wohl erhalten -- Adam aber hatte den Kopf ver¬ loren; darauf "Kain's Brudermord," ein großes Oel¬ gemälde, ebenso wie ein darauf folgendes: "Adam und Eva finden die Leiche des ermorderten Abel;" auf welchem die Gestalt des todesblassen Jünglings, der wie eine gebrochene Lilie anzuschauen war, mich fast zu Thränen rührte. So ging es weiter und weiter: Statue an Statue, Gemälde an Gemälde. Ich war nicht allein im Saale, im Gegentheil, viele Menschen bewegten sich an den Wänden und durch den Wald von Statuen hin. Vor einzelnen besonders hervor¬ ragenden Werken, zum Beispiel dem Durchzug der Kinder Israel durch das rothe Meer -- einer riesen¬ großen Freske -- standen ganze Gruppen -- auch vor anderen, die sich weniger durch historische Bedeutung, als durch das Pikante der dargestellten Situation aus¬ zeichneten. So mußte ich mich über das Betragen einer Schaar junger Mädchen ärgern, die vor einem Gemälde, darstellend: "Lot, von seinen Töchtern trunken gemacht," die Köpfe zusammensteckten und kicherten. Ueberhaupt erschien mir das Benehmen der Gesell¬ schaft im hohen Grade anstößig. Die Frauen lachten und schwatzten und kokettirten, die Herren schwatzten, plauderten und lorgnettirten, und einige mit langen Beinen und langen Zähnen -- wahrscheinlich Eng¬
wohl erhalten — Adam aber hatte den Kopf ver¬ loren; darauf „Kain's Brudermord,“ ein großes Oel¬ gemälde, ebenſo wie ein darauf folgendes: „Adam und Eva finden die Leiche des ermorderten Abel;“ auf welchem die Geſtalt des todesblaſſen Jünglings, der wie eine gebrochene Lilie anzuſchauen war, mich faſt zu Thränen rührte. So ging es weiter und weiter: Statue an Statue, Gemälde an Gemälde. Ich war nicht allein im Saale, im Gegentheil, viele Menſchen bewegten ſich an den Wänden und durch den Wald von Statuen hin. Vor einzelnen beſonders hervor¬ ragenden Werken, zum Beiſpiel dem Durchzug der Kinder Iſrael durch das rothe Meer — einer rieſen¬ großen Freske — ſtanden ganze Gruppen — auch vor anderen, die ſich weniger durch hiſtoriſche Bedeutung, als durch das Pikante der dargeſtellten Situation aus¬ zeichneten. So mußte ich mich über das Betragen einer Schaar junger Mädchen ärgern, die vor einem Gemälde, darſtellend: „Lot, von ſeinen Töchtern trunken gemacht,“ die Köpfe zuſammenſteckten und kicherten. Ueberhaupt erſchien mir das Benehmen der Geſell¬ ſchaft im hohen Grade anſtößig. Die Frauen lachten und ſchwatzten und kokettirten, die Herren ſchwatzten, plauderten und lorgnettirten, und einige mit langen Beinen und langen Zähnen — wahrſcheinlich Eng¬
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wohl erhalten — Adam aber hatte den Kopf ver¬
loren; darauf „Kain's Brudermord,“ ein großes Oel¬
gemälde, ebenſo wie ein darauf folgendes: „Adam und
Eva finden die Leiche des ermorderten Abel;“ auf
welchem die Geſtalt des todesblaſſen Jünglings, der
wie eine gebrochene Lilie anzuſchauen war, mich faſt zu
Thränen rührte. So ging es weiter und weiter:
Statue an Statue, Gemälde an Gemälde. Ich war
nicht allein im Saale, im Gegentheil, viele Menſchen
bewegten ſich an den Wänden und durch den Wald
von Statuen hin. Vor einzelnen beſonders hervor¬
ragenden Werken, zum Beiſpiel dem Durchzug der
Kinder Iſrael durch das rothe Meer — einer rieſen¬
großen Freske — ſtanden ganze Gruppen — auch vor
anderen, die ſich weniger durch hiſtoriſche Bedeutung,
als durch das Pikante der dargeſtellten Situation aus¬
zeichneten. So mußte ich mich über das Betragen
einer Schaar junger Mädchen ärgern, die vor einem
Gemälde, darſtellend: „Lot, von ſeinen Töchtern trunken
gemacht,“ die Köpfe zuſammenſteckten und kicherten.
Ueberhaupt erſchien mir das Benehmen der Geſell¬
ſchaft im hohen Grade anſtößig. Die Frauen lachten
und ſchwatzten und kokettirten, die Herren ſchwatzten,
plauderten und lorgnettirten, und einige mit langen
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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