,
die ſeit einem Jahre aus der Schule ſind, abzuhandeln
pflegt, durchgeſprochen waren, wurde ich auf einen
Herrn aufmerkſam, der mir gegenüberſaß. Es war
ein unterſetzter, ſchon ältlicher Mann, mit einer maſſiven,
wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar
kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen
verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die ſich denn
auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten
Gaben der Ceres und des Bacchus zuſprach, deutlich
genug zu erkennen gab. Die Züge um den großen,
breiten Mund waren geradezu räthſelhaft: Sinnlichkeit,
Witz, Schalkheit und Melancholie — Dämonen und
Genien — ſchienen dort zu ſpielen.
Das Geſpräch wurde an dieſem Theile der Tafel
bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne auf¬
dringlich zu erſcheinen, hineinmiſchen. Man ſprach
über Kunſt, Literatur, Politik. Ueberall ſchien der
merkwürdige Mann zu Hauſe, überall überraſchte er
uns durch die geiſtvollſten Aperçüs, durch blendende
Antitheſen und wunderliche Paradoxen. Ja, er ſchien
ſeine Freude daran zu haben, wenn er ſo ein Tröpf¬
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. I. 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/27>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.