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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. V. SECT. LV.
auch leute, die dem guten nicht feind sind, verlangen werden, daß auch gottselige
hertzen sich von selbsten derjenigen freyheit, die sie sich sonst nehmen möchten, nun et-
was begeben, damit nicht unter gleichem vorwand andere gefährliche leute ihre in-
tention
durchführen und eben damit das gute so vielmehr lästern machen möchten.
Daher diese unumschrenckte freyheit, in absicht auf die gottseligkeit ohne gewisse
aufsicht zusammen zu kommen, keines ortes von fleischlich gesinneten verstattet,
vielmehr viel unruhe darüber angerichtet, ja auch von andern treumeinenden aus
gedach ter ursache mißrathen werden wird. Zwar daß einige GOTT hertz-
lich suchende seelen zuweilen ausdrücklich zusammen kommen, und sich mit einan-
der üben, ist nicht allein ein stücke der ihnen von dem HERRN gegebenen frey-
heit, sondern wird ihnen nicht leicht, wo nicht die boßheit gar alles regiment an
sich gezogen hat, verwehret werden: aber es gehöret grosse behutsamkeit, gleich-
wie bey dieser dem guten so aufsätzigen zeit zu alles guten übung, zu dem gebrauch
solcher freyheit. Wo GOTT einige der ordentlichen prediger mit demjenigen
eiffer, der das werck gern fördern will, erfüllet, gehets so viel leichter her, und kön-
nen starcke versamlungen zu diesem zweck unter ihrer, als zu dem lehr-amt publica
autoritate
bestellter personen, aufsicht angestellet werden: auch ist nicht leicht zu
sorgen, daß dergleichen von einer obrigkeit, die nicht öffentlich böse ist, werde ge-
wehret werden, es seye denn sache, daß sich andere collegae der guten sache wider-
setzeten, und die obrigkeit dagegen verhetzeten. Wo es aber noch nicht dahin
kommet, daß sich ordentliche prediger zu der regierung dergleichen übungen dar-
stellen, so muß man viel weiter zurück bleiben, und ihm selbs genaue schrancken
setzen, die ich zum theil in dem geistlichen priesterthum q. 63. angedeutet habe. Wo
sonderlich dieses die erste condition ist, daß keine grosse und starcke versamlung
angestellet werden und sich nach q 64. keiner zu einemordentlichen lehrer darinnen
aufführe. Man möchte zwar sagen, diese condition müste fallen, wenn GOtt
ihrer mehrern das hertz rührete, und also die zahl derer, die sich ihr christenthum
wollen lassen mit ernst angelegen seyn, vermehrte, daher ja die versamlungen noth-
wendig auch zunehmen müsten. Jch achte aber, es lasse sich auch in solchem fal-
le rath schaffen, nemlich, wo die zahl wächset, daß es nunmehr eine solche versam-
lung gebe, die andere zu starck in die augen steche, so wären solche versamlungen
so bald zu theilen, daß einige personen an einem, die andern an dem andern, ande-
dere an dem dritten ort, und so fort an, sich christlich mit einander erbaueten, wel-
ches alsobald weniger geräusche machen noch widersetzung verursachen wird.
Man kan sich auch allezeit so abtheilen, daß bey jeglicher solchen versamlung einer
oder ander der geübtesten sich befinde, welcher den andern mehr anleitung zur er-
bauung geben kan: Ja es möchte nicht undienlich seyn, wo man gar keine gewis-
se ort hielte, sondern jede kleine anzahl, die auch sich untereinander wechseln möchten,
einmal an diesem das andre mal an jenem ort, zusammen fände, ja auch die zeit

nicht
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ARTIC. V. SECT. LV.
auch leute, die dem guten nicht feind ſind, verlangen werden, daß auch gottſelige
hertzen ſich von ſelbſten derjenigen freyheit, die ſie ſich ſonſt nehmen moͤchten, nun et-
was begeben, damit nicht unter gleichem vorwand andere gefaͤhrliche leute ihre in-
tention
durchfuͤhꝛen und eben damit das gute ſo vielmehr laͤſtern machen moͤchten.
