Oswald war allein. Er war, eine Hand auf den Tisch gestützt, nachdenklich stehen geblieben, und hörte mechanisch zu, wie die Schritte des Dieners allmälig auf dem Corridor verhallten. Jetzt ergriff er eine der beiden Kerzen, ging durch sein Schlafgemach nach der Thür, von der ihm der Diener gesagt, daß sie in das Gemach der Knaben führe, öffnete sie behutsam und trat, das Licht mit der Hand schirmend, leise ein.
Die Betten der Knaben standen dicht nebeneinander. Vor dem einen Bette lag ein Teppich, vor dem andern nicht. Ueber dem Bette ohne Teppich hing an der Wand eine kleine silberne, über dem mit dem Teppich eine noch kleinere goldene Uhr. In dem Bette unter der goldenen Uhr lag ein Knabe von vielleicht vierzehn Jahren, mit blondem, schlichtem Haar, und einem schmalen, feinen Gesicht, das in diesem Augenblicke durch den halb geöffneten Mund etwas Albernes hatte; in dem Bette unter der silbernen Uhr ein Knabe, der wohl nur ein Jahr älter sein mochte, als der erste, aber mindestens um drei Jahre älter aussah, und überhaupt mit jenem den sonderbarsten Contrast bildete. Während die Arme jenes schlaff auf der Decke lagen, hatte dieser die seinen über der Brust verschränkt. Der fest geschlossene Mund, und die in diesem Augen¬
„Gute Nacht.“
Oswald war allein. Er war, eine Hand auf den Tiſch geſtützt, nachdenklich ſtehen geblieben, und hörte mechaniſch zu, wie die Schritte des Dieners allmälig auf dem Corridor verhallten. Jetzt ergriff er eine der beiden Kerzen, ging durch ſein Schlafgemach nach der Thür, von der ihm der Diener geſagt, daß ſie in das Gemach der Knaben führe, öffnete ſie behutſam und trat, das Licht mit der Hand ſchirmend, leiſe ein.
Die Betten der Knaben ſtanden dicht nebeneinander. Vor dem einen Bette lag ein Teppich, vor dem andern nicht. Ueber dem Bette ohne Teppich hing an der Wand eine kleine ſilberne, über dem mit dem Teppich eine noch kleinere goldene Uhr. In dem Bette unter der goldenen Uhr lag ein Knabe von vielleicht vierzehn Jahren, mit blondem, ſchlichtem Haar, und einem ſchmalen, feinen Geſicht, das in dieſem Augenblicke durch den halb geöffneten Mund etwas Albernes hatte; in dem Bette unter der ſilbernen Uhr ein Knabe, der wohl nur ein Jahr älter ſein mochte, als der erſte, aber mindeſtens um drei Jahre älter ausſah, und überhaupt mit jenem den ſonderbarſten Contraſt bildete. Während die Arme jenes ſchlaff auf der Decke lagen, hatte dieſer die ſeinen über der Bruſt verſchränkt. Der feſt geſchloſſene Mund, und die in dieſem Augen¬
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„Gute Nacht.“
Oswald war allein. Er war, eine Hand auf den
Tiſch geſtützt, nachdenklich ſtehen geblieben, und hörte
mechaniſch zu, wie die Schritte des Dieners allmälig
auf dem Corridor verhallten. Jetzt ergriff er eine der
beiden Kerzen, ging durch ſein Schlafgemach nach der
Thür, von der ihm der Diener geſagt, daß ſie in das
Gemach der Knaben führe, öffnete ſie behutſam und
trat, das Licht mit der Hand ſchirmend, leiſe ein.
Die Betten der Knaben ſtanden dicht nebeneinander.
Vor dem einen Bette lag ein Teppich, vor dem andern
nicht. Ueber dem Bette ohne Teppich hing an der
Wand eine kleine ſilberne, über dem mit dem Teppich
eine noch kleinere goldene Uhr. In dem Bette unter
der goldenen Uhr lag ein Knabe von vielleicht vierzehn
Jahren, mit blondem, ſchlichtem Haar, und einem
ſchmalen, feinen Geſicht, das in dieſem Augenblicke
durch den halb geöffneten Mund etwas Albernes hatte;
in dem Bette unter der ſilbernen Uhr ein Knabe, der
wohl nur ein Jahr älter ſein mochte, als der erſte,
aber mindeſtens um drei Jahre älter ausſah, und
überhaupt mit jenem den ſonderbarſten Contraſt bildete.
Während die Arme jenes ſchlaff auf der Decke lagen,
hatte dieſer die ſeinen über der Bruſt verſchränkt.
Der feſt geſchloſſene Mund, und die in dieſem Augen¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/20>, abgerufen am 24.11.2024.
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