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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
dern geringern seyn, gewonnen werden, dero erhaltung verlohnet alle unsere mühe
gnugsam. Jndessen ist freylich der von geliebtem Bruder gegebene treue rath das
heylsamste mittel mit zusammen gesetzten eyffer unabläßig den HErrn um seine hülf-
fe anzuruffen, der nach seiner verheissung seine auserwehlte in einer kürtze retten,
und seine herrliche macht zeigen wird. Dem wollen wir alle angelegenlich folgen,
und versichre ich, daß ich auf denselben tage die meiste hoffnung gesetzet habe. Jm
übrigen bin mit demselben gantz einig, was betrifft dessen christliche gedancken von
der gewißheit der verfolgung, so uns von der rothen huren vorstehet, davon ich
schon mehrmal offentlich mit mund und feder meine bekantnüß gethan habe. Jch
erkenne auch, daß die angeführten ursachen der göttlichen gerechtigkeit gantz gemäß
seyen, uns auf diese weise heimzusuchen, und eine zeitlang in die hände der feinde
zu übergeben. So lasse ich auch wol gelten, daß es kein gericht von etzlichen ta-
gen oder wochen, sondern wol jahren seyn werde. Wann aber geliebter Bru-
der scheinet (so ich denselben auch anders recht gefasset habe) davor zu halten, ob
wäre keine besserung hier in der zeit mehr zu hoffen, und werde der HErr, wenn es
mit der tyranney Babels aufs höchste gekommen, mit allem in der welt durch feuer
und schweffel-regen ein ende machen, bekenne ich, daß ich darinnen nicht mit ein-
stimmen könte, indem ich glaube, viel zu herrliche verheissungen annoch in der
schrifft zu finden, dero völlige erfüllung wir von göttlicher wahrheit billig erwarten,
und mir gewißlich solche erwartung den meisten muth (dergleichen von unterschied-
lich andern christlichen brüdern auch weiß) giebet, damit ich nicht aus ansehung,
daß gleichwol sich fast nichts mehr ausrichten lasse, müde und verdrossen werde.
Was anlangt den ort Luc. 18, 8. läugne ich nicht, daß mir derselbe lange zeit einen
schweren scrupel gemacht hat, und ob ich wol durch einen einigen spruch mir die
übrige so klare verheissungen vieles der kirchen noch bevorstehenden guten nicht habe
nehmen lassen, wuste ich doch mir und andern nicht völlig über denselben gnug zu
thun: ich habe mich aber recht hertzlich erfreuet, als mir Herr Sandhagen in ei-
nem schreiben zeigte, wie dieser spruch in dem gemeinen verstand so gantz unrecht
und wider unsers Heylandes intention gebraucht werde, welches aus der conne-
xion
zu sehen, daß durchaus in dieser gantzen rede nicht von einigen zustand der letz-
ten zeit vor seiner letzten zukunfft, sondern allein von der krafft des gebets gehandelt
werde. Es fängt das Capitel so bald an von dem, daß man allezeit beten solle:
solches erweiset der HERR mit dem exempel einer armen witbe, welche durch
unverdrossenes anhalten auch den ungerechten richter zur hülffe vermocht hat. Dar-
auf schliesset der HERR weiter, daß dann der gerechte GOTT so viel gewis-
ser die seuffzer seiner aus erwehlten, welche tag und nacht zu ihm ruffen, erhören
werde. Darauf heist es dann: meinestu auch, daß des menschen Sohn, wenn
er kommen wird, glauben auf erden finden werde? Da ist dieses der natürli-
che verstand: es werde die hülffe so unvermuthet und plötzlich kommen, daß,

wenn

Das ſiebende Capitel.