Daher dieſe unumſchrenckte freyheit, in abſicht auf die gottſeligkeit ohne gewiſſe
aufſicht zuſammen zu kommen, keines ortes von fleiſchlich geſinneten verſtattet,
vielmehr viel unruhe daruͤber angerichtet, ja auch von andern treumeinenden aus
gedach ter urſache mißrathen werden wird. Zwar daß einige GOTT hertz-
lich ſuchende ſeelen zuweilen ausdruͤcklich zuſammen kommen, und ſich mit einan-
der uͤben, iſt nicht allein ein ſtuͤcke der ihnen von dem HERRN gegebenen frey-
heit, ſondern wird ihnen nicht leicht, wo nicht die boßheit gar alles regiment an
ſich gezogen hat, verwehret werden: aber es gehoͤret groſſe behutſamkeit, gleich-
wie bey dieſer dem guten ſo aufſaͤtzigen zeit zu alles guten uͤbung, zu dem gebrauch
ſolcher freyheit. Wo GOTT einige der ordentlichen prediger mit demjenigen
eiffer, der das werck gern foͤrdern will, erfuͤllet, gehets ſo viel leichter her, und koͤn-
nen ſtarcke verſamlungen zu dieſem zweck unter ihrer, als zu dem lehr-amt publica
autoritate
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ſorgen, daß dergleichen von einer obrigkeit, die nicht oͤffentlich boͤſe iſt, werde ge-
wehret werden, es ſeye denn ſache, daß ſich andere collegæ der guten ſache wider-
ſetzeten, und die obrigkeit dagegen verhetzeten. Wo es aber noch nicht dahin
kommet, daß ſich ordentliche prediger zu der regierung dergleichen uͤbungen dar-
ſtellen, ſo muß man viel weiter zuruͤck bleiben, und ihm ſelbs genaue ſchrancken
ſetzen, die ich zum theil in dem geiſtlichen prieſterthum q. 63. angedeutet habe. Wo
ſonderlich dieſes die erſte condition iſt, daß keine groſſe und ſtarcke verſamlung
angeſtellet werden und ſich nach q 64. keiner zu einemordentlichen lehrer darinnen
auffuͤhre. Man moͤchte zwar ſagen, dieſe condition muͤſte fallen, wenn GOtt
ihrer mehrern das hertz ruͤhrete, und alſo die zahl derer, die ſich ihr chriſtenthum
wollen laſſen mit ernſt angelegen ſeyn, vermehrte, daher ja die verſamlungen noth-
wendig auch zunehmen muͤſten. Jch achte aber, es laſſe ſich auch in ſolchem fal-
le rath ſchaffen, nemlich, wo die zahl waͤchſet, daß es nunmehr eine ſolche verſam-
lung gebe, die andere zu ſtarck in die augen ſteche, ſo waͤren ſolche verſamlungen
ſo bald zu theilen, daß einige perſonen an einem, die andern an dem andern, ande-
dere an dem dritten ort, und ſo fort an, ſich chriſtlich mit einander erbaueten, wel-
ches alſobald weniger geraͤuſche machen noch widerſetzung verurſachen wird.
