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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. VI. SECTIO II.
würde und namen nicht: wie auch noch zu der apostel zeit die kirche zu Corintho
die gemeine GOttes hiesse. 1. Cor. I. 2. 2. Cor. I. 1. So wol als die zu Ephe-
so, Philippen, Thessalonich
und andere, da doch jene kirche wahrhafftig voller
ärgernüß, die öffentlich im schwange gingen, sich befand, welches die vielfältige be-
straffungen des apostels durch die beyde episteln bezeugen, aber dennoch ihr den ti-
tul nicht disputiren, sondern dran gnug haben, zu befehlen, daß man an der bes-
serung arbeite.
IX. Demnach so lange noch das wort GOttes aus der propheten und apo-
stel schrifften in einem hauffen gehandelt und angehöret wird, auch der hauffe sich
noch zu demselben bekennet, ist eine kirche da, und gebühren dem gantzen hauffen
die rechte der gantzen kirchen, und kan nichts von allen göttlichen einsetzungen dersel-
ben insgemein versagt werden, obwol einige solcher kirchen glieder durch eigenes
verschulden, sich gewisser wohlthaten, daß sie nicht theil daran haben mögen, ver-
lustig machen können.
X. Wo die kirche in einem solchen schlechten zustand stehet, obwol der
saame GOttes gleichwol in derselben und die mittel des heyls bleiben, so ist doch
der zustand sehr gefährlich, nicht alleine vor alle glieder derselben, die leicht durch
allerley ärgernüß bald da bald dorthin gerissen werden können, sondern vornemlich
vor dero lehrer und vorsteher, die in so vielen stücken kaum finden, wie sie ihr gewissen
gnug retten können, und daher offte in allerley zweiffel gerathen, was sie thun und
lassen sollen. So viel ich aber die sache begreiffe, mag deroselben gewissen etwa
durch diese vorstellungen an besten gerathen werden. 1. Daß sie sich versichern,
wie der HErr nicht alleine ihre redliche absicht, ihm treulich zu dienen, in dem grund
ihrer seelen erkennet, so wisse und kenne er nicht weniger das elende dieser betrübten
zeiten der verwirrunge, in die er sie gesetzet hat, daher er mit ihrem jammer ein erbar-
men habe, und mit ihnen zu frieden seye, wo sie thun, nicht was sie in andern zeiten
solten, und auch gerne wolten, sondern was die jetzige zeiten noch zugeben, wes-
wegen auch sein urtheil über sie mit grossem schonen und barmhertzigkeit vermischet
seyn wird. 2. Jn zweifelhafften dingen, wo man auf keiner seite zu einer unwi-
dersprechlichen gewißheit kommen kan, müste allezeit das sicherste gewehlet werden.
Es heist aber das sicherste, nicht eben wordurch wir, sondern vielmehr wordurch die
kirche in die wenigste gefahr gerathet: hingegen sey allemal am meisten zu vermeiden
wordurch uns zwar deuchten möchte, von uns eine gefahr der verantwortung abzu-
wenden, dieselbe aber mehrfach auf andere zu weltzen, und dergleichen anzuheben,
dadurch die kirche mehr verunruhiget, und der fortgang des guten offenbarlich
starck gehemmet werden wird. 3. Was in der gantzen, auch in übrigen stücken in
so vielerley meinungen getheilten, kirche, und zwar immer, gebräuchlich gewesen,
ist zwar sub ea ratione formali noch nicht unser fundament, aber gleichwol dem-
selben zu folgen nicht allein das sicherste, sondern so lange nöthig, als nicht völlig ü-
ber-
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ARTIC. VI. SECTIO II.
wuͤrde und namen nicht: wie auch noch zu der apoſtel zeit die kirche zu Corintho
die gemeine GOttes hieſſe. 1. Cor. I. 2. 2. Cor. I. 1. So wol als die zu Ephe-
ſo, Philippen, Theſſalonich
und andere, da doch jene kirche wahrhafftig voller
aͤrgernuͤß, die oͤffentlich im ſchwange gingen, ſich befand, welches die vielfaͤltige be-
ſtraffungen des apoſtels durch die beyde epiſteln bezeugen, aber dennoch ihr den ti-
tul nicht diſputiren, ſondern dran gnug haben, zu befehlen, daß man an der beſ-
ſerung arbeite.
