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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XIII.
praeambulae und vorberuff würde treulich nachgekommen seyn. Und gilt
auch hie etlicher massen die regel, wer dahat, dem wird gegeben; Wer
nemlich was er hat nach seinem maaß treulich anwendet, wird immer von
GOtt mit einer neuen gnade gewürdiget. Zwar erkenne ich gern, daß ein
groffer vortheil ist, daß wir Christen und andere, welche das göttliche wort/
und also die wahre mittel der seligkeit, gantz nahe haben, vor jenen armen
Heyden geniessen, die solche mittel des heyls, das Evangelium, nicht anders
als von ferne, und also gehabt haben, daß sie hätten von GOtt dazu gefüh-
ret werden können, wo sie sich des ersten liechtleins gebraucht hätten: Und
möchte ein solcher unterscheid seyn, als da ihrer zwey durch einen wald ge-
hen müßten, der eine bey hellem tag oder doch grosser fackel, der andere bey
einem stücklein faulen holtzes da er kümmerlich seiner tritte wahrnehmen
mag, bis er zu einem hellern liecht komme. Jndessen hätte doch dieser auch
so viel liechts, als ihm zu dem anfang seiner reise blosserdings nothwendig ge-
wesen. Und da geben sich nun die meiste casus, in welchen wir unsers
vernunfft geschweigen müssen, wie GOTT von dem ansehen der person zu
befreyen seye. Jndessen so bleibet noch das obige, daß keiner verlohren ge-
he, aus blosser unglückseligkeit, daß er das wort und dessen predigt nicht
gehabt habe, sondern es findet sich bey allen eine verachtung und versäu-
mung der empfangenen gnade, wie ein geringer anfang derselbe auch gewe-
sen seyn mag, und müssen immer erstlich einige anklopffungen des heiligen
Geistes verachtet worden seyn, daß ihnen die weitere nicht mehr gegeben
worden. 3. Neben diesem halte ich, daß wol zu erwegen seye, daß GOTT
von ewigkeit her alles vorgesehen habe, nicht nur was wircklich geschehen
werde, sondern was auch bey dieser und jener condition geschehen würde,
und bin offters in die gedancken kommen, weiß auch fast in keinem besser zu
beruhen, als daß GOTT werde bey allen solchen leuten, denen er sein
wort nicht lässet vortragen, nach solcher seiner allwissenheit vorgesehen haben,
daß sie, ob er wol ihnen dasselbige reichlich liesse verkündigen, dennoch es
nicht annehmen, sondern verwerffen würden. Wir sehen ja täglich, wie
viel wol der jenigen, welche das wort des Evangelii reichlich haben, dennoch
dabey ohne glauben bleiben, und nur desto schwerer verdammt werden.
Was solte dann im weg stehen, daß wir nicht von den jenigen, welchen
GOTT solches mittel nicht also gibet, vermuthen könten, daß GOTT eben
dergleichen hartnäckigkeit, und widersetzlichkeit bey ihnen vorsehe. Vor-
ausgesetzet nun dessen, so ist es so gar der göttlichen barmhertzigkeit nicht zu
wider, daß er solchen armen leuten die nähere mittel ihres heyls nicht er-
theilet, daß es vielmehr ein stück derselben ist, weil er solches vorsihet, daß
eine ihnen in mehrerem maaß ertheilende gnade nicht würde nützlich, son-

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ARTIC. I. SECTIO XIII.
præambulæ und vorberuff wuͤrde treulich nachgekommen ſeyn. Und gilt
auch hie etlicher maſſen die regel, wer dahat, dem wird gegeben; Wer
nemlich was er hat nach ſeinem maaß treulich anwendet, wird immer von
GOtt mit einer neuen gnade gewuͤrdiget. Zwar erkenne ich gern, daß ein
groffer vortheil iſt, daß wir Chriſten und andere, welche das goͤttliche wort/
und alſo die wahre mittel der ſeligkeit, gantz nahe haben, vor jenen armen
Heyden genieſſen, die ſolche mittel des heyls, das Evangelium, nicht anders
als von ferne, und alſo gehabt haben, daß ſie haͤtten von GOtt dazu gefuͤh-
ret werden koͤnnen, wo ſie ſich des erſten liechtleins gebraucht haͤtten: Und
moͤchte ein ſolcher unterſcheid ſeyn, als da ihrer zwey durch einen wald ge-
hen muͤßten, der eine bey hellem tag oder doch groſſer fackel, der andere bey
einem ſtuͤcklein faulen holtzes da er kuͤmmerlich ſeiner tritte wahrnehmen
mag, bis er zu einem hellern liecht komme. Jndeſſen haͤtte doch dieſer auch
ſo viel liechts, als ihm zu dem anfang ſeiner reiſe bloſſerdings nothwendig ge-
weſen. Und da geben ſich nun die meiſte caſus, in welchen wir unſers
vernunfft geſchweigen muͤſſen, wie GOTT von dem anſehen der perſon zu
befreyen ſeye. Jndeſſen ſo bleibet noch das obige, daß keiner verlohren ge-
he, aus bloſſer ungluͤckſeligkeit, daß er das wort und deſſen predigt nicht
gehabt habe, ſondern es findet ſich bey allen eine verachtung und verſaͤu-
mung der empfangenen gnade, wie ein geringer anfang derſelbe auch gewe-
ſen ſeyn mag, und muͤſſen immer erſtlich einige anklopffungen des heiligen
Geiſtes verachtet worden ſeyn, daß ihnen die weitere nicht mehr gegeben
worden. 3. Neben dieſem halte ich, daß wol zu erwegen ſeye, daß GOTT
von ewigkeit her alles vorgeſehen habe, nicht nur was wircklich geſchehen
werde, ſondern was auch bey dieſer und jener condition geſchehen wuͤrde,
und bin offters in die gedancken kommen, weiß auch faſt in keinem beſſer zu
beruhen, als daß GOTT werde bey allen ſolchen leuten, denen er ſein
wort nicht laͤſſet vortragen, nach ſolcher ſeiner allwiſſenheit vorgeſehen haben,
daß ſie, ob er wol ihnen daſſelbige reichlich lieſſe verkuͤndigen, dennoch es
nicht annehmen, ſondern verwerffen wuͤrden. Wir ſehen ja taͤglich, wie
viel wol der jenigen, welche das wort des Evangelii reichlich haben, dennoch
dabey ohne glauben bleiben, und nur deſto ſchwerer verdammt werden.
