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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. VI. SECTIO V.
stenthum schuldige freundschafft erzeige, so habe er die ehe gebrochen; welches un-
gereimt wäre. Zu geschweigen daß es auch fälle geben könne, da ein Chirurgus zu
heimlichen schaden wircklich eines weibes schaam blössen und mit der hand betasten
muß, der gleichwol damit die sünde nicht begehet, die der H. Geist unter solcher re-
dens art eigentlich verstehet.

§. VII. Mehr richtet auch die redens-art 3. B. Mos. XX. 17. nicht aus, wo
stehet, daß er ihre schaam beschaut, und sie die seinige: indem abermal auf
gleiche weise, nicht sowol das vorhergehende, als das auf das leichtfertige beschau-
en bey unzüchtigen leuten folgende durch die blutschande gemeinet wird. Daher
nicht hoffe, wo bruder und schwester eines des andern blösse ungefähr und ohne bö-
sen vorsatz sähe, als in allerley unglücken brandes, krieges und dergleichen geschehen
kan, daß ehrliche leute entblösset werden, und solches auch bruder und schwester zu-
gleich betreffen möchte, daß man solchen aus diesem gesetz die todes-straffe zuer-
kennen würde. Hingegen würde der bruder und schwester dieses gesetzes straffe
unterworffen seyn, die auch niemals mit augen eines des andern schaam beschau-
et, sondern sie solches werck der finsternüß, wie es ohne das das gemeineste, in dem
finstern mit einander getrieben hätten. Wolte man sagen, daß es denn vergebens
wäre, darzu zu setzen, und sie wieder seine schaam, wolte ich den nachdruck da-
rinnen suchen, daß der bruder nicht nur willig mit ihr das laster getrieben, sondern
sie auch an ihm ihre lust gehabt. Dessen gegentheil hingegen stehet von Thamar
2. Sam. XIII. v. 4. die von ihrem bruder Ammon überwältiget worden, da man
sagen möchte, er habe ihre schaam beschauet, seine böse lust an ihr verübet: sie aber
hinwider nicht die seinige, als die alles ohne wolgefallen nur gelitten.

§. VIII. Alles gehet dahin aus, ob wir wol dem H. Geist auf seine wort ach-
tung geben, und daher nicht gerne von dero buchstaben abweichen sollen, daß man
gleichwol auf den sinn der redens-arten zu sehen ursach, und alles also zu verstehen
habe, wie es auch mit andern örtern der schrifft übereinkomt. Daher wir in dieser
materie, da von dem unreinen werck aufs züchtigste geredet wird, die sünde nicht in
dem etwa unsündlichen wercke zu suchen, noch da in solcher vorhergehenden that be-
reits eine unreinigkeit gestecket, sie doch von der groben schandthat selbst wol zu un-
terscheiden haben. Jch setze dabey die erklärung Augustini über Leu. XX. 17.
q. 74. Quid ait in hocloco, viderit, nisi concumbendo cognouerit, sicut in
lege dicitur (Genes. IV. v. 1.) cognouit uxorem suam, pro eo, quod est, mix-
tus est ei. Videre bonum de labore suo idem est, quod frui. Sic mutuo
videre turpitudinem, id est, partes, quae non nisi turpiter adspiciuntur ac
nominantur, est inter se commixtione delectari.

§. IX. Hiebey lasse es bleiben, der hoffnung, Titius, wo er das ausgefüh-
rete in der furcht des HErrn erwegen, und denselben um seine gnade, die allein das
hertz fest machet Hebr. XIII. 9. anruffen wird, werde seines scrupels frey werden,

und
IV. Theil. x x x x

ARTIC. VI. SECTIO V.
ſtenthum ſchuldige freundſchafft erzeige, ſo habe er die ehe gebrochen; welches un-
gereimt waͤre. Zu geſchweigen daß es auch faͤlle geben koͤnne, da ein Chirurgus zu
heimlichen ſchaden wiꝛcklich eines weibes ſchaam bloͤſſen und mit der hand betaſten
muß, der gleichwol damit die ſuͤnde nicht begehet, die der H. Geiſt unter ſolcher re-
dens art eigentlich verſtehet.