Man kan ſich auch allezeit ſo abtheilen, daß bey jeglicher ſolchen verſamlung einer
oder ander der geuͤbteſten ſich befinde, welcher den andern mehr anleitung zur er-
bauung geben kan: Ja es moͤchte nicht undienlich ſeyn, wo man gar keine gewiſ-
ſe oꝛt hielte, ſondeꝛn jede kleine anzahl, die auch ſich unteꝛeinander wechſeln moͤchten,
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[667/0679] ARTIC. V. SECT. LV. auch leute, die dem guten nicht feind ſind, verlangen werden, daß auch gottſelige hertzen ſich von ſelbſten derjenigen freyheit, die ſie ſich ſonſt nehmen moͤchten, nun et- was begeben, damit nicht unter gleichem vorwand andere gefaͤhrliche leute ihre in- tention durchfuͤhꝛen und eben damit das gute ſo vielmehr laͤſtern machen moͤchten. Daher dieſe unumſchrenckte freyheit, in abſicht auf die gottſeligkeit ohne gewiſſe aufſicht zuſammen zu kommen, keines ortes von fleiſchlich geſinneten verſtattet, vielmehr viel unruhe daruͤber angerichtet, ja auch von andern treumeinenden aus gedach ter urſache mißrathen werden wird. Zwar daß einige GOTT hertz- lich ſuchende ſeelen zuweilen ausdruͤcklich zuſammen kommen, und ſich mit einan- der uͤben, iſt nicht allein ein ſtuͤcke der ihnen von dem HERRN gegebenen frey- heit, ſondern wird ihnen nicht leicht, wo nicht die boßheit gar alles regiment an ſich gezogen hat, verwehret werden: aber es gehoͤret groſſe behutſamkeit, gleich- wie bey dieſer dem guten ſo aufſaͤtzigen zeit zu alles guten uͤbung, zu dem gebrauch ſolcher freyheit. Wo GOTT einige der ordentlichen prediger mit demjenigen eiffer, der das werck gern foͤrdern will, erfuͤllet, gehets ſo viel leichter her, und koͤn- nen ſtarcke verſamlungen zu dieſem zweck unter ihrer, als zu dem lehr-amt publica autoritate beſtellter perſonen, aufſicht angeſtellet werden: auch iſt nicht leicht zu ſorgen, daß dergleichen von einer obrigkeit, die nicht oͤffentlich boͤſe iſt, werde ge- wehret werden, es ſeye denn ſache, daß ſich andere collegæ der guten ſache wider- ſetzeten, und die obrigkeit dagegen verhetzeten. Wo es aber noch nicht dahin kommet, daß ſich ordentliche prediger zu der regierung dergleichen uͤbungen dar- ſtellen, ſo muß man viel weiter zuruͤck bleiben, und ihm ſelbs genaue ſchrancken ſetzen, die ich zum theil in dem geiſtlichen prieſterthum q. 63. angedeutet habe. Wo ſonderlich dieſes die erſte condition iſt, daß keine groſſe und ſtarcke verſamlung angeſtellet werden und ſich nach q 64. keiner zu einemordentlichen lehrer darinnen auffuͤhre. Man moͤchte zwar ſagen, dieſe condition muͤſte fallen, wenn GOtt ihrer mehrern das hertz ruͤhrete, und alſo die zahl derer, die ſich ihr chriſtenthum wollen laſſen mit ernſt angelegen ſeyn, vermehrte, daher ja die verſamlungen noth- wendig auch zunehmen muͤſten. Jch achte aber, es laſſe ſich auch in ſolchem fal- le rath ſchaffen, nemlich, wo die zahl waͤchſet, daß es nunmehr eine ſolche verſam- lung gebe, die andere zu ſtarck in die augen ſteche, ſo waͤren ſolche verſamlungen ſo bald zu theilen, daß einige perſonen an einem, die andern an dem andern, ande- dere an dem dritten ort, und ſo fort an, ſich chriſtlich mit einander erbaueten, wel- ches alſobald weniger geraͤuſche machen noch widerſetzung verurſachen wird. Man kan ſich auch allezeit ſo abtheilen, daß bey jeglicher ſolchen verſamlung einer oder ander der geuͤbteſten ſich befinde, welcher den andern mehr anleitung zur er- bauung geben kan: Ja es moͤchte nicht undienlich ſeyn, wo man gar keine gewiſ- ſe oꝛt hielte, ſondeꝛn jede kleine anzahl, die auch ſich unteꝛeinander wechſeln moͤchten, einmal an dieſem das andre mal an jenem ort, zuſammen faͤnde, ja auch die zeit nicht p p p p 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/679>, abgerufen am 22.11.2024.