die Kunstwerke von dem Jahre Eins christlicher Zeit¬ rechnung bis zum Jahre 1793, wo die christliche Re¬ ligion abgeschafft, und die Göttin der Vernunft auf den Thron gesetzt wurde, aufgestellt sind -- ist dort!" Er wies auf eine schöne breite Treppe, die aus dem Saale hinaufführte in andere Räume. "Sie werden gut thun, sich dort ebenfalls einen Katalog zu kaufen. Er kostet zehn Silbergroschen und Sie haben sich des¬ halb an Ihren Vater zu wenden, welcher in jenem Theile des Gebäudes dasselbe Amt versieht, welches ich hier versehe." Und damit wandte mir der alte Mann den Rücken, und fing wieder an, mit seinem langen Wedel die Statuen und Bilder abzustauben. "Entschuldigen Sie, lieber Großvater," sagte ich. -- "Ich bin Ihr Großvater nicht," antwortete der alte Mann, ruhig in seiner Beschäftigung fortfahrend. "Nun, Herr Custos?" fragte ich. "Ja wohl, Custos, nichts weiter, nichts weiter;" murmelte der Greis. "Wo haben denn, Herr Custos," fuhr ich fort, "die Kunstwerke, die seit jener Zeit entstanden sind, ihre Stelle gefunden?" "Seit jenem denkwürdigen Jahre," sagte der Alte, "hat nichts Gescheidtes mehr zu Stande kommen wollen. Zwar haben sich noch einige Künstler¬ schulen gebildet, aber es hat Alles kein rechtes Leben, und ihre Productionen können auf eigentlichen Kunst¬
die Kunſtwerke von dem Jahre Eins chriſtlicher Zeit¬ rechnung bis zum Jahre 1793, wo die chriſtliche Re¬ ligion abgeſchafft, und die Göttin der Vernunft auf den Thron geſetzt wurde, aufgeſtellt ſind — iſt dort!“ Er wies auf eine ſchöne breite Treppe, die aus dem Saale hinaufführte in andere Räume. „Sie werden gut thun, ſich dort ebenfalls einen Katalog zu kaufen. Er koſtet zehn Silbergroſchen und Sie haben ſich des¬ halb an Ihren Vater zu wenden, welcher in jenem Theile des Gebäudes daſſelbe Amt verſieht, welches ich hier verſehe.“ Und damit wandte mir der alte Mann den Rücken, und fing wieder an, mit ſeinem langen Wedel die Statuen und Bilder abzuſtauben. „Entſchuldigen Sie, lieber Großvater,“ ſagte ich. — „Ich bin Ihr Großvater nicht,“ antwortete der alte Mann, ruhig in ſeiner Beſchäftigung fortfahrend. „Nun, Herr Cuſtos?“ fragte ich. „Ja wohl, Cuſtos, nichts weiter, nichts weiter;“ murmelte der Greis. „Wo haben denn, Herr Cuſtos,“ fuhr ich fort, „die Kunſtwerke, die ſeit jener Zeit entſtanden ſind, ihre Stelle gefunden?“ „Seit jenem denkwürdigen Jahre,“ ſagte der Alte, „hat nichts Geſcheidtes mehr zu Stande kommen wollen. Zwar haben ſich noch einige Künſtler¬ ſchulen gebildet, aber es hat Alles kein rechtes Leben, und ihre Productionen können auf eigentlichen Kunſt¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0268"n="258"/>
die Kunſtwerke von dem Jahre Eins chriſtlicher Zeit¬<lb/>
rechnung bis zum Jahre 1793, wo die chriſtliche Re¬<lb/>
ligion abgeſchafft, und die Göttin der Vernunft auf<lb/>
den Thron geſetzt wurde, aufgeſtellt ſind — iſt dort!“<lb/>
Er wies auf eine ſchöne breite Treppe, die aus dem<lb/>
Saale hinaufführte in andere Räume. „Sie werden<lb/>
gut thun, ſich dort ebenfalls einen Katalog zu kaufen.<lb/>
Er koſtet zehn Silbergroſchen und Sie haben ſich des¬<lb/>
halb an Ihren Vater zu wenden, welcher in jenem<lb/>
Theile des Gebäudes daſſelbe Amt verſieht, welches<lb/>
ich hier verſehe.“ Und damit wandte mir der alte<lb/>
Mann den Rücken, und fing wieder an, mit ſeinem<lb/>
langen Wedel die Statuen und Bilder abzuſtauben.<lb/>„Entſchuldigen Sie, lieber Großvater,“ſagte ich. —<lb/>„Ich bin Ihr Großvater nicht,“ antwortete der alte<lb/>
Mann, ruhig in ſeiner Beſchäftigung fortfahrend.<lb/>„Nun, Herr Cuſtos?“ fragte ich. „Ja wohl, Cuſtos,<lb/>
nichts weiter, nichts weiter;“ murmelte der Greis.<lb/>„Wo haben denn, Herr Cuſtos,“ fuhr ich fort, „die<lb/>
Kunſtwerke, die ſeit jener Zeit entſtanden ſind, ihre<lb/>
Stelle gefunden?“„Seit jenem denkwürdigen Jahre,“<lb/>ſagte der Alte, „hat nichts Geſcheidtes mehr zu Stande<lb/>
kommen wollen. Zwar haben ſich noch einige Künſtler¬<lb/>ſchulen gebildet, aber es hat Alles kein rechtes Leben,<lb/>
und ihre Productionen können auf eigentlichen Kunſt¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[258/0268]
die Kunſtwerke von dem Jahre Eins chriſtlicher Zeit¬
rechnung bis zum Jahre 1793, wo die chriſtliche Re¬
ligion abgeſchafft, und die Göttin der Vernunft auf
den Thron geſetzt wurde, aufgeſtellt ſind — iſt dort!“
Er wies auf eine ſchöne breite Treppe, die aus dem
Saale hinaufführte in andere Räume. „Sie werden
gut thun, ſich dort ebenfalls einen Katalog zu kaufen.
Er koſtet zehn Silbergroſchen und Sie haben ſich des¬
halb an Ihren Vater zu wenden, welcher in jenem
Theile des Gebäudes daſſelbe Amt verſieht, welches
ich hier verſehe.“ Und damit wandte mir der alte
Mann den Rücken, und fing wieder an, mit ſeinem
langen Wedel die Statuen und Bilder abzuſtauben.
„Entſchuldigen Sie, lieber Großvater,“ ſagte ich. —
„Ich bin Ihr Großvater nicht,“ antwortete der alte
Mann, ruhig in ſeiner Beſchäftigung fortfahrend.
„Nun, Herr Cuſtos?“ fragte ich. „Ja wohl, Cuſtos,
nichts weiter, nichts weiter;“ murmelte der Greis.
„Wo haben denn, Herr Cuſtos,“ fuhr ich fort, „die
Kunſtwerke, die ſeit jener Zeit entſtanden ſind, ihre
Stelle gefunden?“ „Seit jenem denkwürdigen Jahre,“
ſagte der Alte, „hat nichts Geſcheidtes mehr zu Stande
kommen wollen. Zwar haben ſich noch einige Künſtler¬
ſchulen gebildet, aber es hat Alles kein rechtes Leben,
und ihre Productionen können auf eigentlichen Kunſt¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/268>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.