dern geringern ſeyn, gewonnen werden, dero erhaltung verlohnet alle unſere muͤhe
gnugſam. Jndeſſen iſt freylich der von geliebtem Bruder gegebene treue rath das
heylſamſte mittel mit zuſammen geſetzten eyffer unablaͤßig den HErrn um ſeine huͤlf-
fe anzuruffen, der nach ſeiner verheiſſung ſeine auserwehlte in einer kuͤrtze retten,
und ſeine herrliche macht zeigen wird. Dem wollen wir alle angelegenlich folgen,
und verſichre ich, daß ich auf denſelben tage die meiſte hoffnung geſetzet habe. Jm
uͤbrigen bin mit demſelben gantz einig, was betrifft deſſen chriſtliche gedancken von
der gewißheit der verfolgung, ſo uns von der rothen huren vorſtehet, davon ich
ſchon mehrmal offentlich mit mund und feder meine bekantnuͤß gethan habe. Jch
erkenne auch, daß die angefuͤhrten urſachen der goͤttlichen gerechtigkeit gantz gemaͤß
ſeyen, uns auf dieſe weiſe heimzuſuchen, und eine zeitlang in die haͤnde der feinde
zu uͤbergeben. So laſſe ich auch wol gelten, daß es kein gericht von etzlichen ta-
gen oder wochen, ſondern wol jahren ſeyn werde. Wann aber geliebter Bru-
der ſcheinet (ſo ich denſelben auch anders recht gefaſſet habe) davor zu halten, ob
waͤre keine beſſerung hier in der zeit mehr zu hoffen, und werde der HErr, wenn es
mit der tyranney Babels aufs hoͤchſte gekommen, mit allem in der welt durch feuer
und ſchweffel-regen ein ende machen, bekenne ich, daß ich darinnen nicht mit ein-
ſtimmen koͤnte, indem ich glaube, viel zu herrliche verheiſſungen annoch in der
ſchrifft zu finden, dero voͤllige erfuͤllung wir von goͤttlicher wahrheit billig erwarten,
und mir gewißlich ſolche erwartung den meiſten muth (dergleichen von unterſchied-
lich andern chriſtlichen bruͤdern auch weiß) giebet, damit ich nicht aus anſehung,
daß gleichwol ſich faſt nichts mehr ausrichten laſſe, muͤde und verdroſſen werde.
Was anlangt den ort Luc. 18, 8. laͤugne ich nicht, daß mir derſelbe lange zeit einen
ſchweren ſcrupel gemacht hat, und ob ich wol durch einen einigen ſpruch mir die
uͤbrige ſo klare verheiſſungen vieles der kirchen noch bevorſtehenden guten nicht habe
nehmen laſſen, wuſte ich doch mir und andern nicht voͤllig uͤber denſelben gnug zu
thun: ich habe mich aber recht hertzlich erfreuet, als mir Herr Sandhagen in ei-
nem ſchreiben zeigte, wie dieſer ſpruch in dem gemeinen verſtand ſo gantz unrecht
und wider unſers Heylandes intention gebraucht werde, welches aus der conne-
xion
zu ſehen, daß durchaus in dieſer gantzen rede nicht von einigen zuſtand der letz-
ten zeit vor ſeiner letzten zukunfft, ſondern allein von der krafft des gebets gehandelt
werde. Es faͤngt das Capitel ſo bald an von dem, daß man allezeit beten ſolle:
ſolches erweiſet der HERR mit dem exempel einer armen witbe, welche durch
unveꝛdroſſenes anhalten auch den ungerechten richteꝛ zur huͤlffe vermocht hat. Dar-
auf ſchlieſſet der HERR weiter, daß dann der gerechte GOTT ſo viel gewiſ-
ſer die ſeuffzer ſeiner aus erwehlten, welche tag und nacht zu ihm ruffen, erhoͤren
werde. Darauf heiſt es dann: meineſtu auch, daß des menſchen Sohn, wenn
er kommen wird, glauben auf erden finden werde? Da iſt dieſes der natuͤrli-
che verſtand: es werde die huͤlffe ſo unvermuthet und ploͤtzlich kommen, daß,

