die Freuden des Mahles zu verkürzen. Aller guten Dinge sind drei, lassen Sie uns noch eine Flasche" --
"Aber Jäger, der Kaffee wird ja kalt!" tönte die scharfe Stimme der Primula Beris aus dem Garten durch das offene Fenster.
"Wir kommen, wir kommen, Gustchen!" rief der gehorsame Gatte. "Gesegnete Mahlzeit, mein lieber junger Freund! (bei diesen Worten umarmte er Os¬ wald) ; mein theurer Freund! (abermalige Umarmung)--"
"Aber wir vergessen, daß der Kaffee auf uns war¬ tet," rief Oswald, mit Mühe einer dritten Umarmung entgehend, und den Weg nach dem Garten einschlagend, während der Pastor, ehe er seinem Gaste folgte, noch schnell den letzten Rest aus der Flasche in sein Glas schenkte, und dasselbe eiligst (diesmal wahrscheinlich auf sein eigenes Wohl) austrank.
Der Garten gewährte um diese Tageszeit gerade nicht den angenehmsten Aufenthalt. Denn die Anlagen waren noch sehr jung; die Bäumchen meistens erst in Mannshöhe, und in Folge dessen das Ganze eine schattenlose, prosaische, nüchterne Stätte, die auffallend an die Theologie des gelehrten Herrn erinnerte, auch insofern, als hier wie dort das Nützlichkeitsprincip das oberste zu sein schien. Die Gemüsebeete waren sorg¬ sam gepflegt, Blumen aber sah man wenig, nur einige
die Freuden des Mahles zu verkürzen. Aller guten Dinge ſind drei, laſſen Sie uns noch eine Flaſche“ —
„Aber Jäger, der Kaffee wird ja kalt!“ tönte die ſcharfe Stimme der Primula Beris aus dem Garten durch das offene Fenſter.
„Wir kommen, wir kommen, Guſtchen!“ rief der gehorſame Gatte. „Geſegnete Mahlzeit, mein lieber junger Freund! (bei dieſen Worten umarmte er Os¬ wald) ; mein theurer Freund! (abermalige Umarmung)—“
„Aber wir vergeſſen, daß der Kaffee auf uns war¬ tet,“ rief Oswald, mit Mühe einer dritten Umarmung entgehend, und den Weg nach dem Garten einſchlagend, während der Paſtor, ehe er ſeinem Gaſte folgte, noch ſchnell den letzten Reſt aus der Flaſche in ſein Glas ſchenkte, und daſſelbe eiligſt (diesmal wahrſcheinlich auf ſein eigenes Wohl) austrank.
Der Garten gewährte um dieſe Tageszeit gerade nicht den angenehmſten Aufenthalt. Denn die Anlagen waren noch ſehr jung; die Bäumchen meiſtens erſt in Mannshöhe, und in Folge deſſen das Ganze eine ſchattenloſe, proſaiſche, nüchterne Stätte, die auffallend an die Theologie des gelehrten Herrn erinnerte, auch inſofern, als hier wie dort das Nützlichkeitsprincip das oberſte zu ſein ſchien. Die Gemüſebeete waren ſorg¬ ſam gepflegt, Blumen aber ſah man wenig, nur einige
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die Freuden des Mahles zu verkürzen. Aller guten
Dinge ſind drei, laſſen Sie uns noch eine Flaſche“ —
„Aber Jäger, der Kaffee wird ja kalt!“ tönte die
ſcharfe Stimme der Primula Beris aus dem Garten
durch das offene Fenſter.
„Wir kommen, wir kommen, Guſtchen!“ rief der
gehorſame Gatte. „Geſegnete Mahlzeit, mein lieber
junger Freund! (bei dieſen Worten umarmte er Os¬
wald) ; mein theurer Freund! (abermalige Umarmung)—“
„Aber wir vergeſſen, daß der Kaffee auf uns war¬
tet,“ rief Oswald, mit Mühe einer dritten Umarmung
entgehend, und den Weg nach dem Garten einſchlagend,
während der Paſtor, ehe er ſeinem Gaſte folgte, noch
ſchnell den letzten Reſt aus der Flaſche in ſein Glas
ſchenkte, und daſſelbe eiligſt (diesmal wahrſcheinlich auf
ſein eigenes Wohl) austrank.
Der Garten gewährte um dieſe Tageszeit gerade
nicht den angenehmſten Aufenthalt. Denn die Anlagen
waren noch ſehr jung; die Bäumchen meiſtens erſt in
Mannshöhe, und in Folge deſſen das Ganze eine
ſchattenloſe, proſaiſche, nüchterne Stätte, die auffallend
an die Theologie des gelehrten Herrn erinnerte, auch
inſofern, als hier wie dort das Nützlichkeitsprincip das
oberſte zu ſein ſchien. Die Gemüſebeete waren ſorg¬
ſam gepflegt, Blumen aber ſah man wenig, nur einige
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/129>, abgerufen am 18.07.2024.
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