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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
seligkeit überhand nehmen solte, die allerhand falsche dinge von jener lehr und leben
ausgesprenget, und ihnen den namen der Pietisten (so an sich eben nicht böse) spotts
weise beygelegt (der darauf aller orten erschollen) so denn unterschiedliche professo-
res
und andere vornehme leute mit ihrem vorgeben also eingenommen haben, daß
solche mehr böses daraus besorget, also daß bereits vor einem jahr eine genaue in-
quisition
angeordnet worden, dero ausgang aber dieser war, daß weder einige he-
terodoxi
e noch anderes, wessen die leut beschuldigt waren worden, auf sie gebracht
hat werden können. Als aber nicht nur die collegia zum theil fortgesetzt worden,
sondern vieler leute eyffer gewachsen, daß auch einige bürgers leute sich von selbsten
in dieselbe (weil meist teutsch gehandelt worden) eingefunden, auch solche gern un-
ter sich von gottseligen dingen geredet, gab es wiedrum grossen lermen, und wur-
den solche berichte hieher gethan (dero warheit noch in zweiffel stehet) daß auch ernst-
liches verbot der zusammen-künften dadurch zu wege gebracht, und abermal sorgfäl-
lige untersuchung anbefohten worden. Wie ich aber die vornehmste unter denen, wel-
che die collegia gehalten selbs kenne, und dero orthodoxiae und christlichen wesens
selbs wissenschafft habe, so kan ich nicht anders, als alles dasjenige gerüchte, so in
und ausser landes erschollen/ gleich wäre dieser so genante Pietismus eine neue Se-
cte,
und steckte lauter zerrüttung der kirchen unter demselben, vor lauter erdichte-
tes wesen, und ein von einigen allzuleichtgläubig angenommene, und nachmal wei-
ter ausgebreitete, verleumdung ansehen und beklagen. Wie sich denn noch nicht
das geringste von irriger lehr und andern sträflichen (solten sich aber geringe fehler
wie der erste eiffer sich nicht allezeit in schrancken hält, finden, waren solche mit
sanfftmuth zu bessern) erweißlich dargethan hat, noch wie ich vernehme aus den
letzten inquisitions acten vor thun wird. Jndessen giebts viel ärgernüß/ und wer-
den so wol schwache irre gemacht, daß sie offt nicht wissen, was sie glauben und
thun sollen, als auch einige böse gestärcket: so mangelts mir auch eben an leiden dar-
über nicht, weil ich nicht anders als vor die unschuld gewissen halben reden kan. Ja
darüber man sich höchst zu verwundern, selbs das collegium Philo-Biblicum, wel-
ches so lauge offentlich mit vielem ruhm einheimischer und fremder gehalten worden,
ist unter solchem vorwand von dem professore, in dessen hauß es sich sonsten ver-
samlet, dissolviret worden. Mir kommt zwar aber dergleichen nicht so fremd vor,
aus langer erfahrung, was man zu beforderung des guten von denen, deren amt es
meistens zukommet, zu erwarten habe: jedoch ists betrüblich, wo man dasjenige
verhindern siehet, darzu billich alle nach bestem vermögen helffen solten. Weil auch
nicht zweifle, daß bis in Dennemarck von diesen guten Pietisten der ruff erschollen,
hoffe daß auch diese nachricht nicht unangenehm seyn könne. Ach wie haben wir
zu einer solchen zeit so hertzlich zu beten, daß der HErr in gnaden drein sehen, und
alle hertzen, auch die sich etwa aus unwissenheit eine zeitlang widersetzet hätten, zu
aller müglichen beförderung seiner ehr lencken wolle: dazu ich auch so vielmehr hoff-

nung

Das ſiebende Capitel.