IX. Demnach ſo lange noch das wort GOttes aus der propheten und apo-
ſtel ſchrifften in einem hauffen gehandelt und angehoͤret wird, auch der hauffe ſich
noch zu demſelben bekennet, iſt eine kirche da, und gebuͤhren dem gantzen hauffen
die rechte der gantzen kirchen, und kan nichts von allen goͤttlichen einſetzungen derſel-
ben insgemein verſagt werden, obwol einige ſolcher kirchen glieder durch eigenes
verſchulden, ſich gewiſſer wohlthaten, daß ſie nicht theil daran haben moͤgen, ver-
luſtig machen koͤnnen.
X. Wo die kirche in einem ſolchen ſchlechten zuſtand ſtehet, obwol der
ſaame GOttes gleichwol in derſelben und die mittel des heyls bleiben, ſo iſt doch
der zuſtand ſehr gefaͤhrlich, nicht alleine vor alle glieder derſelben, die leicht durch
allerley aͤrgernuͤß bald da bald dorthin geriſſen werden koͤnnen, ſondern vornemlich
vor dero lehrer und vorſteher, die in ſo vielen ſtuͤcken kaum finden, wie ſie ihr gewiſſen
gnug retten koͤnnen, und daher offte in allerley zweiffel gerathen, was ſie thun und
laſſen ſollen. So viel ich aber die ſache begreiffe, mag deroſelben gewiſſen etwa
durch dieſe vorſtellungen an beſten gerathen werden. 1. Daß ſie ſich verſichern,
wie der HErr nicht alleine ihre redliche abſicht, ihm treulich zu dienen, in dem grund
ihrer ſeelen erkennet, ſo wiſſe und kenne er nicht weniger das elende dieſer betruͤbten
zeiten der verwirrunge, in die er ſie geſetzet hat, daher er mit ihrem jammer ein erbar-
men habe, und mit ihnen zu frieden ſeye, wo ſie thun, nicht was ſie in andern zeiten
ſolten, und auch gerne wolten, ſondern was die jetzige zeiten noch zugeben, wes-
wegen auch ſein urtheil uͤber ſie mit groſſem ſchonen und barmhertzigkeit vermiſchet
ſeyn wird. 2. Jn zweifelhafften dingen, wo man auf keiner ſeite zu einer unwi-
derſprechlichen gewißheit kommen kan, muͤſte allezeit das ſicherſte gewehlet werden.
