sich hätte zeigen können, herumzudrücken gewußt, und jetzt fühlte ich zu meinem Schrecken, daß ich die Kanzel¬ sprache, und mehr noch als die Sprache, die Kanzel¬ logik vollständig verlernt hatte. Drei Abende hinter einander setzte ich mich zu der Sisyphusarbeit hin; aber nie kam ich auch nur über: "meine andächtigen Zuhörer" hinaus. Die contradictio in adjecto pei¬ nigte mich, ich wußte aus eigener Erfahrung, wie es mit der Andacht der Zuhörer bestellt ist. Andächtig kommt von Denken! Da, in der dritten Nacht, als ich mich voller Verzweiflung zu Bette gelegt hatte und voller Kummer eingeschlafen war, erwägend, was wohl mein guter Vater und mein würdiger Großvater, den ich auch noch gekannt hatte, sagen würden, wenn sie den Unglauben ihres in so trefflichen Grundsätzen er¬ zogenen Sohnes und Enkels sähen, hatte ich folgenden curiosen Traum, zu dessen Erklärung ich vorher be¬ merken muß, daß Frau von Berkow mir an jenem Tage viel von den Museen des Louvre erzählt hatte.
"Mir träumte also, ich trat in einen gewaltigen hohen und weiten Saal, an dessen Wänden Sculp¬ turen und Gemälde standen und hingen. Da saß Gott Vater selbst, ein schöner bärtiger alter Mann, und reckte die Hand aus und schuf Himmel und Erde, dann kamen Adam und Eva, in weißem Marmor: Eva, ziemlich
ſich hätte zeigen können, herumzudrücken gewußt, und jetzt fühlte ich zu meinem Schrecken, daß ich die Kanzel¬ ſprache, und mehr noch als die Sprache, die Kanzel¬ logik vollſtändig verlernt hatte. Drei Abende hinter einander ſetzte ich mich zu der Siſyphusarbeit hin; aber nie kam ich auch nur über: „meine andächtigen Zuhörer“ hinaus. Die contradictio in adjecto pei¬ nigte mich, ich wußte aus eigener Erfahrung, wie es mit der Andacht der Zuhörer beſtellt iſt. Andächtig kommt von Denken! Da, in der dritten Nacht, als ich mich voller Verzweiflung zu Bette gelegt hatte und voller Kummer eingeſchlafen war, erwägend, was wohl mein guter Vater und mein würdiger Großvater, den ich auch noch gekannt hatte, ſagen würden, wenn ſie den Unglauben ihres in ſo trefflichen Grundſätzen er¬ zogenen Sohnes und Enkels ſähen, hatte ich folgenden curioſen Traum, zu deſſen Erklärung ich vorher be¬ merken muß, daß Frau von Berkow mir an jenem Tage viel von den Muſeen des Louvre erzählt hatte.
„Mir träumte alſo, ich trat in einen gewaltigen hohen und weiten Saal, an deſſen Wänden Sculp¬ turen und Gemälde ſtanden und hingen. Da ſaß Gott Vater ſelbſt, ein ſchöner bärtiger alter Mann, und reckte die Hand aus und ſchuf Himmel und Erde, dann kamen Adam und Eva, in weißem Marmor: Eva, ziemlich
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ſich hätte zeigen können, herumzudrücken gewußt, und
jetzt fühlte ich zu meinem Schrecken, daß ich die Kanzel¬
ſprache, und mehr noch als die Sprache, die Kanzel¬
logik vollſtändig verlernt hatte. Drei Abende hinter
einander ſetzte ich mich zu der Siſyphusarbeit hin;
aber nie kam ich auch nur über: „meine andächtigen
Zuhörer“ hinaus. Die contradictio in adjecto pei¬
nigte mich, ich wußte aus eigener Erfahrung, wie es
mit der Andacht der Zuhörer beſtellt iſt. Andächtig
kommt von Denken! Da, in der dritten Nacht, als ich
mich voller Verzweiflung zu Bette gelegt hatte und
voller Kummer eingeſchlafen war, erwägend, was wohl
mein guter Vater und mein würdiger Großvater, den
ich auch noch gekannt hatte, ſagen würden, wenn ſie
den Unglauben ihres in ſo trefflichen Grundſätzen er¬
zogenen Sohnes und Enkels ſähen, hatte ich folgenden
curioſen Traum, zu deſſen Erklärung ich vorher be¬
merken muß, daß Frau von Berkow mir an jenem
Tage viel von den Muſeen des Louvre erzählt hatte.
„Mir träumte alſo, ich trat in einen gewaltigen
hohen und weiten Saal, an deſſen Wänden Sculp¬
turen und Gemälde ſtanden und hingen. Da ſaß Gott
Vater ſelbſt, ein ſchöner bärtiger alter Mann, und reckte
die Hand aus und ſchuf Himmel und Erde, dann kamen
Adam und Eva, in weißem Marmor: Eva, ziemlich
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/265>, abgerufen am 24.11.2024.
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