ſeligkeit uͤberhand nehmen ſolte, die allerhand falſche dinge von jener lehr und leben
ausgeſprenget, und ihnen den namen der Pietiſten (ſo an ſich eben nicht boͤſe) ſpotts
weiſe beygelegt (der darauf aller orten erſchollen) ſo denn unterſchiedliche profeſſo-
res
und andere vornehme leute mit ihrem vorgeben alſo eingenommen haben, daß
ſolche mehr boͤſes daraus beſorget, alſo daß bereits vor einem jahr eine genaue in-
quiſition
angeordnet worden, dero ausgang aber dieſer war, daß weder einige he-
terodoxi
e noch anderes, weſſen die leut beſchuldigt waren worden, auf ſie gebracht
hat werden koͤnnen. Als aber nicht nur die collegia zum theil fortgeſetzt worden,
ſondern vieler leute eyffer gewachſen, daß auch einige buͤrgers leute ſich von ſelbſten
in dieſelbe (weil meiſt teutſch gehandelt worden) eingefunden, auch ſolche gern un-
ter ſich von gottſeligen dingen geredet, gab es wiedrum groſſen lermen, und wur-
den ſolche berichte hieher gethan (deꝛo warheit noch in zweiffel ſtehet) daß auch eꝛnſt-
liches verbot der zuſammen-kuͤnften dadurch zu wege gebracht, und abermal ſorgfaͤl-
lige unteꝛſuchung anbefohten woꝛden. Wie ich abeꝛ die voꝛnehmſte unteꝛ denen, wel-
che die collegia gehalten ſelbs kenne, und dero orthodoxiæ und chriſtlichen weſens
ſelbs wiſſenſchafft habe, ſo kan ich nicht anders, als alles dasjenige geruͤchte, ſo in
und auſſer landes erſchollen/ gleich waͤre dieſer ſo genante Pietiſmus eine neue Se-
cte,
und ſteckte lauter zerruͤttung der kirchen unter demſelben, vor lauter erdichte-
tes weſen, und ein von einigen allzuleichtglaͤubig angenommene, und nachmal wei-
ter ausgebreitete, verleumdung anſehen und beklagen. Wie ſich denn noch nicht
das geringſte von irriger lehr und andern ſtraͤflichen (ſolten ſich aber geringe fehler
wie der erſte eiffer ſich nicht allezeit in ſchrancken haͤlt, finden, waren ſolche mit
ſanfftmuth zu beſſern) erweißlich dargethan hat, noch wie ich vernehme aus den
letzten inquiſitions acten vor thun wird. Jndeſſen giebts viel aͤrgernuͤß/ und wer-
den ſo wol ſchwache irre gemacht, daß ſie offt nicht wiſſen, was ſie glauben und
thun ſollen, als auch einige boͤſe geſtaͤrcket: ſo mangelts mir auch eben an leiden dar-
uͤber nicht, weil ich nicht anders als vor die unſchuld gewiſſen halben reden kan. Ja
daruͤbeꝛ man ſich hoͤchſt zu veꝛwundern, ſelbs das collegium Philo-Biblicum, wel-
ches ſo lauge offentlich mit vielem ꝛuhm einheimiſcheꝛ und fremder gehalten woꝛden,
iſt unter ſolchem vorwand von dem profeſſore, in deſſen hauß es ſich ſonſten ver-
ſamlet, diſſolviret worden. Mir kommt zwar aber dergleichen nicht ſo fremd vor,
aus langer erfahrung, was man zu beforderung des guten von denen, deren amt es
meiſtens zukommet, zu erwarten habe: jedoch iſts betruͤblich, wo man dasjenige
verhindern ſiehet, darzu billich alle nach beſtem vermoͤgen helffen ſolten. Weil auch
nicht zweifle, daß bis in Dennemarck von dieſen guten Pietiſten der ruff erſchollen,
hoffe daß auch dieſe nachricht nicht unangenehm ſeyn koͤnne. Ach wie haben wir
zu einer ſolchen zeit ſo hertzlich zu beten, daß der HErr in gnaden drein ſehen, und
alle hertzen, auch die ſich etwa aus unwiſſenheit eine zeitlang widerſetzet haͤtten, zu
aller muͤglichen befoͤrderung ſeiner ehr lencken wolle: dazu ich auch ſo vielmehr hoff-