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[638/0650] Das ſiebende Capitel. dern geringern ſeyn, gewonnen werden, dero erhaltung verlohnet alle unſere muͤhe gnugſam. Jndeſſen iſt freylich der von geliebtem Bruder gegebene treue rath das heylſamſte mittel mit zuſammen geſetzten eyffer unablaͤßig den HErrn um ſeine huͤlf- fe anzuruffen, der nach ſeiner verheiſſung ſeine auserwehlte in einer kuͤrtze retten, und ſeine herrliche macht zeigen wird. Dem wollen wir alle angelegenlich folgen, und verſichre ich, daß ich auf denſelben tage die meiſte hoffnung geſetzet habe. Jm uͤbrigen bin mit demſelben gantz einig, was betrifft deſſen chriſtliche gedancken von der gewißheit der verfolgung, ſo uns von der rothen huren vorſtehet, davon ich ſchon mehrmal offentlich mit mund und feder meine bekantnuͤß gethan habe. Jch erkenne auch, daß die angefuͤhrten urſachen der goͤttlichen gerechtigkeit gantz gemaͤß ſeyen, uns auf dieſe weiſe heimzuſuchen, und eine zeitlang in die haͤnde der feinde zu uͤbergeben. So laſſe ich auch wol gelten, daß es kein gericht von etzlichen ta- gen oder wochen, ſondern wol jahren ſeyn werde. Wann aber geliebter Bru- der ſcheinet (ſo ich denſelben auch anders recht gefaſſet habe) davor zu halten, ob waͤre keine beſſerung hier in der zeit mehr zu hoffen, und werde der HErr, wenn es mit der tyranney Babels aufs hoͤchſte gekommen, mit allem in der welt durch feuer und ſchweffel-regen ein ende machen, bekenne ich, daß ich darinnen nicht mit ein- ſtimmen koͤnte, indem ich glaube, viel zu herrliche verheiſſungen annoch in der ſchrifft zu finden, dero voͤllige erfuͤllung wir von goͤttlicher wahrheit billig erwarten, und mir gewißlich ſolche erwartung den meiſten muth (dergleichen von unterſchied- lich andern chriſtlichen bruͤdern auch weiß) giebet, damit ich nicht aus anſehung, daß gleichwol ſich faſt nichts mehr ausrichten laſſe, muͤde und verdroſſen werde. Was anlangt den ort Luc. 18, 8. laͤugne ich nicht, daß mir derſelbe lange zeit einen ſchweren ſcrupel gemacht hat, und ob ich wol durch einen einigen ſpruch mir die uͤbrige ſo klare verheiſſungen vieles der kirchen noch bevorſtehenden guten nicht habe nehmen laſſen, wuſte ich doch mir und andern nicht voͤllig uͤber denſelben gnug zu thun: ich habe mich aber recht hertzlich erfreuet, als mir Herr Sandhagen in ei- nem ſchreiben zeigte, wie dieſer ſpruch in dem gemeinen verſtand ſo gantz unrecht und wider unſers Heylandes intention gebraucht werde, welches aus der conne- xion zu ſehen, daß durchaus in dieſer gantzen rede nicht von einigen zuſtand der letz- ten zeit vor ſeiner letzten zukunfft, ſondern allein von der krafft des gebets gehandelt werde. Es faͤngt das Capitel ſo bald an von dem, daß man allezeit beten ſolle: ſolches erweiſet der HERR mit dem exempel einer armen witbe, welche durch unveꝛdroſſenes anhalten auch den ungerechten richteꝛ zur huͤlffe vermocht hat. Dar- auf ſchlieſſet der HERR weiter, daß dann der gerechte GOTT ſo viel gewiſ- ſer die ſeuffzer ſeiner aus erwehlten, welche tag und nacht zu ihm ruffen, erhoͤren werde. Darauf heiſt es dann: meineſtu auch, daß des menſchen Sohn, wenn er kommen wird, glauben auf erden finden werde? Da iſt dieſes der natuͤrli- che verſtand: es werde die huͤlffe ſo unvermuthet und ploͤtzlich kommen, daß, wenn

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/650>, abgerufen am 22.11.2024.