dem Tisch vor dem Sopha, wie es schien mit Lesen, beschäftigt gewesen waren.
"Meine Frau," sagte der Baron, Oswald der älteren von den beiden Damen vorstellend, einer hohen, schlanken Frau von etwa vierzig Jahren, die dem An¬ kömmling ein paar Schritte entgegengegangen war und jetzt mit einiger Förmlichkeit seine Begrüßung erwie¬ derte, und dann verbeugte er sich auch vor der jün¬ geren, einer zierlichen kleinen Gestalt mit einem etwas scharfen, echt franzöfischen, von langen englischen Locken eingerahmten Gesicht, da er in dem Umstande, daß sie ihm nicht besonders vorgestellt wurde, keinen zwingen¬ den Grund sah, diese Höflichkeit zu unterlassen.
"Sie kommen spät, Herr Doctor Stein," sagte die Baronin mit einer tiefen, wohllautende Stimme, die mit dem kalten Licht ihrer großen grauen Augen nicht ganz harmonirte.
"So früh, gnädige Frau," antwortete der junge Mann heiter, "als es der widrige Wind, der heute Morgen das Fährboot um mehre Stunden aufhielt, und der Kutscher des Herrn Baron, dessen Geduld zu bewundern ich unterwegs reichlich Gelegenheit hatte, erlaubten."
"Geduld ist eine schöne Tugend," sagte die Ba¬ ronin, nachdem sie ihren Platz auf dem Sopha wieder
dem Tiſch vor dem Sopha, wie es ſchien mit Leſen, beſchäftigt geweſen waren.
„Meine Frau,“ ſagte der Baron, Oswald der älteren von den beiden Damen vorſtellend, einer hohen, ſchlanken Frau von etwa vierzig Jahren, die dem An¬ kömmling ein paar Schritte entgegengegangen war und jetzt mit einiger Förmlichkeit ſeine Begrüßung erwie¬ derte, und dann verbeugte er ſich auch vor der jün¬ geren, einer zierlichen kleinen Geſtalt mit einem etwas ſcharfen, echt franzöfiſchen, von langen engliſchen Locken eingerahmten Geſicht, da er in dem Umſtande, daß ſie ihm nicht beſonders vorgeſtellt wurde, keinen zwingen¬ den Grund ſah, dieſe Höflichkeit zu unterlaſſen.
„Sie kommen ſpät, Herr Doctor Stein‚“ ſagte die Baronin mit einer tiefen, wohllautende Stimme, die mit dem kalten Licht ihrer großen grauen Augen nicht ganz harmonirte.
„So früh, gnädige Frau,“ antwortete der junge Mann heiter, „als es der widrige Wind, der heute Morgen das Fährboot um mehre Stunden aufhielt, und der Kutſcher des Herrn Baron, deſſen Geduld zu bewundern ich unterwegs reichlich Gelegenheit hatte, erlaubten.“
„Geduld iſt eine ſchöne Tugend,“ ſagte die Ba¬ ronin, nachdem ſie ihren Platz auf dem Sopha wieder
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0014"n="4"/>
dem Tiſch vor dem Sopha, wie es ſchien mit Leſen,<lb/>
beſchäftigt geweſen waren.</p><lb/><p>„Meine Frau,“ſagte der Baron, Oswald der<lb/>
älteren von den beiden Damen vorſtellend, einer hohen,<lb/>ſchlanken Frau von etwa vierzig Jahren, die dem An¬<lb/>
kömmling ein paar Schritte entgegengegangen war und<lb/>
jetzt mit einiger Förmlichkeit ſeine Begrüßung erwie¬<lb/>
derte, und dann verbeugte er ſich auch vor der jün¬<lb/>
geren, einer zierlichen kleinen Geſtalt mit einem etwas<lb/>ſcharfen, echt franzöfiſchen, von langen engliſchen Locken<lb/>
eingerahmten Geſicht, da er in dem Umſtande, daß ſie<lb/>
ihm nicht beſonders vorgeſtellt wurde, keinen zwingen¬<lb/>
den Grund ſah, dieſe Höflichkeit zu unterlaſſen.</p><lb/><p>„Sie kommen ſpät, Herr Doctor Stein‚“ſagte die<lb/>
Baronin mit einer tiefen, wohllautende Stimme, die<lb/>
mit dem kalten Licht ihrer großen grauen Augen nicht<lb/>
ganz harmonirte.</p><lb/><p>„So früh, gnädige Frau,“ antwortete der junge<lb/>
Mann heiter, „als es der widrige Wind, der heute<lb/>
Morgen das Fährboot um mehre Stunden aufhielt,<lb/>
und der Kutſcher des Herrn Baron, deſſen Geduld zu<lb/>
bewundern ich unterwegs reichlich Gelegenheit hatte,<lb/>
erlaubten.“</p><lb/><p>„Geduld iſt eine ſchöne Tugend,“ſagte die Ba¬<lb/>
ronin, nachdem ſie ihren Platz auf dem Sopha wieder<lb/></p></div></body></text></TEI>
[4/0014]
dem Tiſch vor dem Sopha, wie es ſchien mit Leſen,
beſchäftigt geweſen waren.
„Meine Frau,“ ſagte der Baron, Oswald der
älteren von den beiden Damen vorſtellend, einer hohen,
ſchlanken Frau von etwa vierzig Jahren, die dem An¬
kömmling ein paar Schritte entgegengegangen war und
jetzt mit einiger Förmlichkeit ſeine Begrüßung erwie¬
derte, und dann verbeugte er ſich auch vor der jün¬
geren, einer zierlichen kleinen Geſtalt mit einem etwas
ſcharfen, echt franzöfiſchen, von langen engliſchen Locken
eingerahmten Geſicht, da er in dem Umſtande, daß ſie
ihm nicht beſonders vorgeſtellt wurde, keinen zwingen¬
den Grund ſah, dieſe Höflichkeit zu unterlaſſen.
„Sie kommen ſpät, Herr Doctor Stein‚“ ſagte die
Baronin mit einer tiefen, wohllautende Stimme, die
mit dem kalten Licht ihrer großen grauen Augen nicht
ganz harmonirte.
„So früh, gnädige Frau,“ antwortete der junge
Mann heiter, „als es der widrige Wind, der heute
Morgen das Fährboot um mehre Stunden aufhielt,
und der Kutſcher des Herrn Baron, deſſen Geduld zu
bewundern ich unterwegs reichlich Gelegenheit hatte,
erlaubten.“
„Geduld iſt eine ſchöne Tugend,“ ſagte die Ba¬
ronin, nachdem ſie ihren Platz auf dem Sopha wieder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/14>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.