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[680/0692] Das ſiebende Capitel. ſeligkeit uͤberhand nehmen ſolte, die allerhand falſche dinge von jener lehr und leben ausgeſprenget, und ihnen den namen der Pietiſten (ſo an ſich eben nicht boͤſe) ſpotts weiſe beygelegt (der darauf aller orten erſchollen) ſo denn unterſchiedliche profeſſo- res und andere vornehme leute mit ihrem vorgeben alſo eingenommen haben, daß ſolche mehr boͤſes daraus beſorget, alſo daß bereits vor einem jahr eine genaue in- quiſition angeordnet worden, dero ausgang aber dieſer war, daß weder einige he- terodoxie noch anderes, weſſen die leut beſchuldigt waren worden, auf ſie gebracht hat werden koͤnnen. Als aber nicht nur die collegia zum theil fortgeſetzt worden, ſondern vieler leute eyffer gewachſen, daß auch einige buͤrgers leute ſich von ſelbſten in dieſelbe (weil meiſt teutſch gehandelt worden) eingefunden, auch ſolche gern un- ter ſich von gottſeligen dingen geredet, gab es wiedrum groſſen lermen, und wur- den ſolche berichte hieher gethan (deꝛo warheit noch in zweiffel ſtehet) daß auch eꝛnſt- liches verbot der zuſammen-kuͤnften dadurch zu wege gebracht, und abermal ſorgfaͤl- lige unteꝛſuchung anbefohten woꝛden. Wie ich abeꝛ die voꝛnehmſte unteꝛ denen, wel- che die collegia gehalten ſelbs kenne, und dero orthodoxiæ und chriſtlichen weſens ſelbs wiſſenſchafft habe, ſo kan ich nicht anders, als alles dasjenige geruͤchte, ſo in und auſſer landes erſchollen/ gleich waͤre dieſer ſo genante Pietiſmus eine neue Se- cte, und ſteckte lauter zerruͤttung der kirchen unter demſelben, vor lauter erdichte- tes weſen, und ein von einigen allzuleichtglaͤubig angenommene, und nachmal wei- ter ausgebreitete, verleumdung anſehen und beklagen. Wie ſich denn noch nicht das geringſte von irriger lehr und andern ſtraͤflichen (ſolten ſich aber geringe fehler wie der erſte eiffer ſich nicht allezeit in ſchrancken haͤlt, finden, waren ſolche mit ſanfftmuth zu beſſern) erweißlich dargethan hat, noch wie ich vernehme aus den letzten inquiſitions acten vor thun wird. Jndeſſen giebts viel aͤrgernuͤß/ und wer- den ſo wol ſchwache irre gemacht, daß ſie offt nicht wiſſen, was ſie glauben und thun ſollen, als auch einige boͤſe geſtaͤrcket: ſo mangelts mir auch eben an leiden dar- uͤber nicht, weil ich nicht anders als vor die unſchuld gewiſſen halben reden kan. Ja daruͤbeꝛ man ſich hoͤchſt zu veꝛwundern, ſelbs das collegium Philo-Biblicum, wel- ches ſo lauge offentlich mit vielem ꝛuhm einheimiſcheꝛ und fremder gehalten woꝛden, iſt unter ſolchem vorwand von dem profeſſore, in deſſen hauß es ſich ſonſten ver- ſamlet, diſſolviret worden. Mir kommt zwar aber dergleichen nicht ſo fremd vor, aus langer erfahrung, was man zu beforderung des guten von denen, deren amt es meiſtens zukommet, zu erwarten habe: jedoch iſts betruͤblich, wo man dasjenige verhindern ſiehet, darzu billich alle nach beſtem vermoͤgen helffen ſolten. Weil auch nicht zweifle, daß bis in Dennemarck von dieſen guten Pietiſten der ruff erſchollen, hoffe daß auch dieſe nachricht nicht unangenehm ſeyn koͤnne. Ach wie haben wir zu einer ſolchen zeit ſo hertzlich zu beten, daß der HErr in gnaden drein ſehen, und alle hertzen, auch die ſich etwa aus unwiſſenheit eine zeitlang widerſetzet haͤtten, zu aller muͤglichen befoͤrderung ſeiner ehr lencken wolle: dazu ich auch ſo vielmehr hoff- nung

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/692>, abgerufen am 22.11.2024.