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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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derselbe offenbaren, und ob ich etwas davon erleben, oder auch dessen, was Joh. 4,
38. stehet, versehen solle, daß andere in meine arbeit zu dero zeitiger frucht noch fol-
gen müssen. Jn diesem gläubigen vertrauen hoffe, werde mich mein himmlischer
Vater erhalten, daß ich nicht auf das was vor augen schwebet, sondern auf
seine verheissung lauterlich sehe, und deswegen mich dadurch nicht müde machen
lasse, obs dem ansehen nach nicht nach meinem oder christlicher mitbrüder verlangen
gehet, weil doch notwendig der rath des HErrn, daran mir gnüget, erfüllet wer-
den solle. Ob ich zu andern malen meine gedancken über die beschaffenheit dieser
zeit vorgestellet, weiß mich nicht eben so sonderlich zu erinnern: was hieher gehöret
bestehen sie darinnen, daß wir in derjenigen zeit der göttlichen gerichte leben, wo
noch eine weile schwerlich einiges orts, oder doch in einem grossen lande, eine
durchgängige reformation und besserung zu hoffen ist, sondern ich vielmehr förch-
te, alle frucht unsrer treue und amts werde nicht weiter gehen, als daß wir jedes
orts annoch die seelen, die sich der HErr ausersehen hat, und welche seinem Geist
platz lassen, retten, und dazu bereiten, daß sie in den künfftigen trübsalen beste-
hen, und der selige samen werden der neuen gottgefälligen kirchen, den übrigen
hauffen werden wir nicht bessern, sondern müssen endlich in sein verderben lauffen
lassen, was wir nicht aufzuhalten vermögen: an welchen alles unser amt leider
fast keinen andern nutzen hat, als daß es zum zeugnüß über sie dienlich seyn muß.
Ob wir uns denn wol jeglicher nach der krafft und gelegenheit, die ihm der
HERR ertheilet, auch dem bösen widersetzen müssen, dörffen wir doch nicht den-
cken, daß wir dessen gewalt und einreissenden strohm zurück treiben und aufhalten
werden, sondern wir müssen damit zu frieden seyn, wo wir diejenige, so ihnen
helffen lassen, annoch heraus zu reissen vermögen: und gedencken, daß unser meiste
segen, den wir zu erwarten haben, vielmehr bestehe in beförderung des guten als aus-
reütung des bösen, daher wir nicht wenig ausgerichtet zu haben glauben können,
ob wir wol den wachsthum des unkrauts nicht gnug zu steuren mittel finden, wenn
nur GOtt gnade giebet, daß wir den guten weitzen verwahren, um von dem unkraut
nicht gar erstickt zu werden, und daß immer ein und ander gutes körnlein desselben
ferner aufgehe und wachse, erhalten mögen. Weiter werden wirs schwerlich brin-
gen. Ehe wir aber uns versehen, möchte wol geschehen, daß GOtt durch das
hochmüthige Babel sein gericht erstlich über sein hauß, und so sehr in sich verdorbe-
nes Jerusalem ausführe, und es besorglich meistens zum steinhauffen mache. Jn-
dessen aber, und in währender aller solcher trübsal wird GOtt gleichwol seine le-
bendige steine bewahren, und auf ihm bekante art aufheben, daß er aus denselben
sein Zion wider aufs neue baue. Daher ob wir schon nicht viel grosses und was in
die augen fält durch eine scheinbare reformation ausrichten, dörffen wir gleich-
wol nicht gedencken, vergebens zu arbeiten, also lang der HERR noch segen
giebet, daß einige seelen durch sein wort, soltens auch nicht von den grossen, son-

dern
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ARTIC. V. SECTIO XLII.
