Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

stadt, in der, wie ich mir hatte sagen lassen, das Gras
in idyllischer Ruhe auf den Straßen wachse, die
nöthige Sammlung finden, an der es mir in den lite¬
rarischen Cirkeln, ästhetischen Thees und singenden
Butterbroden der Residenz so gänzlich gebrach, erschien
mir unter den fürchterlichen Männern, die mich selig
machen oder verdammen konnten, der Professor Berger
bald als der fürchterlichste. Ich hörte von den paar
Commilitonen, deren dreimal bedenkliche Bekanntschaft
zu machen ich nicht umhin konnte, wahrhaft unheim¬
liche Dinge von seiner erstaunlichen Gelehrsamkeit und
allerlei Beunruhigendes über sein excentrisches Wesen,
seine tolle Launenhaftigkeit und seinen großen Einfluß
auf die übrigen Mitglieder der Prüfungscommission,
denen er durch sein Wissen, mehr aber noch durch
seinen Witz, mit dessen beißender Lauge er Jeden ohne
Ansehen der Person überschüttete, gründlich imponire.
Leibhaftig hatte ich den Entsetzlichen noch nicht gesehen.
Er hatte einen seiner hypochondrischen Anfälle, in
welchen er sich, wie man mir sagte, bei Tage in seiner
Stube einschlösse und des Nachts in den Wäldern der
Nachbarschaft umherschweife.

Da werde ich eines Tages von einer reichen Fa¬
milie, an die ich empfohlen war, zu Mittag geladen.
Die Gesellschaft war sehr zahlreich, ich führte eine der

ſtadt, in der, wie ich mir hatte ſagen laſſen, das Gras
in idylliſcher Ruhe auf den Straßen wachſe, die
nöthige Sammlung finden, an der es mir in den lite¬
rariſchen Cirkeln, äſthetiſchen Thees und ſingenden
Butterbroden der Reſidenz ſo gänzlich gebrach, erſchien
mir unter den fürchterlichen Männern, die mich ſelig
machen oder verdammen konnten, der Profeſſor Berger
bald als der fürchterlichſte. Ich hörte von den paar
Commilitonen, deren dreimal bedenkliche Bekanntſchaft
zu machen ich nicht umhin konnte, wahrhaft unheim¬
liche Dinge von ſeiner erſtaunlichen Gelehrſamkeit und
allerlei Beunruhigendes über ſein excentriſches Weſen,
ſeine tolle Launenhaftigkeit und ſeinen großen Einfluß
auf die übrigen Mitglieder der Prüfungscommiſſion,
denen er durch ſein Wiſſen, mehr aber noch durch
ſeinen Witz, mit deſſen beißender Lauge er Jeden ohne
Anſehen der Perſon überſchüttete, gründlich imponire.
Leibhaftig hatte ich den Entſetzlichen noch nicht geſehen.
Er hatte einen ſeiner hypochondriſchen Anfälle, in
welchen er ſich, wie man mir ſagte, bei Tage in ſeiner
Stube einſchlöſſe und des Nachts in den Wäldern der
Nachbarſchaft umherſchweife.

Da werde ich eines Tages von einer reichen Fa¬
milie, an die ich empfohlen war, zu Mittag geladen.
Die Geſellſchaft war ſehr zahlreich, ich führte eine der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="16"/>
&#x017F;tadt, in der, wie ich mir hatte &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en, das Gras<lb/>
in idylli&#x017F;cher Ruhe auf den Straßen wach&#x017F;e, die<lb/>
nöthige Sammlung finden, an der es mir in den lite¬<lb/>
rari&#x017F;chen Cirkeln, ä&#x017F;theti&#x017F;chen Thees und &#x017F;ingenden<lb/>
Butterbroden der Re&#x017F;idenz &#x017F;o gänzlich gebrach, er&#x017F;chien<lb/>
mir unter den fürchterlichen Männern, die mich &#x017F;elig<lb/>
machen oder verdammen konnten, der Profe&#x017F;&#x017F;or Berger<lb/>
bald als der fürchterlich&#x017F;te. Ich hörte von den paar<lb/>
Commilitonen, deren dreimal bedenkliche Bekannt&#x017F;chaft<lb/>
zu machen ich nicht umhin konnte, wahrhaft unheim¬<lb/>
liche Dinge von &#x017F;einer er&#x017F;taunlichen Gelehr&#x017F;amkeit und<lb/>
allerlei Beunruhigendes über &#x017F;ein excentri&#x017F;ches We&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;eine tolle Launenhaftigkeit und &#x017F;einen großen Einfluß<lb/>
auf die übrigen Mitglieder der Prüfungscommi&#x017F;&#x017F;ion,<lb/>
denen er durch &#x017F;ein Wi&#x017F;&#x017F;en, mehr aber noch durch<lb/>
&#x017F;einen Witz, mit de&#x017F;&#x017F;en beißender Lauge er Jeden ohne<lb/>
An&#x017F;ehen der Per&#x017F;on über&#x017F;chüttete, gründlich imponire.<lb/>
Leibhaftig hatte ich den Ent&#x017F;etzlichen noch nicht ge&#x017F;ehen.<lb/>
Er hatte einen &#x017F;einer hypochondri&#x017F;chen Anfälle, in<lb/>
welchen er &#x017F;ich, wie man mir &#x017F;agte, bei Tage in &#x017F;einer<lb/>
Stube ein&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;e und des Nachts in den Wäldern der<lb/>
Nachbar&#x017F;chaft umher&#x017F;chweife.</p><lb/>
        <p>Da werde ich eines Tages von einer reichen Fa¬<lb/>
milie, an die ich empfohlen war, zu Mittag geladen.<lb/>
Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft war &#x017F;ehr zahlreich, ich führte eine der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0026] ſtadt, in der, wie ich mir hatte ſagen laſſen, das Gras in idylliſcher Ruhe auf den Straßen wachſe, die nöthige Sammlung finden, an der es mir in den lite¬ rariſchen Cirkeln, äſthetiſchen Thees und ſingenden Butterbroden der Reſidenz ſo gänzlich gebrach, erſchien mir unter den fürchterlichen Männern, die mich ſelig machen oder verdammen konnten, der Profeſſor Berger bald als der fürchterlichſte. Ich hörte von den paar Commilitonen, deren dreimal bedenkliche Bekanntſchaft zu machen ich nicht umhin konnte, wahrhaft unheim¬ liche Dinge von ſeiner erſtaunlichen Gelehrſamkeit und allerlei Beunruhigendes über ſein excentriſches Weſen, ſeine tolle Launenhaftigkeit und ſeinen großen Einfluß auf die übrigen Mitglieder der Prüfungscommiſſion, denen er durch ſein Wiſſen, mehr aber noch durch ſeinen Witz, mit deſſen beißender Lauge er Jeden ohne Anſehen der Perſon überſchüttete, gründlich imponire. Leibhaftig hatte ich den Entſetzlichen noch nicht geſehen. Er hatte einen ſeiner hypochondriſchen Anfälle, in welchen er ſich, wie man mir ſagte, bei Tage in ſeiner Stube einſchlöſſe und des Nachts in den Wäldern der Nachbarſchaft umherſchweife. Da werde ich eines Tages von einer reichen Fa¬ milie, an die ich empfohlen war, zu Mittag geladen. Die Geſellſchaft war ſehr zahlreich, ich führte eine der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/26
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/26>, abgerufen am 22.11.2024.