§. VII. Mehr richtet auch die redens-art 3. B. Moſ. XX. 17. nicht aus, wo
ſtehet, daß er ihre ſchaam beſchaut, und ſie die ſeinige: indem abermal auf
gleiche weiſe, nicht ſowol das vorhergehende, als das auf das leichtfertige beſchau-
en bey unzuͤchtigen leuten folgende durch die blutſchande gemeinet wird. Daher
nicht hoffe, wo bruder und ſchweſter eines des andern bloͤſſe ungefaͤhr und ohne boͤ-
ſen vorſatz ſaͤhe, als in allerley ungluͤcken brandes, krieges und dergleichen geſchehen
kan, daß ehrliche leute entbloͤſſet werden, und ſolches auch bruder und ſchweſter zu-
gleich betreffen moͤchte, daß man ſolchen aus dieſem geſetz die todes-ſtraffe zuer-
kennen wuͤrde. Hingegen wuͤrde der bruder und ſchweſter dieſes geſetzes ſtraffe
unterworffen ſeyn, die auch niemals mit augen eines des andern ſchaam beſchau-
et, ſondern ſie ſolches werck der finſternuͤß, wie es ohne das das gemeineſte, in dem
finſtern mit einander getrieben haͤtten. Wolte man ſagen, daß es denn vergebens
waͤre, darzu zu ſetzen, und ſie wieder ſeine ſchaam, wolte ich den nachdruck da-
rinnen ſuchen, daß der bruder nicht nur willig mit ihr das laſter getrieben, ſondern
ſie auch an ihm ihre luſt gehabt. Deſſen gegentheil hingegen ſtehet von Thamar
2. Sam. XIII. v. 4. die von ihrem bruder Ammon uͤberwaͤltiget worden, da man
ſagen moͤchte, er habe ihre ſchaam beſchauet, ſeine boͤſe luſt an ihr veruͤbet: ſie aber
hinwider nicht die ſeinige, als die alles ohne wolgefallen nur gelitten.

§. VIII. Alles gehet dahin aus, ob wir wol dem H. Geiſt auf ſeine wort ach-
tung geben, und daher nicht gerne von dero buchſtaben abweichen ſollen, daß man
gleichwol auf den ſinn der redens-arten zu ſehen urſach, und alles alſo zu verſtehen
habe, wie es auch mit andern oͤrtern der ſchrifft uͤbereinkomt. Daher wir in dieſer
materie, da von dem unreinen werck aufs zuͤchtigſte geredet wird, die ſuͤnde nicht in
dem etwa unſuͤndlichen wercke zu ſuchen, noch da in ſolcher vorhergehenden that be-
reits eine unreinigkeit geſtecket, ſie doch von der groben ſchandthat ſelbſt wol zu un-
terſcheiden haben. Jch ſetze dabey die erklaͤrung Auguſtini uͤber Leu. XX. 17.
q. 74. Quid ait in hocloco, viderit, niſi concumbendo cognouerit, ſicut in
lege dicitur (Geneſ. IV. v. 1.) cognouit uxorem ſuam, pro eo, quod eſt, mix-
tus eſt ei. Videre bonum de labore ſuo idem eſt, quod frui. Sic mutuo
videre turpitudinem, id eſt, partes, quæ non niſi turpiter adſpiciuntur ac
nominantur, eſt inter ſe commixtione delectari.

