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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XIII.
den Predigern nicht allein zu gestatten, daß sie nach ihrem befinden richten
solten: Dann sie sind menschen, und allerley menschlichen affecten unter-
worffen, und also ligt ihnen selbs und der gantzen kirchen daran, daß ihnen
nicht blosser dings das jenige überlassen werde, was die gantze kirche ange-
het. Wie ich weder sehe, daß Christus ihnen solche gewalt schlecht dahin
gegeben, noch irgend wo eine kirche solches gethan und sich ihres rechts so be-
geben, daß sie es dem ministerio allein übergelassen, wie solches auch nicht
weißlich hat geschehen können. Solten also aller orten rechte Consistoria
seyn aus Predigern, obrigkeitlichen personen und andern der gemeinde da-
zu erwehlten gliedern, die darüber zu cognosciren, und nach befinden in den
wichtigsten stücken wieder in die gemeinde zu referiren hätten, wer ferner
ein glied der gemeinde und deroselben gnadengüter theilhafftig seyn sol-
le. Wo dergleichen angestellet wird, so ist aller gewissen gerathen, und ein
neuer grund einer besser angeordneten kirchen geleget. Kan mans dahin
nicht bringen, so sollen die jetzo gebräuchlichen Consistoria, so aus den bey-
den oberständen bestehen, dahin erinnert werden, daß sie sich solcher sache,
welche an sie gehöret, fleißig annehmen, und der unordnung hülffen: Wie
sich auch ein und andere kirchen ordnungen in solcher materie deutlich her-
aus lassen, und heilsame ordnung vorschreiben, nach welcher wo gegangen
würde, abermal der stein ziemlich gehoben wäre. 2. Wo wir aber in sol-
chem stande stehen, wie wir an vielen orten sind, daß weder der alten art rech-
te consistoria, so die kirche repraesentiren, noch andere itzt gebräuchliche
consistoria, sich finden, oder diese sich dieser haupt-sache nicht annehmen,
daß sich also das predigamt, von der hülffe, die es haben solte, verlassen
und entblösset siehet, so muß es sich des wercks, so iederman ligen lässet,
annehmen, aber doch nicht weiter als sich seine macht erstrecket, sich etwas
arrogiren: wie wol, wo eines orts die prediger einmüthig sind, und es mit
der sache GOttes treulich meinende unter einander dessen sich vereinigen, wie
den gewissen der beicht-kinder gerathen werden möge, so können sie schon
weiter gehen, als ein eintzeler nicht gehen kan, und fället ein ziemliches des
rechten, das sonst niemand in der kirchen übet oder üben will, auf sie zurück.
3. Es stehet aber solche gewalt der prediger nicht in einer jurisdiction und ei-
genen gericht über die beicht-kinder, sondern in der predigt Gesetzes und Ev-
angelii, daß sie die gewissen informiren, was zu der tüchtigkeit zu der heiligen
Communion erfordert werde, und wie sie solches an ihnen finden oder nicht,
daher sie die conclusion mehr logice als judicialiter auf sie machen, ob sie,
so viel es der Prediger erkennen kan, solche tüchtigkeit haben oder nicht,
finden sie dieselbe an ihnen, so hats keine difficultät, finden sie sie aber
nicht, sondern das gegentheil, so ist ihr amt, daß sie dem beicht-
kind solches selbs beweglich vorstellen, es warnen und bitten, daß es sich

selbs
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ARTIC. I. SECTIO XIII.
den Predigern nicht allein zu geſtatten, daß ſie nach ihrem befinden richten
ſolten: Dann ſie ſind menſchen, und allerley menſchlichen affecten unter-
worffen, und alſo ligt ihnen ſelbs und der gantzen kirchen daran, daß ihnen
nicht bloſſer dings das jenige uͤberlaſſen werde, was die gantze kirche ange-
het. Wie ich weder ſehe, daß Chriſtus ihnen ſolche gewalt ſchlecht dahin
gegeben, noch irgend wo eine kirche ſolches gethan und ſich ihres rechts ſo be-
geben, daß ſie es dem miniſterio allein uͤbergelaſſen, wie ſolches auch nicht
weißlich hat geſchehen koͤnnen. Solten alſo aller orten rechte Conſiſtoria
ſeyn aus Predigern, obrigkeitlichen perſonen und andern der gemeinde da-
zu erwehlten gliedern, die daruͤber zu cognoſciren, und nach befinden in den
wichtigſten ſtuͤcken wieder in die gemeinde zu referiren haͤtten, wer ferner
ein glied der gemeinde und deroſelben gnadenguͤter theilhafftig ſeyn ſol-
le. Wo dergleichen angeſtellet wird, ſo iſt aller gewiſſen gerathen, und ein
neuer grund einer beſſer angeordneten kirchen geleget. Kan mans dahin
nicht bringen, ſo ſollen die jetzo gebraͤuchlichen Conſiſtoria, ſo aus den bey-
den oberſtaͤnden beſtehen, dahin erinnert werden, daß ſie ſich ſolcher ſache,
welche an ſie gehoͤret, fleißig annehmen, und der unordnung huͤlffen: Wie
ſich auch ein und andere kirchen ordnungen in ſolcher materie deutlich her-
aus laſſen, und heilſame ordnung vorſchreiben, nach welcher wo gegangen
wuͤrde, abermal der ſtein ziemlich gehoben waͤre. 2. Wo wir aber in ſol-
chem ſtande ſtehen, wie wir an vielen orten ſind, daß weder der alten art rech-
te conſiſtoria, ſo die kirche repræſentiren, noch andere itzt gebraͤuchliche
conſiſtoria, ſich finden, oder dieſe ſich dieſer haupt-ſache nicht annehmen,
daß ſich alſo das predigamt, von der huͤlffe, die es haben ſolte, verlaſſen
und entbloͤſſet ſiehet, ſo muß es ſich des wercks, ſo iederman ligen laͤſſet,
annehmen, aber doch nicht weiter als ſich ſeine macht erſtrecket, ſich etwas
arrogiren: wie wol, wo eines orts die prediger einmuͤthig ſind, und es mit
der ſache GOttes treulich meinende unter einander deſſen ſich vereinigen, wie
den gewiſſen der beicht-kinder gerathen werden moͤge, ſo koͤnnen ſie ſchon
weiter gehen, als ein eintzeler nicht gehen kan, und faͤllet ein ziemliches des
rechten, das ſonſt niemand in der kirchen uͤbet oder uͤben will, auf ſie zuruͤck.