derſelbe offenbaren, und ob ich etwas davon erleben, oder auch deſſen, was Joh. 4,
38. ſtehet, verſehen ſolle, daß andere in meine arbeit zu dero zeitiger frucht noch fol-
gen muͤſſen. Jn dieſem glaͤubigen vertrauen hoffe, werde mich mein himmliſcher
Vater erhalten, daß ich nicht auf das was vor augen ſchwebet, ſondern auf
ſeine verheiſſung lauterlich ſehe, und deswegen mich dadurch nicht muͤde machen
laſſe, obs dem anſehen nach nicht nach meinem oder chriſtlicher mitbruͤdeꝛ verlangen
gehet, weil doch notwendig der rath des HErrn, daran mir gnuͤget, erfuͤllet wer-
den ſolle. Ob ich zu andern malen meine gedancken uͤber die beſchaffenheit dieſer
zeit vorgeſtellet, weiß mich nicht eben ſo ſonderlich zu erinnern: was hieher gehoͤret
beſtehen ſie darinnen, daß wir in derjenigen zeit der goͤttlichen gerichte leben, wo
noch eine weile ſchwerlich einiges orts, oder doch in einem groſſen lande, eine
durchgaͤngige reformation und beſſerung zu hoffen iſt, ſondern ich vielmehr foͤrch-
te, alle frucht unſrer treue und amts werde nicht weiter gehen, als daß wir jedes
orts annoch die ſeelen, die ſich der HErr auserſehen hat, und welche ſeinem Geiſt
platz laſſen, retten, und dazu bereiten, daß ſie in den kuͤnfftigen truͤbſalen beſte-
hen, und der ſelige ſamen werden der neuen gottgefaͤlligen kirchen, den uͤbrigen
hauffen werden wir nicht beſſern, ſondern muͤſſen endlich in ſein verderben lauffen
laſſen, was wir nicht aufzuhalten vermoͤgen: an welchen alles unſer amt leider
faſt keinen andern nutzen hat, als daß es zum zeugnuͤß uͤber ſie dienlich ſeyn muß.
Ob wir uns denn wol jeglicher nach der krafft und gelegenheit, die ihm der
HERR ertheilet, auch dem boͤſen widerſetzen muͤſſen, doͤrffen wir doch nicht den-
cken, daß wir deſſen gewalt und einreiſſenden ſtrohm zuruͤck treiben und aufhalten
werden, ſondern wir muͤſſen damit zu frieden ſeyn, wo wir diejenige, ſo ihnen
helffen laſſen, annoch heraus zu reiſſen vermoͤgen: und gedencken, daß unſer meiſte
ſegen, den wir zu erwarten haben, vielmehꝛ beſtehe in befoͤrdeꝛung des guten als aus-
reuͤtung des boͤſen, daher wir nicht wenig ausgerichtet zu haben glauben koͤnnen,
ob wir wol den wachsthum des unkrauts nicht gnug zu ſteuren mittel finden, wenn
nur GOtt gnade giebet, daß wir den guten weitzen verwahren, um von dem unkraut
nicht gar erſtickt zu werden, und daß immer ein und ander gutes koͤrnlein deſſelben
ferner aufgehe und wachſe, erhalten moͤgen. Weiter werden wirs ſchwerlich brin-
gen. Ehe wir aber uns verſehen, moͤchte wol geſchehen, daß GOtt durch das
hochmuͤthige Babel ſein gericht erſtlich uͤber ſein hauß, und ſo ſehr in ſich verdorbe-
nes Jeruſalem ausfuͤhre, und es beſorglich meiſtens zum ſteinhauffen mache. Jn-
deſſen aber, und in waͤhrender aller ſolcher truͤbſal wird GOtt gleichwol ſeine le-
bendige ſteine bewahren, und auf ihm bekante art aufheben, daß er aus denſelben
ſein Zion wider aufs neue baue. Daher ob wir ſchon nicht viel groſſes und was in
die augen faͤlt durch eine ſcheinbare reformation ausrichten, doͤrffen wir gleich-
wol nicht gedencken, vergebens zu arbeiten, alſo lang der HERR noch ſegen
giebet, daß einige ſeelen durch ſein wort, ſoltens auch nicht von den groſſen, ſon-

