Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. VI. SECT. VII. set es ihm gefallen, bey ihr zu wohnen, die scheide sich nicht von ihm. Esgründet sich auch solcher satz auf die unzertrennlichkeit der ehe Matth. 19. v. 9. darzu auch noch die hoffnung der bekehrung kommet. Welche ursachen denn derjenigen grossen beschwerde, die in dem fall der fortsetzung der gläubige theil von dem andern in solcher ungleichen lebens-art auszustehen hat, vortringen sollen, daß jene nicht alleine verbunden ist, wo der andere theil gutwillig zu seiner pflicht sich verstehet, sich nicht zu scheiden, sondern ich achte ihn auch gehalten, auf alle glimpffliche und gelinde weise an den ungläubigen zu setzen, ihn dahin zu bringen, daß er sich nicht trenne, und deswegen diesem alles einzuräumen, worinnen er, ohne sich der sünden theilhafftig zu machen, gehellen kan. Wie dann der gläu- bige im fall, daß der andere theil williget, zwar es am gebet vor dessen seele, gu- tem exempel und beweglichem zuspruch, die wahrheit auch zu erkennen und dersel- ben platz zu geben (dessen stäte fortsetzung nicht ohne hoffnung des segens ist) bey sich nichts ermangeln lassen darff, aber auch des andern theils schonen muß, ihm nichts wider sein gewissen, als lang dieses noch an seinem unglauben fest hanget, zu zumuthen, oder mit gewalt in dasselbige zu setzen, als wodurch das bekehrungs werck in der that mehr gehindert als gefördert wird. 2. Jst aber, daß der in dem judenthum bleibende theil, welches insgemein geschiehet, die ehe mit dem christli- chen fortzusetzen, nicht allein von selbsten nicht gesonnen ist, sondern sich auch mit güte darzu nicht bewegen lässet, so ist abermal der ausspruch des Apostels deutlich 1. Cor. 7. v. 15. Lasse ihn sich scheiden, es ist der bruder oder die schwester nicht gefangen in solchen fällen. 3. Was aber die art anlanget, wie die scheidung anzustellen, wegen des unter der judenschafft noch gebräuchlichen schei- de-brieffs, so komt die frage offte vor: indem wo das weib eine Judin bleibet, sie nach ihren gesetzen ohne empfang eines scheide-briefs nicht wieder heurathen kan: daher sie sich eusserst dahin zu bemühen pflegen, mit gutem oder zwang einen schei- de-brief zu erlangen. Und ist mir ein doppelt exempel in einer vornehmen reichs- stadt bekant, da zu zweyen malen der magistrat gegen alle mündliche und schrifft- liche gegenremonstration des predig-amts den zum christenthum bekehrten mann auch mit gefängnüß-straff dahin genöthiget, seinem jüdisch gebliebenen weib einen scheid-brief und zwar unter seinem vorigen jüdischen namen, zu geben: davon der eine mann noch leben wird. Der vorwand war, weil die Jüden des orts Käyserliche priuilegia hätten bey ihrer stättigkeit geschützet zu werden, müsten sie auch bey diesem recht des scheide-briefs erhalten werden. Jch kan aber solches keinerley massen billigen. Dann die habende priuilegia, und dadurch auf ge- wisse weise auctorisirte ihre gesetze mögen ihnen freyheit geben unter einander zu thun,
ARTIC. VI. SECT. VII. ſet es ihm gefallen, bey ihr zu wohnen, die ſcheide ſich nicht von ihm. Esgruͤndet ſich auch ſolcher ſatz auf die unzertrennlichkeit der ehe Matth. 19. v. 9. darzu auch noch die hoffnung der bekehrung kommet. Welche urſachen denn derjenigen groſſen beſchwerde, die in dem fall der fortſetzung der glaͤubige theil von dem andern in ſolcher ungleichen lebens-art auszuſtehen hat, vortringen ſollen, daß jene nicht alleine verbunden iſt, wo der andere theil gutwillig zu ſeiner pflicht ſich verſtehet, ſich nicht zu ſcheiden, ſondern ich achte ihn auch gehalten, auf alle glimpffliche und gelinde weiſe an den unglaͤubigen zu ſetzen, ihn dahin zu bringen, daß er ſich nicht trenne, und deswegen dieſem alles einzuraͤumen, worinnen er, ohne ſich der ſuͤnden theilhafftig zu machen, gehellen kan. Wie dann der glaͤu- bige im fall, daß der andere theil williget, zwar es am gebet vor deſſen ſeele, gu- tem exempel und beweglichem zuſpruch, die wahrheit auch zu erkennen und derſel- ben platz zu geben (deſſen ſtaͤte fortſetzung nicht ohne hoffnung des ſegens iſt) bey ſich nichts ermangeln laſſen darff, aber auch des andern theils ſchonen muß, ihm nichts wider ſein gewiſſen, als lang dieſes noch an ſeinem unglauben feſt hanget, zu zumuthen, oder mit gewalt in daſſelbige zu ſetzen, als wodurch das bekehrungs werck in der that mehr gehindert als gefoͤrdert wird. 2. Jſt aber, daß der in dem judenthum bleibende theil, welches insgemein geſchiehet, die ehe mit dem chriſtli- chen fortzuſetzen, nicht