Was ſolte dann im weg ſtehen, daß wir nicht von den jenigen, welchen
GOTT ſolches mittel nicht alſo gibet, vermuthen koͤnten, daß GOTT eben
dergleichen hartnaͤckigkeit, und widerſetzlichkeit bey ihnen vorſehe. Vor-
ausgeſetzet nun deſſen, ſo iſt es ſo gar der goͤttlichen barmhertzigkeit nicht zu
wider, daß er ſolchen armen leuten die naͤhere mittel ihres heyls nicht er-
theilet, daß es vielmehr ein ſtuͤck derſelben iſt, weil er ſolches vorſihet, daß
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[59/0071] ARTIC. I. SECTIO XIII. præambulæ und vorberuff wuͤrde treulich nachgekommen ſeyn. Und gilt auch hie etlicher maſſen die regel, wer dahat, dem wird gegeben; Wer nemlich was er hat nach ſeinem maaß treulich anwendet, wird immer von GOtt mit einer neuen gnade gewuͤrdiget. Zwar erkenne ich gern, daß ein groffer vortheil iſt, daß wir Chriſten und andere, welche das goͤttliche wort/ und alſo die wahre mittel der ſeligkeit, gantz nahe haben, vor jenen armen Heyden genieſſen, die ſolche mittel des heyls, das Evangelium, nicht anders als von ferne, und alſo gehabt haben, daß ſie haͤtten von GOtt dazu gefuͤh- ret werden koͤnnen, wo ſie ſich des erſten liechtleins gebraucht haͤtten: Und moͤchte ein ſolcher unterſcheid ſeyn, als da ihrer zwey durch einen wald ge- hen muͤßten, der eine bey hellem tag oder doch groſſer fackel, der andere bey einem ſtuͤcklein faulen holtzes da er kuͤmmerlich ſeiner tritte wahrnehmen mag, bis er zu einem hellern liecht komme. Jndeſſen haͤtte doch dieſer auch ſo viel liechts, als ihm zu dem anfang ſeiner reiſe bloſſerdings nothwendig ge- weſen. Und da geben ſich nun die meiſte caſus, in welchen wir unſers vernunfft geſchweigen muͤſſen, wie GOTT von dem anſehen der perſon zu befreyen ſeye. Jndeſſen ſo bleibet noch das obige, daß keiner verlohren ge- he, aus bloſſer ungluͤckſeligkeit, daß er das wort und deſſen predigt nicht gehabt habe, ſondern es findet ſich bey allen eine verachtung und verſaͤu- mung der empfangenen gnade, wie ein geringer anfang derſelbe auch gewe- ſen ſeyn mag, und muͤſſen immer erſtlich einige anklopffungen des heiligen Geiſtes verachtet worden ſeyn, daß ihnen die weitere nicht mehr gegeben worden. 3. Neben dieſem halte ich, daß wol zu erwegen ſeye, daß GOTT von ewigkeit her alles vorgeſehen habe, nicht nur was wircklich geſchehen werde, ſondern was auch bey dieſer und jener condition geſchehen wuͤrde, und bin offters in die gedancken kommen, weiß auch faſt in keinem beſſer zu beruhen, als daß GOTT werde bey allen ſolchen leuten, denen er ſein wort nicht laͤſſet vortragen, nach ſolcher ſeiner allwiſſenheit vorgeſehen haben, daß ſie, ob er wol ihnen daſſelbige reichlich lieſſe verkuͤndigen, dennoch es nicht annehmen, ſondern verwerffen wuͤrden. Wir ſehen ja taͤglich, wie viel wol der jenigen, welche das wort des Evangelii reichlich haben, dennoch dabey ohne glauben bleiben, und nur deſto ſchwerer verdammt werden. Was ſolte dann im weg ſtehen, daß wir nicht von den jenigen, welchen GOTT ſolches mittel nicht alſo gibet, vermuthen koͤnten, daß GOTT eben dergleichen hartnaͤckigkeit, und widerſetzlichkeit bey ihnen vorſehe. Vor- ausgeſetzet nun deſſen, ſo iſt es ſo gar der goͤttlichen barmhertzigkeit nicht zu wider, daß er ſolchen armen leuten die naͤhere mittel ihres heyls nicht er- theilet, daß es vielmehr ein ſtuͤck derſelben iſt, weil er ſolches vorſihet, daß eine ihnen in mehrerem maaß ertheilende gnade nicht wuͤrde nuͤtzlich, ſon- dern h 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/71>, abgerufen am 27.11.2024.