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[637/0649] ARTIC. V. SECTIO XLII. derſelbe offenbaren, und ob ich etwas davon erleben, oder auch deſſen, was Joh. 4, 38. ſtehet, verſehen ſolle, daß andere in meine arbeit zu dero zeitiger frucht noch fol- gen muͤſſen. Jn dieſem glaͤubigen vertrauen hoffe, werde mich mein himmliſcher Vater erhalten, daß ich nicht auf das was vor augen ſchwebet, ſondern auf ſeine verheiſſung lauterlich ſehe, und deswegen mich dadurch nicht muͤde machen laſſe, obs dem anſehen nach nicht nach meinem oder chriſtlicher mitbruͤdeꝛ verlangen gehet, weil doch notwendig der rath des HErrn, daran mir gnuͤget, erfuͤllet wer- den ſolle. Ob ich zu andern malen meine gedancken uͤber die beſchaffenheit dieſer zeit vorgeſtellet, weiß mich nicht eben ſo ſonderlich zu erinnern: was hieher gehoͤret beſtehen ſie darinnen, daß wir in derjenigen zeit der goͤttlichen gerichte leben, wo noch eine weile ſchwerlich einiges orts, oder doch in einem groſſen lande, eine durchgaͤngige reformation und beſſerung zu hoffen iſt, ſondern ich vielmehr foͤrch- te, alle frucht unſrer treue und amts werde nicht weiter gehen, als daß wir jedes orts annoch die ſeelen, die ſich der HErr auserſehen hat, und welche ſeinem Geiſt platz laſſen, retten, und dazu bereiten, daß ſie in den kuͤnfftigen truͤbſalen beſte- hen, und der ſelige ſamen werden der neuen gottgefaͤlligen kirchen, den uͤbrigen hauffen werden wir nicht beſſern, ſondern muͤſſen endlich in ſein verderben lauffen laſſen, was wir nicht aufzuhalten vermoͤgen: an welchen alles unſer amt leider faſt keinen andern nutzen hat, als daß es zum zeugnuͤß uͤber ſie dienlich ſeyn muß. Ob wir uns denn wol jeglicher nach der krafft und gelegenheit, die ihm der HERR ertheilet, auch dem boͤſen widerſetzen muͤſſen, doͤrffen wir doch nicht den- cken, daß wir deſſen gewalt und einreiſſenden ſtrohm zuruͤck treiben und aufhalten werden, ſondern wir muͤſſen damit zu frieden ſeyn, wo wir diejenige, ſo ihnen helffen laſſen, annoch heraus zu reiſſen vermoͤgen: und gedencken, daß unſer meiſte ſegen, den wir zu erwarten haben, vielmehꝛ beſtehe in befoͤrdeꝛung des guten als aus- reuͤtung des boͤſen, daher wir nicht wenig ausgerichtet zu haben glauben koͤnnen, ob wir wol den wachsthum des unkrauts nicht gnug zu ſteuren mittel finden, wenn nur GOtt gnade giebet, daß wir den guten weitzen verwahren, um von dem unkraut nicht gar erſtickt zu werden, und daß immer ein und ander gutes koͤrnlein deſſelben ferner aufgehe und wachſe, erhalten moͤgen. Weiter werden wirs ſchwerlich brin- gen. Ehe wir aber uns verſehen, moͤchte wol geſchehen, daß GOtt durch das hochmuͤthige Babel ſein gericht erſtlich uͤber ſein hauß, und ſo ſehr in ſich verdorbe- nes Jeruſalem ausfuͤhre, und es beſorglich meiſtens zum ſteinhauffen mache. Jn- deſſen aber, und in waͤhrender aller ſolcher truͤbſal wird GOtt gleichwol ſeine le- bendige ſteine bewahren, und auf ihm bekante art aufheben, daß er aus denſelben ſein Zion wider aufs neue baue. Daher ob wir ſchon nicht viel groſſes und was in die augen faͤlt durch eine ſcheinbare reformation ausrichten, doͤrffen wir gleich- wol nicht gedencken, vergebens zu arbeiten, alſo lang der HERR noch ſegen giebet, daß einige ſeelen durch ſein wort, ſoltens auch nicht von den groſſen, ſon- dern l l l l 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/649>, abgerufen am 21.11.2024.