Es heiſt aber das ſicherſte, nicht eben wordurch wir, ſondern vielmehr wordurch die
kirche in die wenigſte gefahr gerathet: hingegen ſey allemal am meiſten zu vermeiden
wordurch uns zwar deuchten moͤchte, von uns eine gefahr der verantwortung abzu-
wenden, dieſelbe aber mehrfach auf andere zu weltzen, und dergleichen anzuheben,
dadurch die kirche mehr verunruhiget, und der fortgang des guten offenbarlich
ſtarck gehemmet werden wird. 3. Was in der gantzen, auch in uͤbrigen ſtuͤcken in
ſo vielerley meinungen getheilten, kirche, und zwar immer, gebraͤuchlich geweſen,
iſt zwar ſub ea ratione formali noch nicht unſer fundament, aber gleichwol dem-
ſelben zu folgen nicht allein das ſicherſte, ſondern ſo lange noͤthig, als nicht voͤllig uͤ-
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[691/0703] ARTIC. VI. SECTIO II. wuͤrde und namen nicht: wie auch noch zu der apoſtel zeit die kirche zu Corintho die gemeine GOttes hieſſe. 1. Cor. I. 2. 2. Cor. I. 1. So wol als die zu Ephe- ſo, Philippen, Theſſalonich und andere, da doch jene kirche wahrhafftig voller aͤrgernuͤß, die oͤffentlich im ſchwange gingen, ſich befand, welches die vielfaͤltige be- ſtraffungen des apoſtels durch die beyde epiſteln bezeugen, aber dennoch ihr den ti- tul nicht diſputiren, ſondern dran gnug haben, zu befehlen, daß man an der beſ- ſerung arbeite. IX. Demnach ſo lange noch das wort GOttes aus der propheten und apo- ſtel ſchrifften in einem hauffen gehandelt und angehoͤret wird, auch der hauffe ſich noch zu demſelben bekennet, iſt eine kirche da, und gebuͤhren dem gantzen hauffen die rechte der gantzen kirchen, und kan nichts von allen goͤttlichen einſetzungen derſel- ben insgemein verſagt werden, obwol einige ſolcher kirchen glieder durch eigenes verſchulden, ſich gewiſſer wohlthaten, daß ſie nicht theil daran haben moͤgen, ver- luſtig machen koͤnnen. X. Wo die kirche in einem ſolchen ſchlechten zuſtand ſtehet, obwol der ſaame GOttes gleichwol in derſelben und die mittel des heyls bleiben, ſo iſt doch der zuſtand ſehr gefaͤhrlich, nicht alleine vor alle glieder derſelben, die leicht durch allerley aͤrgernuͤß bald da bald dorthin geriſſen werden koͤnnen, ſondern vornemlich vor dero lehrer und vorſteher, die in ſo vielen ſtuͤcken kaum finden, wie ſie ihr gewiſſen gnug retten koͤnnen, und daher offte in allerley zweiffel gerathen, was ſie thun und laſſen ſollen. So viel ich aber die ſache begreiffe, mag deroſelben gewiſſen etwa durch dieſe vorſtellungen an beſten gerathen werden. 1. Daß ſie ſich verſichern, wie der HErr nicht alleine ihre redliche abſicht, ihm treulich zu dienen, in dem grund ihrer ſeelen erkennet, ſo wiſſe und kenne er nicht weniger das elende dieſer betruͤbten zeiten der verwirrunge, in die er ſie geſetzet hat, daher er mit ihrem jammer ein erbar- men habe, und mit ihnen zu frieden ſeye, wo ſie thun, nicht was ſie in andern zeiten ſolten, und auch gerne wolten, ſondern was die jetzige zeiten noch zugeben, wes- wegen auch ſein urtheil uͤber ſie mit groſſem ſchonen und barmhertzigkeit vermiſchet ſeyn wird. 2. Jn zweifelhafften dingen, wo man auf keiner ſeite zu einer unwi- derſprechlichen gewißheit kommen kan, muͤſte allezeit das ſicherſte gewehlet werden. Es heiſt aber das ſicherſte, nicht eben wordurch wir, ſondern vielmehr wordurch die kirche in die wenigſte gefahr gerathet: hingegen ſey allemal am meiſten zu vermeiden wordurch uns zwar deuchten moͤchte, von uns eine gefahr der verantwortung abzu- wenden, dieſelbe aber mehrfach auf andere zu weltzen, und dergleichen anzuheben, dadurch die kirche mehr verunruhiget, und der fortgang des guten offenbarlich ſtarck gehemmet werden wird. 3. Was in der gantzen, auch in uͤbrigen ſtuͤcken in ſo vielerley meinungen getheilten, kirche, und zwar immer, gebraͤuchlich geweſen, iſt zwar ſub ea ratione formali noch nicht unſer fundament, aber gleichwol dem- ſelben zu folgen nicht allein das ſicherſte, ſondern ſo lange noͤthig, als nicht voͤllig uͤ- ber- ſ ſ ſ ſ 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/703>, abgerufen am 22.11.2024.