liebte. Julius von Berkow war eine reizende Er¬ scheinung. Die Blouse von dunkelgrünem Sammet, die er mit einem breiten Riemen um den schlanken Leib gegürtet trug, gab ihm das Ansehen eines allerliebsten kleinen Pagen. Dunkle Locken wallten in weichen Ringeln von dem edelgeformten Kopf; sein Ge¬ sicht war märchenhaft schön und zart, und Oswald zuckte zusammen, als er seine warme, weiche Hand für einen Augenblick in der seinen hielt, und in die großen lichtbraunen, träumerischen Augen schaute. Es war ihm, als hätte er Melitta's Hand berührt, als hätte er in Melitta's Augen geschaut.
"Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Bem¬ perlein," sagte er, seine Verwirrung bemeisternd, "daß Sie noch die Zeit gefunden haben, herüber zu kommen. Aufrichtig, ich habe Sie heut halb und halb erwartet, um so mehr, als Bruno es für eine Unmöglichkeit hielt, Julius könne abreisen, ohne vorher von ihm förmlichen Abschied genommen zu haben."
Da sprang die Thür auf, und herein stürzte Bruno, ein mächtiges Butterbrot in der Hand. "Hurra, Julius, Zuckerpuppe!" schrie er, "Dein Glück, daß Du gekommen bist! Ich wäre Dir sonst nach Grünewald nachgelaufen, Dich auf offener Straße durchzuprügeln. Hier, beiß ab! Das letzte Butterbrot, das wir für lange Zeit mit
liebte. Julius von Berkow war eine reizende Er¬ ſcheinung. Die Blouſe von dunkelgrünem Sammet, die er mit einem breiten Riemen um den ſchlanken Leib gegürtet trug, gab ihm das Anſehen eines allerliebſten kleinen Pagen. Dunkle Locken wallten in weichen Ringeln von dem edelgeformten Kopf; ſein Ge¬ ſicht war märchenhaft ſchön und zart, und Oswald zuckte zuſammen, als er ſeine warme, weiche Hand für einen Augenblick in der ſeinen hielt, und in die großen lichtbraunen, träumeriſchen Augen ſchaute. Es war ihm, als hätte er Melitta's Hand berührt, als hätte er in Melitta's Augen geſchaut.
„Es iſt ſehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Bem¬ perlein,“ ſagte er, ſeine Verwirrung bemeiſternd, „daß Sie noch die Zeit gefunden haben, herüber zu kommen. Aufrichtig, ich habe Sie heut halb und halb erwartet, um ſo mehr, als Bruno es für eine Unmöglichkeit hielt, Julius könne abreiſen, ohne vorher von ihm förmlichen Abſchied genommen zu haben.“
Da ſprang die Thür auf, und herein ſtürzte Bruno, ein mächtiges Butterbrot in der Hand. „Hurra, Julius, Zuckerpuppe!“ ſchrie er, „Dein Glück, daß Du gekommen biſt! Ich wäre Dir ſonſt nach Grünewald nachgelaufen, Dich auf offener Straße durchzuprügeln. Hier, beiß ab! Das letzte Butterbrot, das wir für lange Zeit mit
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liebte. Julius von Berkow war eine reizende Er¬
ſcheinung. Die Blouſe von dunkelgrünem Sammet,
die er mit einem breiten Riemen um den ſchlanken
Leib gegürtet trug, gab ihm das Anſehen eines
allerliebſten kleinen Pagen. Dunkle Locken wallten in
weichen Ringeln von dem edelgeformten Kopf; ſein Ge¬
ſicht war märchenhaft ſchön und zart, und Oswald
zuckte zuſammen, als er ſeine warme, weiche Hand für
einen Augenblick in der ſeinen hielt, und in die großen
lichtbraunen, träumeriſchen Augen ſchaute. Es war ihm,
als hätte er Melitta's Hand berührt, als hätte er in
Melitta's Augen geſchaut.
„Es iſt ſehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Bem¬
perlein,“ ſagte er, ſeine Verwirrung bemeiſternd, „daß
Sie noch die Zeit gefunden haben, herüber zu kommen.
Aufrichtig, ich habe Sie heut halb und halb erwartet,
um ſo mehr, als Bruno es für eine Unmöglichkeit hielt,
Julius könne abreiſen, ohne vorher von ihm förmlichen
Abſchied genommen zu haben.“
Da ſprang die Thür auf, und herein ſtürzte Bruno,
ein mächtiges Butterbrot in der Hand. „Hurra, Julius,
Zuckerpuppe!“ ſchrie er, „Dein Glück, daß Du gekommen
biſt! Ich wäre Dir ſonſt nach Grünewald nachgelaufen,
Dich auf offener Straße durchzuprügeln. Hier, beiß
ab! Das letzte Butterbrot, das wir für lange Zeit mit
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/231>, abgerufen am 25.11.2024.
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