3. Es ſtehet aber ſolche gewalt der prediger nicht in einer jurisdiction und ei-
genen gericht uͤber die beicht-kinder, ſondern in der predigt Geſetzes und Ev-
angelii, daß ſie die gewiſſen informiren, was zu der tuͤchtigkeit zu der heiligen
Communion erfordert werde, und wie ſie ſolches an ihnen finden oder nicht,
daher ſie die concluſion mehr logice als judicialiter auf ſie machen, ob ſie,
ſo viel es der Prediger erkennen kan, ſolche tuͤchtigkeit haben oder nicht,
finden ſie dieſelbe an ihnen, ſo hats keine difficultaͤt, finden ſie ſie aber
nicht, ſondern das gegentheil, ſo iſt ihr amt, daß ſie dem beicht-
kind ſolches ſelbs beweglich vorſtellen, es warnen und bitten, daß es ſich

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[61/0073] ARTIC. I. SECTIO XIII. den Predigern nicht allein zu geſtatten, daß ſie nach ihrem befinden richten ſolten: Dann ſie ſind menſchen, und allerley menſchlichen affecten unter- worffen, und alſo ligt ihnen ſelbs und der gantzen kirchen daran, daß ihnen nicht bloſſer dings das jenige uͤberlaſſen werde, was die gantze kirche ange- het. Wie ich weder ſehe, daß Chriſtus ihnen ſolche gewalt ſchlecht dahin gegeben, noch irgend wo eine kirche ſolches gethan und ſich ihres rechts ſo be- geben, daß ſie es dem miniſterio allein uͤbergelaſſen, wie ſolches auch nicht weißlich hat geſchehen koͤnnen. Solten alſo aller orten rechte Conſiſtoria ſeyn aus Predigern, obrigkeitlichen perſonen und andern der gemeinde da- zu erwehlten gliedern, die daruͤber zu cognoſciren, und nach befinden in den wichtigſten ſtuͤcken wieder in die gemeinde zu referiren haͤtten, wer ferner ein glied der gemeinde und deroſelben gnadenguͤter theilhafftig ſeyn ſol- le. Wo dergleichen angeſtellet wird, ſo iſt aller gewiſſen gerathen, und ein neuer grund einer beſſer angeordneten kirchen geleget. Kan mans dahin nicht bringen, ſo ſollen die jetzo gebraͤuchlichen Conſiſtoria, ſo aus den bey- den oberſtaͤnden beſtehen, dahin erinnert werden, daß ſie ſich ſolcher ſache, welche an ſie gehoͤret, fleißig annehmen, und der unordnung huͤlffen: Wie ſich auch ein und andere kirchen ordnungen in ſolcher materie deutlich her- aus laſſen, und heilſame ordnung vorſchreiben, nach welcher wo gegangen wuͤrde, abermal der ſtein ziemlich gehoben waͤre. 2. Wo wir aber in ſol- chem ſtande ſtehen, wie wir an vielen orten ſind, daß weder der alten art rech- te conſiſtoria, ſo die kirche repræſentiren, noch andere itzt gebraͤuchliche conſiſtoria, ſich finden, oder dieſe ſich dieſer haupt-ſache nicht annehmen, daß ſich alſo das predigamt, von der huͤlffe, die es haben ſolte, verlaſſen und entbloͤſſet ſiehet, ſo muß es ſich des wercks, ſo iederman ligen laͤſſet, annehmen, aber doch nicht weiter als ſich ſeine macht erſtrecket, ſich etwas arrogiren: wie wol, wo eines orts die prediger einmuͤthig ſind, und es mit der ſache GOttes treulich meinende unter einander deſſen ſich vereinigen, wie den gewiſſen der beicht-kinder gerathen werden moͤge, ſo koͤnnen ſie ſchon weiter gehen, als ein eintzeler nicht gehen kan, und faͤllet ein ziemliches des rechten, das ſonſt niemand in der kirchen uͤbet oder uͤben will, auf ſie zuruͤck. 3. Es ſtehet aber ſolche gewalt der prediger nicht in einer jurisdiction und ei- genen gericht uͤber die beicht-kinder, ſondern in der predigt Geſetzes und Ev- angelii, daß ſie die gewiſſen informiren, was zu der tuͤchtigkeit zu der heiligen Communion erfordert werde, und wie ſie ſolches an ihnen finden oder nicht, daher ſie die concluſion mehr logice als judicialiter auf ſie machen, ob ſie, ſo viel es der Prediger erkennen kan, ſolche tuͤchtigkeit haben oder nicht, finden ſie dieſelbe an ihnen, ſo hats keine difficultaͤt, finden ſie ſie aber nicht, ſondern das gegentheil, ſo iſt ihr amt, daß ſie dem beicht- kind ſolches ſelbs beweglich vorſtellen, es warnen und bitten, daß es ſich ſelbs h 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/73>, abgerufen am 26.11.2024.