Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

mann. Es war ein Sommernachmittag, wie heute.
Meine Bettvorhänge waren halb zugezogen, Baumann
und die gnädige Frau standen ein paar Schritt entfernt
am Tisch. Wenn ich nicht selbst krank werden will, so
muß ich heute Nachmittag eine halbe Stunde spazieren
reiten, Baumann," sagte Frau von Berkow, "daß er
mir den Bemperlein unterdessen nicht sterben läßt."
"Zu Befehl," sagte der alte Baumann. "Aber damit
Sie nicht etwa glauben, lieber Herr Collega, daß ich
in dieser Behandlung von Seiten der gnädigen Frau
eine Bevorzugung erblicke, die meinen ganz besonderen
Verdiensten zu Theil würde, so setze ich hinzu, daß ich
Frau von Berkow dieselbe Huld nur Gnade an viele
Andere, zum Theil ganz gleichgültige Personen habe
verschwenden sehen, so daß ich wahrlich glaube, das
Herz dieser Frau ist aus durchaus edlerem Stoffe, als
sonst die Menschenherzen sind, und daß sie Gutes thun
und Andere beglücken muß, gerade wie ein Kanarien¬
vogel singt und ein Eichhörnchen springt, weil's eben
so ihre schöne Natur ist, und sie nicht anders kann.
Verzeihen Sie, lieber Collega, daß ich mit diesen
Dingen, die Sie nicht interessiren und nicht interessiren
können, Ihre Zeit in Anspruch nehme, aber mein Herz
ist wirklich zu voll, als daß es nicht überfließen sollte,
und ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie mich

15*

mann. Es war ein Sommernachmittag, wie heute.
Meine Bettvorhänge waren halb zugezogen, Baumann
und die gnädige Frau ſtanden ein paar Schritt entfernt
am Tiſch. Wenn ich nicht ſelbſt krank werden will, ſo
muß ich heute Nachmittag eine halbe Stunde ſpazieren
reiten, Baumann,“ ſagte Frau von Berkow, „daß er
mir den Bemperlein unterdeſſen nicht ſterben läßt.“
„Zu Befehl,“ ſagte der alte Baumann. „Aber damit
Sie nicht etwa glauben, lieber Herr Collega, daß ich
in dieſer Behandlung von Seiten der gnädigen Frau
eine Bevorzugung erblicke, die meinen ganz beſonderen
Verdienſten zu Theil würde, ſo ſetze ich hinzu, daß ich
Frau von Berkow dieſelbe Huld nur Gnade an viele
Andere, zum Theil ganz gleichgültige Perſonen habe
verſchwenden ſehen, ſo daß ich wahrlich glaube, das
Herz dieſer Frau iſt aus durchaus edlerem Stoffe, als
ſonſt die Menſchenherzen ſind, und daß ſie Gutes thun
und Andere beglücken muß, gerade wie ein Kanarien¬
vogel ſingt und ein Eichhörnchen ſpringt, weil's eben
ſo ihre ſchöne Natur iſt, und ſie nicht anders kann.
Verzeihen Sie, lieber Collega, daß ich mit dieſen
Dingen, die Sie nicht intereſſiren und nicht intereſſiren
können, Ihre Zeit in Anſpruch nehme, aber mein Herz
iſt wirklich zu voll, als daß es nicht überfließen ſollte,
und ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie mich

15*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0237" n="227"/>
mann. Es war ein Sommernachmittag, wie heute.<lb/>
Meine Bettvorhänge waren halb zugezogen, Baumann<lb/>
und die gnädige Frau &#x017F;tanden ein paar Schritt entfernt<lb/>
am Ti&#x017F;ch. Wenn ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t krank werden will, &#x017F;o<lb/>
muß ich heute Nachmittag eine halbe Stunde &#x017F;pazieren<lb/>
reiten, Baumann,&#x201C; &#x017F;agte Frau von Berkow, &#x201E;daß er<lb/>
mir den Bemperlein unterde&#x017F;&#x017F;en nicht &#x017F;terben läßt.&#x201C;<lb/>
&#x201E;Zu Befehl,&#x201C; &#x017F;agte der alte Baumann. &#x201E;Aber damit<lb/>
Sie nicht etwa glauben, lieber Herr Collega, daß ich<lb/>
in die&#x017F;er Behandlung von Seiten der gnädigen Frau<lb/>
eine Bevorzugung erblicke, die meinen ganz be&#x017F;onderen<lb/>
Verdien&#x017F;ten zu Theil würde, &#x017F;o &#x017F;etze ich hinzu, daß ich<lb/>
Frau von Berkow die&#x017F;elbe Huld nur Gnade an viele<lb/>
Andere, zum Theil ganz gleichgültige Per&#x017F;onen habe<lb/>
ver&#x017F;chwenden &#x017F;ehen, &#x017F;o daß ich wahrlich glaube, das<lb/>
Herz die&#x017F;er Frau i&#x017F;t aus durchaus edlerem Stoffe, als<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t die Men&#x017F;chenherzen &#x017F;ind, und daß &#x017F;ie Gutes thun<lb/>
und Andere beglücken muß, gerade wie ein Kanarien¬<lb/>
vogel &#x017F;ingt und ein Eichhörnchen &#x017F;pringt, weil's eben<lb/>
&#x017F;o ihre &#x017F;chöne Natur i&#x017F;t, und &#x017F;ie nicht anders kann.<lb/>
Verzeihen Sie, lieber Collega, daß ich mit die&#x017F;en<lb/>
Dingen, die Sie nicht intere&#x017F;&#x017F;iren und nicht intere&#x017F;&#x017F;iren<lb/>
können, Ihre Zeit in An&#x017F;pruch nehme, aber mein Herz<lb/>
i&#x017F;t wirklich zu voll, als daß es nicht überfließen &#x017F;ollte,<lb/>
und ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie mich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0237] mann. Es war ein Sommernachmittag, wie heute. Meine Bettvorhänge waren halb zugezogen, Baumann und die gnädige Frau ſtanden ein paar Schritt entfernt am Tiſch. Wenn ich nicht ſelbſt krank werden will, ſo muß ich heute Nachmittag eine halbe Stunde ſpazieren reiten, Baumann,“ ſagte Frau von Berkow, „daß er mir den Bemperlein unterdeſſen nicht ſterben läßt.“ „Zu Befehl,“ ſagte der alte Baumann. „Aber damit Sie nicht etwa glauben, lieber Herr Collega, daß ich in dieſer Behandlung von Seiten der gnädigen Frau eine Bevorzugung erblicke, die meinen ganz beſonderen Verdienſten zu Theil würde, ſo ſetze ich hinzu, daß ich Frau von Berkow dieſelbe Huld nur Gnade an viele Andere, zum Theil ganz gleichgültige Perſonen habe verſchwenden ſehen, ſo daß ich wahrlich glaube, das Herz dieſer Frau iſt aus durchaus edlerem Stoffe, als ſonſt die Menſchenherzen ſind, und daß ſie Gutes thun und Andere beglücken muß, gerade wie ein Kanarien¬ vogel ſingt und ein Eichhörnchen ſpringt, weil's eben ſo ihre ſchöne Natur iſt, und ſie nicht anders kann. Verzeihen Sie, lieber Collega, daß ich mit dieſen Dingen, die Sie nicht intereſſiren und nicht intereſſiren können, Ihre Zeit in Anſpruch nehme, aber mein Herz iſt wirklich zu voll, als daß es nicht überfließen ſollte, und ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie mich 15*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/237
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/237>, abgerufen am 22.11.2024.