allein von ſelbſten nicht geſonnen iſt, ſondern ſich auch mit guͤte darzu nicht bewegen laͤſſet, ſo iſt abermal der ausſpruch des Apoſtels deutlich 1. Cor. 7. v. 15. Laſſe ihn ſich ſcheiden, es iſt der bruder oder die ſchweſter nicht gefangen in ſolchen faͤllen. 3. Was aber die art anlanget, wie die ſcheidung anzuſtellen, wegen des unter der judenſchafft noch gebraͤuchlichen ſchei- de-brieffs, ſo komt die frage offte vor: indem wo das weib eine Judin bleibet, ſie nach ihren geſetzen ohne empfang eines ſcheide-briefs nicht wieder heurathen kan: daher ſie ſich euſſerſt dahin zu bemuͤhen pflegen, mit gutem oder zwang einen ſchei- de-brief zu erlangen. Und iſt mir ein doppelt exempel in einer vornehmen reichs- ſtadt bekant, da zu zweyen malen der magiſtrat gegen alle muͤndliche und ſchrifft- liche gegenremonſtration des predig-amts den zum chriſtenthum bekehrten mann auch mit gefaͤngnuͤß-ſtraff dahin genoͤthiget, ſeinem juͤdiſch gebliebenen weib einen ſcheid-brief und zwar unter ſeinem vorigen juͤdiſchen namen, zu geben: davon der eine mann noch leben wird. Der vorwand war, weil die Juͤden des orts Kaͤyſerliche priuilegia haͤtten bey ihrer ſtaͤttigkeit geſchuͤtzet zu werden, muͤſten ſie auch bey dieſem recht des ſcheide-briefs erhalten werden. Jch kan aber ſolches keinerley maſſen billigen. Dann die habende priuilegia, und dadurch auf ge- wiſſe weiſe auctoriſirte ihre geſetze moͤgen ihnen freyheit geben unter einander zu thun,
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ARTIC. VI. SECT. VII.
ſet es ihm gefallen, bey ihr zu wohnen, die ſcheide ſich nicht von ihm. Es
gruͤndet ſich auch ſolcher ſatz auf die unzertrennlichkeit der ehe Matth. 19. v. 9.
darzu auch noch die hoffnung der bekehrung kommet. Welche urſachen denn
derjenigen groſſen beſchwerde, die in dem fall der fortſetzung der glaͤubige theil von
dem andern in ſolcher ungleichen lebens-art auszuſtehen hat, vortringen ſollen,
daß jene nicht alleine verbunden iſt, wo der andere theil gutwillig zu ſeiner pflicht
ſich verſtehet, ſich nicht zu ſcheiden, ſondern ich achte ihn auch gehalten, auf alle
glimpffliche und gelinde weiſe an den unglaͤubigen zu ſetzen, ihn dahin zu bringen,
daß er ſich nicht trenne, und deswegen dieſem alles einzuraͤumen, worinnen er,
ohne ſich der ſuͤnden theilhafftig zu machen, gehellen kan. Wie dann der glaͤu-
bige im fall, daß der andere theil williget, zwar es am gebet vor deſſen ſeele, gu-
tem exempel und beweglichem zuſpruch, die wahrheit auch zu erkennen und derſel-
ben platz zu geben (deſſen ſtaͤte fortſetzung nicht ohne hoffnung des ſegens iſt) bey
ſich nichts ermangeln laſſen darff, aber auch des andern theils ſchonen muß, ihm
nichts wider ſein gewiſſen, als lang dieſes noch an ſeinem unglauben feſt hanget,
zu zumuthen, oder mit gewalt in daſſelbige zu ſetzen, als wodurch das bekehrungs
werck in der that mehr gehindert als gefoͤrdert wird. 2. Jſt aber, daß der in dem
judenthum bleibende theil, welches insgemein geſchiehet, die ehe mit dem chriſtli-
chen fortzuſetzen, nicht allein von ſelbſten nicht geſonnen iſt, ſondern ſich auch mit
guͤte darzu nicht bewegen laͤſſet, ſo iſt abermal der ausſpruch des Apoſtels deutlich
1. Cor. 7. v. 15. Laſſe ihn ſich ſcheiden, es iſt der bruder oder die ſchweſter
nicht gefangen in ſolchen faͤllen. 3. Was aber die art anlanget, wie die
ſcheidung anzuſtellen, wegen des unter der judenſchafft noch gebraͤuchlichen ſchei-
de-brieffs, ſo komt die frage offte vor: indem wo das weib eine Judin bleibet, ſie
nach ihren geſetzen ohne empfang eines ſcheide-briefs nicht wieder heurathen kan:
daher ſie ſich euſſerſt dahin zu bemuͤhen pflegen, mit gutem oder zwang einen ſchei-
de-brief zu erlangen. Und iſt mir ein doppelt exempel in einer vornehmen reichs-
ſtadt bekant, da zu zweyen malen der magiſtrat gegen alle muͤndliche und ſchrifft-
liche gegenremonſtration des predig-amts den zum chriſtenthum bekehrten mann
auch mit gefaͤngnuͤß-ſtraff dahin genoͤthiget, ſeinem juͤdiſch gebliebenen weib einen
ſcheid-brief und zwar unter ſeinem vorigen juͤdiſchen namen, zu geben: davon
der eine mann noch leben wird. Der vorwand war, weil die Juͤden des orts
Kaͤyſerliche priuilegia haͤtten bey ihrer ſtaͤttigkeit geſchuͤtzet zu werden, muͤſten
ſie auch bey dieſem recht des ſcheide-briefs erhalten werden. Jch kan aber ſolches
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wiſſe weiſe auctoriſirte ihre geſetze moͤgen ihnen freyheit geben unter einander zu
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