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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XIII.
macht werden dörffen. Wie nun jeglicher dieses leicht findet, daß sichs
also verhalte, und nicht davor hält, daß das jenige gleich ungerecht seye,
dessen gerechtigkeit dieses oder jenes menschen vernunfft nicht begreifft, son-
dern glaubet, es mangle daran, weil ers nicht fasse; So wird damit of-
fenbar, daß dann auch nicht folge, die vernunfft aller menschen begreift
die gerechtigkeit der göttlichen gerichte nicht, so müssen sie dann auch nicht
gerecht seyn: Jn dem die göttliche gerechtigkeit und dero tieffe ursachen
unsere vernunfft unvergleichlich höher übertreffen, als die proportion
eines menschlichen verstandes gegen den andern seyn mag. So ist zwar
freylich die vernunfft uns mit zu einem mittel der göttlichen erkäntnüß ge-
geben: Wir müssen aber dabey wissen, daß sie in allem dem, was GOtt an-
gehet, nach dem fall schrecklich verfinstert, und also auch an diesem stück kein
wunder ist, daß sie sich nicht in die sache finden kan, und muß also, was ih-
rem liecht mangelt, aus dem liecht des worts ersetzet, sie aber nimmermehr
diesem entgegen gesetzt werden. Jndessen wird sich in gottseliger nachsin-
nung unterschiedliches finden, daß wir auch einigerley massen etwas von sol-
cher gerechtigkeit fassen und dieselbe erkennen mögen. 1. Was anlangt die
junge kinder der auch ungläubigen völcker, leugne ich zwar nicht, daß auch die
meiste Theologi vor dieselbe keine hoffnung haben: Mich aber hat allezeit
meines seligen Praeceptoris D. Dannhaueri meinung hertzlich vergnüget,
welcher von denselben die seligkeit gehofft Hodosoph. Phoen. X. p. 1001.
Er will zwar den worten nach nichts austrücklich definiren, sondern lässets
bey einer blossen hoffnung bleiben, ich erinnere mich aber nicht nur, wenn er
davon gehandelt, daß er die sache gewiß geglaubet, sondern achte auch die an-
geführte argumenta mehr als nur probabel, sonderlich das erste unter den-
selben ex analogia fidei: Wo er sagt: ex qua constat, neminem absolu-
te reprobari, solam resistentiam actualem mediis fidei adversam da-
mnare, ejusmodi contumacia in illis infantibus non est.
Und bekenne
ich gern, daß ich auch nach der schrifft, in absicht des verdienstes JEsu Chri-
sti nicht anders davor halten kan, als daß kein einiger mensch, für den Christus
gestorben [er ist aber für alle menschen ohn unterschied gestorben] verdammt
werden könne, als wegen der eigenen verstossung des glaubens, welche bey kei-
nen platz haben kan, die nicht entweder remotius oder proxime die mittel
des glaubens gehabt, und solche versäumet oder verstossen haben; Der-
gleichen wir von den kindern gar nicht gedencken können: Und daher viel-
mehr zu glauben haben, wie wir nicht zweiffeln, daß in denen ungetaufften
der Christen kindern GOTT auf eine uns unbegreifliche art den glauben
durch den heiligen Geist wircke, in dem sie selig werden ohne eusserliches
mittel, daß der Vater der barmhertzigkeit solchen armen kindern, so auch aus-

ser
IV. Theil. h

ARTIC. I. SECTIO XIII.
macht werden doͤrffen. Wie nun jeglicher dieſes leicht findet, daß ſichs
alſo verhalte, und nicht davor haͤlt, daß das jenige gleich ungerecht ſeye,
deſſen gerechtigkeit dieſes oder jenes menſchen vernunfft nicht begreifft, ſon-
dern glaubet, es mangle daran, weil ers nicht faſſe; So wird damit of-
fenbar, daß dann auch nicht folge, die vernunfft aller menſchen begreift
die gerechtigkeit der goͤttlichen gerichte nicht, ſo muͤſſen ſie dann auch nicht
gerecht ſeyn: Jn dem die goͤttliche gerechtigkeit und dero tieffe urſachen
unſere vernunfft unvergleichlich hoͤher uͤbertreffen, als die proportion
eines menſchlichen verſtandes gegen den andern ſeyn mag. So iſt zwar
freylich die vernunfft uns mit zu einem mittel der goͤttlichen erkaͤntnuͤß ge-
geben: Wir muͤſſen aber dabey wiſſen, daß ſie in allem dem, was GOtt an-
gehet, nach dem fall ſchrecklich verfinſtert, und alſo auch an dieſem ſtuͤck kein
wunder iſt, daß ſie ſich nicht in die ſache finden kan, und muß alſo, was ih-
rem liecht mangelt, aus dem liecht des worts erſetzet, ſie aber nimmermehr
dieſem entgegen geſetzt werden. Jndeſſen wird ſich in gottſeliger nachſin-
nung unterſchiedliches finden, daß wir auch einigerley maſſen etwas von ſol-
cher gerechtigkeit faſſen und dieſelbe erkennen moͤgen. 1. Was anlangt die
junge kinder der auch unglaͤubigen voͤlcker, leugne ich zwar nicht, daß auch die
meiſte Theologi vor dieſelbe keine hoffnung haben: Mich aber hat allezeit
meines ſeligen Præceptoris D. Dannhaueri meinung hertzlich vergnuͤget,
welcher von denſelben die ſeligkeit gehofft Hodoſoph. Phœn. X. p. 1001.
Er will zwar den worten nach nichts austruͤcklich definiren, ſondern laͤſſets
bey einer bloſſen hoffnung bleiben, ich erinnere mich aber nicht nur, wenn er
davon gehandelt, daß er die ſache gewiß geglaubet, ſondern achte auch die an-
gefuͤhrte argumenta mehr als nur probabel, ſonderlich das erſte unter den-
ſelben ex analogia fidei: Wo er ſagt: ex qua conſtat, neminem abſolu-
te reprobari, ſolam reſiſtentiam actualem mediis fidei adverſam da-
mnare, ejusmodi contumacia in illis infantibus non eſt.
Und bekenne
ich gern, daß ich auch nach der ſchrifft, in abſicht des verdienſtes JEſu Chri-
ſti nicht anders davor halten kan, als daß kein einiger menſch, fuͤr den Chriſtus
geſtorben [er iſt aber fuͤr alle menſchen ohn unterſchied geſtorben] verdammt
werden koͤnne, als wegen der eigenen verſtoſſung des glaubens, welche bey kei-
nen platz haben kan, die nicht entweder remotius oder proxime die mittel
des glaubens gehabt, und ſolche verſaͤumet oder verſtoſſen haben; Der-
gleichen wir von den kindern gar nicht gedencken koͤnnen: Und daher viel-
mehr zu glauben haben, wie wir nicht zweiffeln, daß in denen ungetaufften
der Chriſten kindern GOTT auf eine uns unbegreifliche art den glauben
durch den heiligen Geiſt wircke, in dem ſie ſelig werden ohne euſſerliches
mittel, daß der Vater der barmhertzigkeit ſolchen armen kindern, ſo auch auſ-

