Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

bemerkt) auf das Arbeitskörbchen gleiten. "Wir sitzen
hier zwar nicht im Schatten der gewaltigen Fichte und
der weißen Pappel, aber doch im Schatten; und den
wollten Sie vertauschen mit der Hitze und dem Staub
der Landstraße? Unmöglich! noch eine Tasse, werther
Gast! Es ist kein Falerner, wie ihn der glückliche
Römer in der eben citirten Ode trinkt, aber doch ein
Getränk, das einigen Anspruch auf Classicität machen
darf, seitdem unser lieber Boß in seiner "Louise" es
so verherrlicht hat. Sagen Sie, lieber Gastfreund, hat
Ihnen nicht der Aufenthalt unter unserm niedrigen
Dache manche Reminiscenzen an die liebliche Idylle
erweckt? Haben Sie nicht empfunden, daß in diesen,
von dem Treiben der Menschen weit entfernten Stät¬
ten die sanfte Stimme der Poesie, die auf dem lauten
Markte des Lebens ungehört verhallt, deutlich zu uns
spricht?"

"Jetzt geschieht das Entsetzliche!" dachte Oswald.

"Ich bewundere," sagte er, "wie Sie so sinnig
Altes und Neues, Wirklichkeit und Poesie zu einem
duftigen Kranze zu flechten verstehen. Mir selbst ist
leider in jüngster Zeit die Prosa des Alltagslebens nah
und näher getreten; ja, aufrichtig gestanden, ich habe
mich, was ich früher für unmöglich hielt, mehr und
mehr mit ihr ausgesöhnt, obgleich ich sehr wohl weiß,

bemerkt) auf das Arbeitskörbchen gleiten. „Wir ſitzen
hier zwar nicht im Schatten der gewaltigen Fichte und
der weißen Pappel, aber doch im Schatten; und den
wollten Sie vertauſchen mit der Hitze und dem Staub
der Landſtraße? Unmöglich! noch eine Taſſe, werther
Gaſt! Es iſt kein Falerner, wie ihn der glückliche
Römer in der eben citirten Ode trinkt, aber doch ein
Getränk, das einigen Anſpruch auf Claſſicität machen
darf, ſeitdem unſer lieber Boß in ſeiner „Louiſe“ es
ſo verherrlicht hat. Sagen Sie, lieber Gaſtfreund, hat
Ihnen nicht der Aufenthalt unter unſerm niedrigen
Dache manche Reminiscenzen an die liebliche Idylle
erweckt? Haben Sie nicht empfunden, daß in dieſen,
von dem Treiben der Menſchen weit entfernten Stät¬
ten die ſanfte Stimme der Poeſie, die auf dem lauten
Markte des Lebens ungehört verhallt, deutlich zu uns
ſpricht?“

„Jetzt geſchieht das Entſetzliche!“ dachte Oswald.

„Ich bewundere,“ ſagte er, „wie Sie ſo ſinnig
Altes und Neues, Wirklichkeit und Poeſie zu einem
duftigen Kranze zu flechten verſtehen. Mir ſelbſt iſt
leider in jüngſter Zeit die Proſa des Alltagslebens nah
und näher getreten; ja, aufrichtig geſtanden, ich habe
mich, was ich früher für unmöglich hielt, mehr und
mehr mit ihr ausgeſöhnt, obgleich ich ſehr wohl weiß,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0131" n="121"/>
bemerkt) auf das Arbeitskörbchen gleiten. &#x201E;Wir &#x017F;itzen<lb/>
hier zwar nicht im Schatten der gewaltigen Fichte und<lb/>
der weißen Pappel, aber doch im Schatten; und den<lb/>
wollten Sie vertau&#x017F;chen mit der Hitze und dem Staub<lb/>
der Land&#x017F;traße? Unmöglich! noch eine Ta&#x017F;&#x017F;e, werther<lb/>
Ga&#x017F;t! Es i&#x017F;t kein Falerner, wie ihn der glückliche<lb/>
Römer in der eben citirten Ode trinkt, aber doch ein<lb/>
Getränk, das einigen An&#x017F;pruch auf Cla&#x017F;&#x017F;icität machen<lb/>
darf, &#x017F;eitdem un&#x017F;er lieber Boß in &#x017F;einer &#x201E;Loui&#x017F;e&#x201C; es<lb/>
&#x017F;o verherrlicht hat. Sagen Sie, lieber Ga&#x017F;tfreund, hat<lb/>
Ihnen nicht der Aufenthalt unter un&#x017F;erm niedrigen<lb/>
Dache manche Reminiscenzen an die liebliche Idylle<lb/>
erweckt? Haben Sie nicht empfunden, daß in die&#x017F;en,<lb/>
von dem Treiben der Men&#x017F;chen weit entfernten Stät¬<lb/>
ten die &#x017F;anfte Stimme der Poe&#x017F;ie, die auf dem lauten<lb/>
Markte des Lebens ungehört verhallt, deutlich zu uns<lb/>
&#x017F;pricht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jetzt ge&#x017F;chieht das Ent&#x017F;etzliche!&#x201C; dachte Oswald.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bewundere,&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;wie Sie &#x017F;o &#x017F;innig<lb/>
Altes und Neues, Wirklichkeit und Poe&#x017F;ie zu einem<lb/>
duftigen Kranze zu flechten ver&#x017F;tehen. Mir &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t<lb/>
leider in jüng&#x017F;ter Zeit die Pro&#x017F;a des Alltagslebens nah<lb/>
und näher getreten; ja, aufrichtig ge&#x017F;tanden, ich habe<lb/>
mich, was ich früher für unmöglich hielt, mehr und<lb/>
mehr mit ihr ausge&#x017F;öhnt, obgleich ich &#x017F;ehr wohl weiß,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0131] bemerkt) auf das Arbeitskörbchen gleiten. „Wir ſitzen hier zwar nicht im Schatten der gewaltigen Fichte und der weißen Pappel, aber doch im Schatten; und den wollten Sie vertauſchen mit der Hitze und dem Staub der Landſtraße? Unmöglich! noch eine Taſſe, werther Gaſt! Es iſt kein Falerner, wie ihn der glückliche Römer in der eben citirten Ode trinkt, aber doch ein Getränk, das einigen Anſpruch auf Claſſicität machen darf, ſeitdem unſer lieber Boß in ſeiner „Louiſe“ es ſo verherrlicht hat. Sagen Sie, lieber Gaſtfreund, hat Ihnen nicht der Aufenthalt unter unſerm niedrigen Dache manche Reminiscenzen an die liebliche Idylle erweckt? Haben Sie nicht empfunden, daß in dieſen, von dem Treiben der Menſchen weit entfernten Stät¬ ten die ſanfte Stimme der Poeſie, die auf dem lauten Markte des Lebens ungehört verhallt, deutlich zu uns ſpricht?“ „Jetzt geſchieht das Entſetzliche!“ dachte Oswald. „Ich bewundere,“ ſagte er, „wie Sie ſo ſinnig Altes und Neues, Wirklichkeit und Poeſie zu einem duftigen Kranze zu flechten verſtehen. Mir ſelbſt iſt leider in jüngſter Zeit die Proſa des Alltagslebens nah und näher getreten; ja, aufrichtig geſtanden, ich habe mich, was ich früher für unmöglich hielt, mehr und mehr mit ihr ausgeſöhnt, obgleich ich ſehr wohl weiß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/131
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/131>, abgerufen am 26.11.2024.