Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Schritte. Ich fuhr selbst nach B. und öffnete den
Kerker meiner armen braunen Gräfin. Aber, wie fand
ich sie wieder! Bleich, abgemagert, verhärmt, um so
viele Jahre gealtert, als sie Wochen gefangen gesessen
hatte. Die kleine Czika sah wo möglich noch schlimmer
aus. Ich nahm sie mit hierher nach Berkow; ich
pflegte sie, ich tröstete sie, ich beschenkte sie, ich that,
was ich konnte. Aber die Reue kam hier wie überall
zu spät. Der kleinen Czika war die Kerkerluft bis
in's Herz gedrungen. Sie verfiel, kaum hier ange¬
kommen, in ein hitziges Fieber, und ich danke Gott
noch heute, daß sie mit dem Leben davon kam. Was
hätte ich anfangen sollen, wenn sie gestorben wäre!"

Melitta schwieg und in ihrem Auge glänzte etwas,
wie eine Thräne. Aber im nächsten Momente lachte
sie schon wieder und sagte:

"Nun, sie starb ja nicht, sondern wurde wieder
munter und frisch wie vorher, und spielte sich mit
meinem Julius hier wieder helle Augen und rothe
Backen. Die Kinder hatten sich sehr lieb gewonnen,
und ich hätte die Kleine gar zu gern hier behalten,
sie mit Julius zusammen erziehen zu lassen. Das
Kind zeigte die köstlichsten Anlagen, besonders ein über¬
raschendes Talent für Musik. Die braune Gräfin
wollte ich zu meiner Kammerfrau machen, oder wozu

Schritte. Ich fuhr ſelbſt nach B. und öffnete den
Kerker meiner armen braunen Gräfin. Aber, wie fand
ich ſie wieder! Bleich, abgemagert, verhärmt, um ſo
viele Jahre gealtert, als ſie Wochen gefangen geſeſſen
hatte. Die kleine Czika ſah wo möglich noch ſchlimmer
aus. Ich nahm ſie mit hierher nach Berkow; ich
pflegte ſie, ich tröſtete ſie, ich beſchenkte ſie, ich that,
was ich konnte. Aber die Reue kam hier wie überall
zu ſpät. Der kleinen Czika war die Kerkerluft bis
in's Herz gedrungen. Sie verfiel, kaum hier ange¬
kommen, in ein hitziges Fieber, und ich danke Gott
noch heute, daß ſie mit dem Leben davon kam. Was
hätte ich anfangen ſollen, wenn ſie geſtorben wäre!“

Melitta ſchwieg und in ihrem Auge glänzte etwas,
wie eine Thräne. Aber im nächſten Momente lachte
ſie ſchon wieder und ſagte:

„Nun, ſie ſtarb ja nicht, ſondern wurde wieder
munter und friſch wie vorher, und ſpielte ſich mit
meinem Julius hier wieder helle Augen und rothe
Backen. Die Kinder hatten ſich ſehr lieb gewonnen,
und ich hätte die Kleine gar zu gern hier behalten,
ſie mit Julius zuſammen erziehen zu laſſen. Das
Kind zeigte die köſtlichſten Anlagen, beſonders ein über¬
raſchendes Talent für Muſik. Die braune Gräfin
wollte ich zu meiner Kammerfrau machen, oder wozu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0166" n="156"/>
Schritte. Ich fuhr &#x017F;elb&#x017F;t nach B. und öffnete den<lb/>
Kerker meiner armen braunen Gräfin. Aber, wie fand<lb/>
ich &#x017F;ie wieder! Bleich, abgemagert, verhärmt, um &#x017F;o<lb/>
viele Jahre gealtert, als &#x017F;ie Wochen gefangen ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte. Die kleine Czika &#x017F;ah wo möglich noch &#x017F;chlimmer<lb/>
aus. Ich nahm &#x017F;ie mit hierher nach Berkow; ich<lb/>
pflegte &#x017F;ie, ich trö&#x017F;tete &#x017F;ie, ich be&#x017F;chenkte &#x017F;ie, ich that,<lb/>
was ich konnte. Aber die Reue kam hier wie überall<lb/>
zu &#x017F;pät. Der kleinen Czika war die Kerkerluft bis<lb/>
in's Herz gedrungen. Sie verfiel, kaum hier ange¬<lb/>
kommen, in ein hitziges Fieber, und ich danke Gott<lb/>
noch heute, daß &#x017F;ie mit dem Leben davon kam. Was<lb/>
hätte ich anfangen &#x017F;ollen, wenn &#x017F;ie ge&#x017F;torben wäre!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Melitta &#x017F;chwieg und in ihrem Auge glänzte etwas,<lb/>
wie eine Thräne. Aber im näch&#x017F;ten Momente lachte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chon wieder und &#x017F;agte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, &#x017F;ie &#x017F;tarb ja nicht, &#x017F;ondern wurde wieder<lb/>
munter und fri&#x017F;ch wie vorher, und &#x017F;pielte &#x017F;ich mit<lb/>
meinem Julius hier wieder helle Augen und rothe<lb/>
Backen. Die Kinder hatten &#x017F;ich &#x017F;ehr lieb gewonnen,<lb/>
und ich hätte die Kleine gar zu gern hier behalten,<lb/>
&#x017F;ie mit Julius zu&#x017F;ammen erziehen zu la&#x017F;&#x017F;en. Das<lb/>
Kind zeigte die kö&#x017F;tlich&#x017F;ten Anlagen, be&#x017F;onders ein über¬<lb/>
ra&#x017F;chendes Talent für Mu&#x017F;ik. Die braune Gräfin<lb/>
wollte ich zu meiner Kammerfrau machen, oder wozu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0166] Schritte. Ich fuhr ſelbſt nach B. und öffnete den Kerker meiner armen braunen Gräfin. Aber, wie fand ich ſie wieder! Bleich, abgemagert, verhärmt, um ſo viele Jahre gealtert, als ſie Wochen gefangen geſeſſen hatte. Die kleine Czika ſah wo möglich noch ſchlimmer aus. Ich nahm ſie mit hierher nach Berkow; ich pflegte ſie, ich tröſtete ſie, ich beſchenkte ſie, ich that, was ich konnte. Aber die Reue kam hier wie überall zu ſpät. Der kleinen Czika war die Kerkerluft bis in's Herz gedrungen. Sie verfiel, kaum hier ange¬ kommen, in ein hitziges Fieber, und ich danke Gott noch heute, daß ſie mit dem Leben davon kam. Was hätte ich anfangen ſollen, wenn ſie geſtorben wäre!“ Melitta ſchwieg und in ihrem Auge glänzte etwas, wie eine Thräne. Aber im nächſten Momente lachte ſie ſchon wieder und ſagte: „Nun, ſie ſtarb ja nicht, ſondern wurde wieder munter und friſch wie vorher, und ſpielte ſich mit meinem Julius hier wieder helle Augen und rothe Backen. Die Kinder hatten ſich ſehr lieb gewonnen, und ich hätte die Kleine gar zu gern hier behalten, ſie mit Julius zuſammen erziehen zu laſſen. Das Kind zeigte die köſtlichſten Anlagen, beſonders ein über¬ raſchendes Talent für Muſik. Die braune Gräfin wollte ich zu meiner Kammerfrau machen, oder wozu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/166
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/166>, abgerufen am 22.11.2024.