ſer
IV. Theil. h
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[57/0069] ARTIC. I. SECTIO XIII. macht werden doͤrffen. Wie nun jeglicher dieſes leicht findet, daß ſichs alſo verhalte, und nicht davor haͤlt, daß das jenige gleich ungerecht ſeye, deſſen gerechtigkeit dieſes oder jenes menſchen vernunfft nicht begreifft, ſon- dern glaubet, es mangle daran, weil ers nicht faſſe; So wird damit of- fenbar, daß dann auch nicht folge, die vernunfft aller menſchen begreift die gerechtigkeit der goͤttlichen gerichte nicht, ſo muͤſſen ſie dann auch nicht gerecht ſeyn: Jn dem die goͤttliche gerechtigkeit und dero tieffe urſachen unſere vernunfft unvergleichlich hoͤher uͤbertreffen, als die proportion eines menſchlichen verſtandes gegen den andern ſeyn mag. So iſt zwar freylich die vernunfft uns mit zu einem mittel der goͤttlichen erkaͤntnuͤß ge- geben: Wir muͤſſen aber dabey wiſſen, daß ſie in allem dem, was GOtt an- gehet, nach dem fall ſchrecklich verfinſtert, und alſo auch an dieſem ſtuͤck kein wunder iſt, daß ſie ſich nicht in die ſache finden kan, und muß alſo, was ih- rem liecht mangelt, aus dem liecht des worts erſetzet, ſie aber nimmermehr dieſem entgegen geſetzt werden. Jndeſſen wird ſich in gottſeliger nachſin- nung unterſchiedliches finden, daß wir auch einigerley maſſen etwas von ſol- cher gerechtigkeit faſſen und dieſelbe erkennen moͤgen. 1. Was anlangt die junge kinder der auch unglaͤubigen voͤlcker, leugne ich zwar nicht, daß auch die meiſte Theologi vor dieſelbe keine hoffnung haben: Mich aber hat allezeit meines ſeligen Præceptoris D. Dannhaueri meinung hertzlich vergnuͤget, welcher von denſelben die ſeligkeit gehofft Hodoſoph. Phœn. X. p. 1001. Er will zwar den worten nach nichts austruͤcklich definiren, ſondern laͤſſets bey einer bloſſen hoffnung bleiben, ich erinnere mich aber nicht nur, wenn er davon gehandelt, daß er die ſache gewiß geglaubet, ſondern achte auch die an- gefuͤhrte argumenta mehr als nur probabel, ſonderlich das erſte unter den- ſelben ex analogia fidei: Wo er ſagt: ex qua conſtat, neminem abſolu- te reprobari, ſolam reſiſtentiam actualem mediis fidei adverſam da- mnare, ejusmodi contumacia in illis infantibus non eſt. Und bekenne ich gern, daß ich auch nach der ſchrifft, in abſicht des verdienſtes JEſu Chri- ſti nicht anders davor halten kan, als daß kein einiger menſch, fuͤr den Chriſtus geſtorben [er iſt aber fuͤr alle menſchen ohn unterſchied geſtorben] verdammt werden koͤnne, als wegen der eigenen verſtoſſung des glaubens, welche bey kei- nen platz haben kan, die nicht entweder remotius oder proxime die mittel des glaubens gehabt, und ſolche verſaͤumet oder verſtoſſen haben; Der- gleichen wir von den kindern gar nicht gedencken koͤnnen: Und daher viel- mehr zu glauben haben, wie wir nicht zweiffeln, daß in denen ungetaufften der Chriſten kindern GOTT auf eine uns unbegreifliche art den glauben durch den heiligen Geiſt wircke, in dem ſie ſelig werden ohne euſſerliches mittel, daß der Vater der barmhertzigkeit ſolchen armen kindern, ſo auch auſ- ſer IV. Theil. h

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/69>, abgerufen am 23.11.2024.