§. IX. Hiebey laſſe es bleiben, der hoffnung, Titius, wo er das ausgefuͤh-
rete in der furcht des HErrn erwegen, und denſelben um ſeine gnade, die allein das
hertz feſt machet Hebr. XIII. 9. anruffen wird, werde ſeines ſcrupels frey werden,

und
IV. Theil. x x x x
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[713/0725] ARTIC. VI. SECTIO V. ſtenthum ſchuldige freundſchafft erzeige, ſo habe er die ehe gebrochen; welches un- gereimt waͤre. Zu geſchweigen daß es auch faͤlle geben koͤnne, da ein Chirurgus zu heimlichen ſchaden wiꝛcklich eines weibes ſchaam bloͤſſen und mit der hand betaſten muß, der gleichwol damit die ſuͤnde nicht begehet, die der H. Geiſt unter ſolcher re- dens art eigentlich verſtehet. §. VII. Mehr richtet auch die redens-art 3. B. Moſ. XX. 17. nicht aus, wo ſtehet, daß er ihre ſchaam beſchaut, und ſie die ſeinige: indem abermal auf gleiche weiſe, nicht ſowol das vorhergehende, als das auf das leichtfertige beſchau- en bey unzuͤchtigen leuten folgende durch die blutſchande gemeinet wird. Daher nicht hoffe, wo bruder und ſchweſter eines des andern bloͤſſe ungefaͤhr und ohne boͤ- ſen vorſatz ſaͤhe, als in allerley ungluͤcken brandes, krieges und dergleichen geſchehen kan, daß ehrliche leute entbloͤſſet werden, und ſolches auch bruder und ſchweſter zu- gleich betreffen moͤchte, daß man ſolchen aus dieſem geſetz die todes-ſtraffe zuer- kennen wuͤrde. Hingegen wuͤrde der bruder und ſchweſter dieſes geſetzes ſtraffe unterworffen ſeyn, die auch niemals mit augen eines des andern ſchaam beſchau- et, ſondern ſie ſolches werck der finſternuͤß, wie es ohne das das gemeineſte, in dem finſtern mit einander getrieben haͤtten. Wolte man ſagen, daß es denn vergebens waͤre, darzu zu ſetzen, und ſie wieder ſeine ſchaam, wolte ich den nachdruck da- rinnen ſuchen, daß der bruder nicht nur willig mit ihr das laſter getrieben, ſondern ſie auch an ihm ihre luſt gehabt. Deſſen gegentheil hingegen ſtehet von Thamar 2. Sam. XIII. v. 4. die von ihrem bruder Ammon uͤberwaͤltiget worden, da man ſagen moͤchte, er habe ihre ſchaam beſchauet, ſeine boͤſe luſt an ihr veruͤbet: ſie aber hinwider nicht die ſeinige, als die alles ohne wolgefallen nur gelitten. §. VIII. Alles gehet dahin aus, ob wir wol dem H. Geiſt auf ſeine wort ach- tung geben, und daher nicht gerne von dero buchſtaben abweichen ſollen, daß man gleichwol auf den ſinn der redens-arten zu ſehen urſach, und alles alſo zu verſtehen habe, wie es auch mit andern oͤrtern der ſchrifft uͤbereinkomt. Daher wir in dieſer materie, da von dem unreinen werck aufs zuͤchtigſte geredet wird, die ſuͤnde nicht in dem etwa unſuͤndlichen wercke zu ſuchen, noch da in ſolcher vorhergehenden that be- reits eine unreinigkeit geſtecket, ſie doch von der groben ſchandthat ſelbſt wol zu un- terſcheiden haben. Jch ſetze dabey die erklaͤrung Auguſtini uͤber Leu. XX. 17. q. 74. Quid ait in hocloco, viderit, niſi concumbendo cognouerit, ſicut in lege dicitur (Geneſ. IV. v. 1.) cognouit uxorem ſuam, pro eo, quod eſt, mix- tus eſt ei. Videre bonum de labore ſuo idem eſt, quod frui. Sic mutuo videre turpitudinem, id eſt, partes, quæ non niſi turpiter adſpiciuntur ac nominantur, eſt inter ſe commixtione delectari. §. IX. Hiebey laſſe es bleiben, der hoffnung, Titius, wo er das ausgefuͤh- rete in der furcht des HErrn erwegen, und denſelben um ſeine gnade, die allein das hertz feſt machet Hebr. XIII. 9. anruffen wird, werde ſeines ſcrupels frey werden, und IV. Theil. x x x x

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/725>, abgerufen am 22.11.2024.